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PISA – 5. Die Bedeutung des Anteils Jugendlicher aus immigrierten Familien Ergeb

Eine Ursache für die mittelmässigen Lesekompetenzen der Schweizer Jugendlichen liegt sicher im Anteil an Kindern und Jugendlichen aus immigrierten Familien, der in der Schweiz mit knapp 20 Prozent im internationalen Vergleich besonders hoch ist. Ein Teil der Jugendlichen aus immigrierten Familien war im PISA-Test benachteiligt, weil die Jugendlichen die Unterrichtssprache nur ungenügend beherrschen. Diese Schülerinnen und Schüler wurden nicht im Lesen, sondern im Lesen einer Fremdsprache getestet. Streng genommen wurden zwei verschiedene Fähigkeiten geprüft, je nach sprachlicher Sozialisation der Jugendlichen. Die Mehrheit der Jugendlichen aus immigrierten Familien stammt zudem aus bildungsfernen Familien und wird von zu Hause aus nur beschränkt in ihrer Entwicklung und Schullaufbahn unterstützt (Moser, 2002, S. 131).
Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse im Lesen nach dem Immigrationsstatus. Der dunkle Anteil der Säulen zeigt die Anteile an Jugendlichen, die der zweiten Generation von Ausländerinnen und Ausländern angehören, das heisst, sie sind im Gegensatz zu ihren Eltern in der Schweiz geboren. Der helle Anteil der Säulen zeigt die Anteile an ausländischen Jugendlichen, das heisst, sie sind wie ihre Eltern im Ausland geboren. Die durchschnittlichen Lesekompetenzen nach Immigrationsstatus sind als Kreise und Balken auf der internationalen OECD-Skala (Mittelwert von 500 Punkten, Standardabweichung von 100 Punkten) angegeben. Die Abbildung beschränkt sich auf eine kleine Zahl von Vergleichsländern, die als besonders relevant erachtet werden. Australien hat einen noch höheren Anteil von Kindern aus immigrierten Familien zu integrieren als die Schweiz. Kanada hat ebenfalls einen hohen Anteil an Kindern aus immigrierten Familien zu integrieren und ist ein föderalistisch organisiertes und mehrsprachiges Land. Deutschland ist von der Immigration in ähnlicher Weise betroffen wie die Schweiz. Die USA sind ein traditionelles Einwanderungsland, und Finnland ist das pure Gegenteil underreicht zudem im internationalen Vergleich die höchsten durchschnittlichen Lesekompetenzen (OECD, 2001, S. 63).
Die Ergebnisse der Schweiz fallen auf: Die einheimischen Schülerinnen und Schüler liegen immer noch deutlich hinter Finnland und auch noch hinter Australien. Der Rückstand insgesamt hat sich aber – betrachtet man nur die einheimischen Kinder – deutlich verringert: Gegenüber Finnland verringert sich der Rückstand der Schweiz von 52 auf 34 Punkte, gegen-über Australien von 34 auf 18 Punkte und gegenüber Kanada von 40 auf 24 Punkte. Auch der Rang der Schweiz im internationalen Vergleich ist bei einer ausschliesslichen Berücksichtigung der Lesekompetenzen der einheimischen Jugendlichen besser. Rang 12 statt Rang 17. Die Lesekompetenzen der einheimischen Jugendlichen der Schweiz liegen allerdings nur 8 Punkte über dem OECD-Mittelwert, was im internationalen Vergleich kaum als Spitzenergebnis bezeichnet werden kann. Die ausländischen Schülerinnen und Schüler erreichen in der Schweiz hingegen besonders tiefe durchschnittliche Lesekompetenzen. Im internationalen Vergleich sind nur noch die Ergebnisse ausländischer Jugendlicher im Fürstentum Liechtenstein, in Luxemburg und in Mexiko schlechter. Die Ergebnisse der ausländischen Jugendlichen in Australien und in Kanada sind hingegen hervorragend und werden nur noch von jenen aus Irland übertroffen. Sie sind zudem beinahe gleich hoch wie jene der einheimischen Jugendlichen in der Schweiz (OECD, 2001, S. 337). Das heisst, einerseits sind die Bedingungen für die Schweiz auf einen Spitzenplatz im Lesen unter den OECD-Ländern tatsächlich ungünstiger als für Finnland oder für Australien. Andererseits wird der Rückstand gegenüber den führenden Ländern auch bei ausschliesslicher Berücksichtigung der einheimischen Jugendlichen nicht aufgeholt.Eine Betrachtung der Ergebnisse nach dem Immigrationsstatus ist auch in der Mathematik für die Schweiz von Interesse (vgl. Abbildung 2). Die Ergebnisse der Schweiz fallen auch in der Mathematik auf: Die einheimischen Schülerinnen und Schüler erreichen im Vergleich zu den ausgewählten Ländern die höchste durchschnittliche mathematische Grundbildung. Der Rückstand wandelt sich sogar in einen Vorsprung, betrachtet man ausschliesslich die einheimischen Jugendlichen. Gegenüber Finnland verändert sich der Rückstand von 7 Punkten zu einem Vorsprung von 11 Punkten, gegenüber Australien und Kanada verändert sich der Rückstand von 4 Punkten in einen Vorsprung von 12 Punkten. Und der Rang der Schweiz im internationalen Vergleich verbessert sich bei einer ausschliesslichen Berücksichtigung der ein-heimischen Jugendlichen von 7 auf 2. Nur gerade die einheimischen Schülerinnen und Schüler in Japan erreichen eine noch bessere durchschnittliche mathematische Grundbildung als jene der Schweiz.Das Ergebnis der ausländischen Schülerinnen und Schüler der Schweiz bleibt hingegen auch in der Mathematik tief. Wie im Lesen erreichen nur die ausländischen Jugendlichen im Fürstentum Liechtenstein, in Luxemburg und in Mexiko noch schlechtere Ergebnisse als jene in der Schweiz (OECD, 2001, S. 337). Die Ergebnisse der ausländischen Jugendlichen in Australien und in Kanada sind hingegen in der Mathematik kaum tiefer als jene der einheimischen Jugendlichen dieser Länder.
Aus den Ergebnissen könnte gefolgert werden, der Schweiz gelinge die Integration von Schülerinnen und Schülern aus immigrierten Familien nicht in gleichem Ausmass wie Australien oder Kanada. Diese oft gehörte Kritik kann durch die Interpretation der Ergebnisse, wie sie sich in Abbildung 3 präsentieren, relativiert werden (vgl. 6.5.2). Die Säulen zeigen die An-teile an Jugendlichen, die sich zu Hause normalerweise nicht in der Unterrichtssprache unter-halten. Die durchschnittlichen Lesekompetenzen sind als Kreise und Balken auf der internationalen OECD-Skala (Mittelwert von 500 Punkten, Standardabweichung von 100 Punkten) angegeben.
Die Unterschiede zwischen Jugendlichen, die sich zu Hause in der Unterrichtssprache unter-halten, und solchen, die sich zu Hause in einer anderen Sprache unterhalten, sind in der Schweiz und in Deutschland sehr gross. Sie betragen in der Schweiz rund 94 Punkte, in Deutschland rund 114 Punkte. In Australien und in Kanada hingegen betragen sie 30 beziehungsweise 34 Punkte, in den USA 76 und in Finnland 78 Punkte. Interpretation
Die grosse Leistungs-Differenz zwischen den Jugendlichen, die sich zu Hause in der Unterrichtssprache unterhalten und solchen, die zu Hause eine andere Sprache als die Unterrichtssprache sprechen, kann verschieden interpretiert werden. Beispielsweise könnte aufgrund der Ergebnisse gefolgert werden, dass die Förderung der fremdsprachigen Schülerinnen und Schüler in der Schweiz weniger gut als in andern Ländern gelingt. Gerade so nahe liegend ist aber auch die Vermutung, dass einerseits eine andere Population in die Schweiz einwandert als in Australien oder in Kanada. Vor allem Australien verfolgt eine Immigrationspolitik, die sich nach der Ausbildung der Familie richtet. Die Ausbildung ist ein Kriterium, ob eine Familie immigrieren darf oder nicht. Andererseits könnte das Erlernen von Deutsch für Immigranten wesentlich anspruchsvoller sein als das Erlernen von Englisch. Ausserdem gilt es bei all diesen Ergebnisdarstellungen und Interpretationen zu beachten, dass die Verweildauer im Sprach-gebiet zu einem sehr grossen Teil die Leistungsunterschiede zwischen den Jugendlichen aus immigrierten Familien innerhalb eines Landes erklärt. So sind die Ergebnisse bei ausländischen Jugendlichen, die weniger als fünf Jahre in der Schweiz verbracht haben, deutlich schlechter als die Ergebnisse der ausländischen Jugendlichen, die seit mehr als zwölf Jahren in der Schweiz leben und die Schule somit von Beginn weg in der Schweiz besucht haben (Moser, 2002, S. 129). (Urs Moser)

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