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Äuä!

Frau Trudi Christen, eine aufmerksame und begeisterte Leserin von Mundartliteratur, hat uns die folgenden Aufzeichnungen geschickt.Nein: «äuä» ist nicht ein hilfloses Jammern oder das zornige Geschrei von Kindern, die sich infolge eines schweren Hirnschadens nicht anders äussern können. – «Wäutau!» ist auch kein Ausruf des Schreckens oder ein Fluch. Was gemeint ist, kann ich schon verstehen: «äuä» steht für «allwäg» und «Wäutau» für «Wältall».
Aber ich frage: Ist das nötig? Ich meine: Nein! Nützt diese Schreibweise dem Dialekt? Kann sie ihm nicht auch schaden?
In rund vierzigjähriger Berufsarbeit als Fürsorgerin habe ich eine sehr grosse Anzahl von Menschen aus verschiedensten Kreisen kennen gelernt, solche mit leichtem Schulsack und Akademiker, Bauern und Städter, Junge und Alte, Kranke und Gesunde. Dazu kamen meine Verwandten, Bekannten und viele Freunde. Und alle diese Menschen redeten oder reden heute noch selbstverständlich in ihrer Mundart. Wenn sie aber schreiben, dann schreiben sie in der hochdeutschen Schriftsprache, denn in dieser sind sie vom ersten Schuljahr an unterrichtet worden. Wenn nun Dialektschriftsteller in ihrer Schreibweise allzu sehr vom Schriftbild der Schriftsprache ab-weichen, so empfinden das sehr viele Leser als störend. Es macht Mundartlektüre für sie mühsam, und sie geben sie auf. Wie oft habe ich doch auch von intelligenten Leuten den Satz gehört: «Nein, Dialekt lesen mag ich nicht, so gern ich ihn auch höre!»
Soviel ich weiss, gestalten die Walliser Holzmasken-Schnitzer diese Masken absichtlich so hässlich, weil sie den Teufel verjagen sollen. Wen aber wollen die Verfasser und Verleger mit ihren bis zur Hässlichkeit entstellten, kaum mehr verständlichen Wörtern vertreiben?
Wenn Emmentaler und andere Sprachgruppen das «l» vokalisieren (als «u» aussprechen), so ist das urchig, erwünscht und völlig am Platz auf Tonträgern (Sprechplatten, Kassetten), aber nicht im Druck!
Es ist auch nicht nötig. Denn alle, die das «l» von Kindheit an als «u» ausgesprochen haben, tun es auch ohne den Wink mit dem Zaunpfahl. Andere Leser aber sollten damit nicht «vergewaltigt» werden.
Otto von Greyerz, Rudolf von Tavel, Simon Gfeller, Kari Grunder, Ernst Balzli, Erwin Hei-mann und seine Frau, und auch jüngere, wie Christine Kohler – um nur einige wenige zu nennen – schreiben ein leicht lesbares, leserfreundliches und doch unverkennbares Bern-deutsch. Ich kann gar nicht sagen, wie dank-bar ich dem ehemaligen Francke-Verlag bin für seine Gesamtausgabe von Simon Gfellers Werk in leicht lesbarem Druck.
Ebenfalls im Francke-Verlag erschien von Werner Marti: «Bärndütschi Schrybwys», 2. Auflage 1985. Marti gibt sich nicht als unfehlbarer Sprachpapst. Er versucht, bei Unsicherheiten Hilfe anzubieten. In Bezug auf das hier angedeutete Problem schreibt er: «In der Praxis ergeben sich am wenigsten Schwierigkeiten, wenn man das ‹l› schreibt und als Hinweis, dass es lautgesetzlich als ‹u› zu lesen sei …»
Einen ähnlichen guten Rat gibt Jakob Käser in: «Oberaargouerlüt», Emmentalerdruck Langnau, 1990. Käser reiht seine paar Sätze bescheiden unter «Worterklärige» ein: «Nach einem Selbstlaut wird das ‹l› oder ‹ll› als ‹u› ausgesprochen; es wird also fürs Ohr zu einem Selbstlaut, einem Vokal, aber der Lesbarkeit halber nicht als Vokal geschrieben»:
alt (sprich: aut)
still (sprich: stiu)
sälber (sprich: säuber)
Welch bewunderswert einfache, klare Lösung!
Simon Gfeller hat von Jakob Käsers schriftstellerischem Werk gesagt, es sei «nicht aus akademischem Kunstdünger» heraus gewachsen!
So weit war ich gekommen, als die Post mir die Februar-Nummer 1999 der «Mundart, Forum des Vereins Schweizerdeutsch», brachte. Im Artikel «Chronik eines Fiaskos» wird sehr bedauert, dass die Schweizer Dialekte an der Frankfurter Messe so schlecht weggekommen seien. Es ist wohl eine allgemeine menschliche Eigenschaft, dass man bei einem Versagen die Fehler zunächst einmal bei «den andern» sucht. Es würde aber nichts schaden, wenn man sich darüber besinnen würde, was man allenfalls selber zum Misserfolg beigetragen haben könnte. Zum Beispiel die Schreibweise?
Es gibt nämlich auch für das Zürichdeutsche eine festgelegte Schreibweise. Nach ihrem Begründer, einem Herrn Dieth (Vornamen und Titel habe ich vergessen), wird sie «Dieth-Schrift» genannt. Nach ihren Regeln muss man ein langes «e» immer mit «ee» schreiben. Das führt zu so merkwürdigen Dingen wie «d Leereri, wo d Chind leert». Dazu kann ich nur den Satz zitieren: «Ist es auch Unsinn, hat es doch Methode!» Dabei hält ja auch die hoch-deutsche Schriftsprache keineswegs an dieser Schreibweise fest. Beispiele: Mehrzahl, Meer-salz. Die Seligkeit der Seele bereitet sogar Theologen mit abgeschlossenem Studium gelegentlich Kopfzerbrechen, wenigstens in der Orthographie. Man vergleiche auch das gedehnt ausgesprochene «a» in Wahl, Qual, Saal.
Zusätzlich kompliziert die Dieth-Schrift die Lesbarkeit, weil sie besondere zusätzliche Zeichen für nötig hält. So wird Montag, von
Zürchern mit einem hellen «ä» gesprochen, «Meentig» geschrieben. Er «erchleert en Uuswaal …» Dieth hielt das sicher für hilfreich, aber ich und viele andere mit mir empfinden es als störend und unnötig.
Ich habe bereits eingangs gesagt, dass ich mit sehr vielen Menschen im Kanton Zürich (und darüber hinaus) Kontakt hatte. Zu meinen Aufgaben gehörten auch Rundbriefe, die ich zwei- bis dreimal jährlich zu verschicken hatte. Einmal, kurz vor Weihnachten, wagte ich es, einen solchen Brief auf Zürichdeutsch zu schreiben. Das freudige, dankbare Echo war unerwartet gross. Was mich aber am meisten verblüffte, war die Feststellung, die fast in jedem Dankbrief oder Anruf vorkam: «Und me chas eso guet läse!» Offensichtlich hatten die Empfänger mit der Dialektschrift auch schon schlechtere Erfahrungen gemacht. Dabei hatte ich mir über die Schreibweise überhaupt keine Gedanken gemacht, nur frisch-fröhlich drauflos geschrieben. Ich sah in Gedanken die vielen Menschen vor mir und war nur erfüllt vom Wunsch: «Von Herzen – möge es zu Herzen gehen!»
Ein bekannter Professor der Universität Zürich schrieb mir: «Dazu ein Neben-Kompliment für Sie: Sie haben die optimale Orthographie für Zürichdeutsch entwickelt, in der Mitte zwischen wissenschaftlicher Unlesbarkeit und willkürlichen Manierismen.»
Dabei war die Schreibweise des Zürcher Dialekts früher auch so viel leichter zu lesen. Beispiele: Emilie Locher-Werling, Ernst Amacher, Ruedi Chägi. Ernst Eschmanns «S Christchindli und de Samichlaus» hat sogar ein geflügeltes Wort zu unserer «Familiensprache» beigetragen. Wenn es jemand zu eilig hatte, wurde zitiert: «… De Samichlaus stellt d Tassen ab: ‹Nu nüd so gsprängt, Christchindli!›» Jedes Kind der untern Primarschulklassen konnte das lesen. Ich kenne Menschen, die grosszügiger sind als ich. Wahrscheinlich bin ich allergisch auf die Dieth-Schrift und auf die «äuä-Schrift». Es gibt wohl Leute, die daran nicht Anstoss nehmen und vielleicht sogar Freude daran haben. Denen will ich den Genuss nicht verderben. Ich rede hier für alle, die ähnlich empfinden wie ich. Unser Wunsch wäre: Dialekt geschrieben in Anlehnung an das Schriftbild der hochdeutschen Schriftsprache. Ein leserfreundlicher Druck! Den Lesern und dem Dialekt zuliebe! Ich möchte
allen Verlegern von Herzen danken, wenn sie diesem Wunsch entgegenkommen! Denn es besteht Freiheit der Wahl. Sprachpäpste können nur empfehlen, aber nicht befehlen!
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Sicher darf man Lesern, die sich in einen Dialekt ein-lesen wollen, eine gewisse Anstrengung zumuten wie bei jedem anderen Sprachstudium. Viele Autoren erleichtern das Verständnis durch Fussnoten im Text oder ein Wörterverzeichnis am Schluss des Buches. Selbstverständlich musste der Schaffhauser Albert Bächtold schreiben: «Chläggi, dihaam, Schlaate» (Klettgau, daheim Schleitheim).
Wenn der Walliser Hannes Taugwalder von einer «Zwirschle» spricht, erklärt er in der Fussnote: knorriger Baum. Der Brienzer Peter Wyss verdoppelt Buchstaben, um die Aussprache anzudeuten, doch bleiben die Wörter verständlich. Kinderreim: «Schnee teckt iisers Huuselli, Schlaf, du chliinä Pfuuselli, wie im Chäller ds Muuselli …»
Und wer spürte nicht, dass «luub» lieb heisst, wenn die Berner Oberländerin Maria Lauber ausruft:
«O Muetersprach, du luubi Sprach …»
Sie fährt fort:
«Wi ds blüemlet Röcki bischt, wa ds Chind
am eerschte Summermorge triit,
wen über ds Tou es Lüfti giit
u tusig Glöggeni glänggelen drind.»
Trudi Christen

Nachwort der Redaktion

(ar) In Nr. 4 (Dez. 1999) der Zeitschrift «Mundart. Forum des Vereins Schweizerdeutsch» beleuchtet der Redaktor Jürg Bleiker in einem Aufsatz («Zur Schreibung von Dialekten») die alte Streitfrage, wie Mundart «richtig» geschrieben werden solle. Es gebe dazu «zwei grundlegende, problembewusste, differenzierende und wohlüberlegte Anleitungen» (auch im Text von Frau Trudi Christen genannt):
• Eugen Dieth: Schwyzertütschi Dialäktschrift, 2. Auflage, bearbeitet von Christian Schmid-Cadalbert, Aarau 1986
• Werner Marti: Bärndütschi Schrybwys.
Dieth fordert eine lautgerechte Schreib-weise; Marti dagegen rät dazu, überall dort die hochdeutsche Schreibweise zu über-nehmen, wo diese mit der mundartlichen Lautung übereinstimmt. Hier der Teil aus Bleikers Aufsatz, in dem er die «Dieth-Schrift» dar-stellt:
Die «Dieth-Schrift» wurde 1958 von einer Kommission unter Vorsitz von Univ. Prof. Eugen Dieth, Zürich, geschaffen.
Sie geht – vereinfacht – vom Grundsatz aus:
Schreibe, was du hörst! Stosse dich nicht an Abweichungen vom gegenwärtigen standardsprachlichen Schriftbild.
Besonders: lange Vokale werden verdoppelt, Doppelkonsonanten nur bei deutlicher Länge! Im Gegensatz zur schriftsprachlichen Entsprechung keine Zeichen, die nicht gesprochen werden, keine Zeichen, die verschieden gesprochen werden.
Fürs Zürichdeutsche somit Baan, Jaar, Glaas, Broot (nicht Bahn, Jahr, Glas, Brot), imer, Sumer (nicht immer, Summer), Freihäit (nicht Freiheit).
Auf intensive Darstellung der Verschleifungen wird aber aus Gründen der Lesbarkeit verzichtet: Also nicht Pfrauungkchgindsimpfurt, sondern d Frau und d Chind sind furt.
Das Hauptanliegen der Dieth-Schrift ist es, für alle schweizerdeutschen Dialekte das gleiche System anzubieten, so dass alle Dialekte untereinander, evtl. mit leichten Anpassungen, direkt vergleichbar sind und damit auch von Leuten, die des jeweiligen Dialekts unkundig sind, in die richtige Lautform umgesetzt werden können. Entsprechend wird sie verwendet für die Wörterbücher schweizer-deutscher Dialekte, die vom Verein Schweizer-deutsch (früher «Bund Schwyzertütsch») her-ausgegeben sind, ebenso für die «SDS-Phonogramme», Begleittexte zu den Tonaufnahmen für den Sprachatlas der deutschen Schweiz, wo alle deutschsprachigen Kantone vertreten sind. Ausführliche Texterklärungen sind bei-gefügt.
Die Dieth-Schrift ist also eher für wissenschaftliche Aufzeichnungen geeignet, wird aber auch in Wörterbüchern nicht immer konsequent angewendet. Im eben erschienen «Soorser Wöörterbüechli» (vgl. die nachfolgende Besprechung) z.B. erklärt der Autor, er habe versucht «mit möglichst wenigen zusätzlichen Zeichen, die das Schriftbild zu sehr entstellen und zu stetem Nachschlagen zwingen würden, auszukommen», und sei deshalb
Dieths Vorschlägen nicht immer gefolgt.

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