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«Die deutsche Sprache brauchen wir nicht mehr»

Zum überbordenden Gebrauch englisch-amerikanischer Ausdrücke im deutschen Alltag zwei Beiträge; zuerst ein Artikel aus den «Sprach-Nachrichten» 1/2000, dem Organ des «Vereins Deutsche Sprache e.V. Dortmund» (vormals «Verein zur Wahrung der Deutschen Sprache»), verfasst von Dr. Franz Baumann, Leiter der UNO-Verwaltung, New York, also von jemandem, dem man schwerlich provinzielle Befangenheit wird vorwerfen können. Den Schluss des Artikels lassen wir weg:
«Kulturelle Selbstverleugnung Deutschlands»
Ich lebe seit über zwanzig Jahren im zumeist englischsprachigen Ausland, habe ausser in Deutschland in England und Kanada studiert und bin mit einer anglophonen Kanadierin verheiratet. Kurz: Ich bin sehr im Englischen
zu Hause und habe diesbezüglich keine Berührungsängste. Allerdings kann es sehr wohl sein, dass mein Leben in verschiedenen Ländern meinen Blick für das Selbstverständnis anderer Kulturen und für deren Deutschlandbild geprägt hat. Mich frappiert seit längerem diese freiwillige kulturelle Selbstkolonisierung Deutschlands, deren Ursprung, so scheint mir, einerseits in einer neu-reichen Vorliebe für das Fremde liegt und die andererseits der infantile Versuch ist, sich von der eigenen Kultur und Geschichte zu distanzieren: Durch ausländische Einsprengsel in der Sprache denkt man sich weniger deutsch – oder hält sich für die besseren Deutschen verglichen mit früheren Generationen. Egal, was der Grund ist, der Ausverkauf der deutschen Sprache erweist sich als politisches Unreife- und kulturelles Armutszeugnis. Die Wahlerfolge rechtsradikaler Gruppen haben auch eine wichtige kulturelle
Komponente: Die als Internationalismus missverstandene Aushöhlung der deutschen Kultur und Sprache und das weitverbreitete verkrampfte Verhältnis zur eigenen Nation sind Dünger für den Nährboden, auf dem der peinliche Gossen-Nationalismus spriesst. Ausserdem ist es ja ein Missverständis zu glauben, man würde im Ausland die kulturelle Selbstverleugnung Deutschlands begrüssen. Mein Eindruck ist gegenteilig: Man mokiert sich über die deutsche Marotte des Anglizismengebrauchs und, anstatt sie als Anzeichen einer willkommenen Weltläufigkeit oder eines gelassenen Internationalismus zu werten, wird sie vielmehr als unglaubwürdige Selbstverleugnung und Anbiederung gesehen, die schon wieder misstrauisch macht.
Ohne verbiestert sein zu wollen, halte ich es für ein Krisensymptom, wenn selbst in seriösen Veröffentlichungen der Leitartikel «Editorial» heisst und eine Sonderbeilage «Special», wenn es beim Fussball nicht mehr Randalierer und Schiedsrichter gibt, sondern «hooligans» und «referees», man anstatt auf Fahrrädern bloss noch auf «City-» oder «Mountainbikes» herumstrampelt und ein Stuttgarter Hersteller «City-radeln» mit «City-Cruiser-Elegance» oder mit dem «City-Shopper» empfiehlt und wenn der grösste deutsche Elektrokonzern (Motto: «Communication unlimited») Zukunftssicherheit dadurch verspricht, dass in dem neuen «S-6 power» für 30 Stunden «Stand-by» Zeit stecken und die neue «Dual-Rate»-Technik dafür sorgt, dass das «Business-Handy» mit «Enhanced Full-rate» das erste der Welt mit «Farbdisplay» ist. Wenn Hunde- und Katzenfutter «MacDog» und «MacCat» heissen, dann, um zum Punkt zu kommen, geht der Quatsch zu weit. Dies hat nichts mit dem normalen Borgen ausländischer Ausdrücke zu tun, was für alle lebendigen Sprachen selbstverständlich ist. Ich frage mich mit zunehmender Irritation, was dieser Blödsinn soll? Sind es bloss Sprach-oder gar Identitätsschwierigkeiten, die in Deutschland grassieren?
Natürlich borgen lebendige Sprachen von anderen. Aber was in Deutschland vor sich geht, gehört in den Bereich der kollektiven Psychopathologie. Es werden nämlich nicht nur Begriffe aus dem Englischen übernommen, für die es keine entsprechenden deutschen – oder vielleicht nicht ähnlich griffige – gibt (z.B. design, fair, governance, point ofno return, teamwork, timing, trend), sondern, was besonders dämlich ist, es werden Anglizismen geschöpft, die es in England, Kanada oder in den USA gar nicht gibt und die kein Mensch versteht; ein «Handy», d.h. ein Mobiltelefon, heisst auf Englisch «cellular phone», ein Sozialarbeiter, der sich um Strassenkinder kümmert, heisst in Deutschland neuerdings «streetworker», was im Englischen aber nur eine Bedeutung hat, nämlich «Prostituierte». Per Anhalter reisen heisst in Deutschland seit langem «trampen», im Angelsächsischen aber «hitch-hiking». Die Französin Brigitte Sauzay, eine Beraterin des Bundeskanzlers, fragt: «Warum heisst die Parade der Schwulen und Lesben eigentlich auch in Berlin ganz amerikanisch ‹Christopher Street Parade›»? und fährt fort: «Die Deutschen sollten zu einer Identität, einer deutschen Identität zurückfinden. Statt dessen lassen sie sich einfach treiben in der Strömung eines globalisierten Ozeans» (zit. In der ZEIT vom 2. Juli 1998, S. 2). Wie zur Bestätigung wird auf der gleichen Seite der ZEIT Berti Vogts unter den «Worten der Woche» wie folgt zitiert: «Es hat mir gefallen, wie meine Mannschaft gefightet hat…»

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