Gegen die Zerstörung der deutschen Sprache durch extremen Feminismus

Das Phänomen Redaktoren, Autoren von Sachtexten, Gesetzgeber und Werbetexter haben die feministische Forderung nach konsequenter Doppelnennung menschlicher Funktionsträger (Athleten und Athletinnen, EidgenossInnen, Arzt/Ärztin, Bezüger/in etc.) weitgehend akzeptiert und dadurch so schwerwiegend in die Sprache eingegriffen, dass die Lektüre nicht bloss ermüdend wirkt, sondern das laute Lesen teilweise sogar unmöglich wird und der Inhalt kaum mehr verständlich ist. Ein Beispiel aus einem Protokoll des Basler Gesundheitsdepartements: „Bereits die mildeste und häufigste Form der Trennung einer „Rolle des Verantwortungstragens“ (Arzt/Ärztin) von einer „Rolle des sich-Anvertrauens und sich-Unterordnens“ (Patient(in) reduziert die Eigenverantwortlichkeit, mit der der/die Patient/in Entscheidungen in Bezug auf seine/ihre Gesundheit trifft. Damit wird der/die „beratende Arzt/Arztin“ zum/zur „entscheidenden Arzt/Ärztin“. In bestimmten Situationen haben Patient/in und Arzt/Ärztin natürlich keine andere Wahl (zum Beispiel bei einer Notfallbehandlung eines Bewusstlosen). Doch bereits die Entscheidung, ob ein vom Arzt/Ärztin empfohlener Wahleingriff durchgeführt werden soll, will der/die mündige Patient/in in Eigenverantwortlichkeit selbst treffen. Demgegenüber nimmt der/die unmündige Patient/in seine/ihre EigenverantwortIichkeit nicht wahr, ohne dass er/sie durch zwingende Gründe daran gehindert würde.“

Meine Position
Ich unterstütze alle Bestrebungen mit dem Ziel, die realen Benachteiligungen der Frauen zu beseitigen. Absr ich wende mich gegen die Zerstörung der deutschen Sprache durch extrem-feministische Forderungen, die auf einem Irrtum beruhen und den Frauen nichts Reales bringt: Denn was soll das schon für ein Gewinn sein, beim Lesen immer wieder die Banalität bestätigt zu bekommen, dass dem Schreiber die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen bewusst war.

Der Irrtum
Der fundamentale sprachwissenschaftliche Irrtum besteht in der Gleichsetzung von biologischer Geschlechtlichkeit und grammatikalischem Genus. Dass diese nicht gleichgesetzt werden dUden, zeigt sich einerseits darin, dass es drei Genus (muskulin, feminin, neutrum) aber bloss zwei Geschlechter gibt, und andererseits in der Tatsache, dass allem Ungeschlechtlichen (der Ofen, die Wolke, das Fass) ein Genus beigeordnet ist. Das Genus wird aber nicht bloss geschlechtlich oder ungeschlechtlich, sondern – in unserem Zusammenhang grundlegend – auch übergeschlechtlich verwendet: der Mensch, der Gast der Flüchtling – die Person, die Persönlichkeit, die Waise – das Kind, das Individuum, das Geschwister. Das gesamte feministische Sprachanliegen wird gegenstandslos, wenn man die zusätzliche übergeschlechtliche Funktion aller drei Genus erkennt. Es ist ebenso ungerechtfertigt wie die Meinung, durch die Bildung der Mehrzahl werde alles Maskuline verweiblicht: der Mann – die Männer.

Auf diesem sprach-wissenschaftlichen Irrtum, woraus der extrem-feministische Eingriff in die deutsche Sprache hervorgeht, beruht ein weiterer Irrtum: nämlich die angebliche Benachteiligung der Frauen durch die Sprache. Vielmehr bevorzugt das Deutsche das weibliche Geschlecht: Das meiste real Männliche unterscheidet sich nicht von der übergeschiechtlichen Form (der Fussgänger kann Mann oder Frau sein, und wenn auf sein männliches Geschlecht Gewicht gelegt wird, muss dies zusätzlich ausgedrückt werden), aber das real Weibliche kennzeichnet die Sprache einerseits mit dem geschlechtsspezifisch gemeinten Wechsel des Artikels (der zu die) und andererseits mit der spezifischen und eindeutigen Endung -in.

Die Konsequenzen
Durch die konsequente Doppelnennung von Funktionsträgern (Lehrerinnen und Lehrer, AHV-Bezügerinnen und AHV-Bezüger) wird erreicht, dass die übergeschlechtliche Bedeutung des maskulinen Genus verloren geht und dann alles Maskuline als real männlich empfunden wird. Das führt zum Verlust des wichtigsten Oberbegriffs der deutschen Sprache, nämlich des allgemeinen, nicht unter geschlechtlichem Aspekt ins Auge gefassten Menschen. Damit wird der Sexismus nicht – wie beabsichtigt – aus der Sprache entfernt, sondern erst konsequent in diese eingeführt. Wer nun über den Menschen in seinen Funktionen und Rollen – unabhängig vom Geschlecht – zu schreiben hat, steht dadurch vor unnötigen und teils unüberwindbaren Schwierigkeiten: Er muss sich zum Ärger sprachlich empfindsamer Leser dauernd unnötig wiederholen und – was schwerer wiegt – kann gewisse logisch erkannte Zusammenhänge gar nicht mehr sprachlich angemessen ausdrücken.

Die konkreten Auswirkungen
Ausgesprochen lästig sind die ermüdenden Wiederholungen: In Lehrplänen kann man heute Dutzende, ja Hunderte von Malen lesen Die Schülerinnen und Schüler sollen … Oder das neue Personalgesetz des Kantons Zug zählt auf rund 180 Zeilen die staatlichen Funktionsträger auf nach der Manier Dipl. lngenieurin oder Architektin/Dipl. Ingenieur oder Architekt. Einzig der Polizeifeldweibel bleibt ohne weiblichen Gegenpart. Eine Hilfe scheint das alle Probleme verkleisternde Wort „beziehungsweise“ zu sein, das aber – auch als Abkürzung – schwer lesbare Texte erzeugt: Die Krankenpflegerin bzw. der Krankenpfleger und der Laborant bzw. die Laborantin sind die engsten Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter der Spitalärtztin bzw des Spitalartes.

Um diesen Ungeheuerlichkeiten aus dem Wege zu gehen, greifen einzelne Schreiber zur Klammer. Zitat aus einer Dissertation: So wird ein(e) Lernende(r) zu einer(m) Lernbegleiterln und umgekehrt. Man lese diesen Satz einmal laut! Er missachtet eine elementare sprachliche Forderung: dass Geschriebenes auch gesprochen werden kann. Sobald Adjektive und abhängige Pronomina verwendet werden, wird die Sprache ausserordentlich umständlich: Der interessierte Leser bzw. die interessierte Leserin kümmert sich immer auch um die Person des unbekannten Autors bzw. der unbekannten Autorin. – Wie künftig ein Deutschlehrer bzw. eine Deutschlehrerin mit den aufgeworfenen Problemen umgeht und ob dann auch sein/ihr Inspektor bzw. seine/ihre Inspektorin damit einverstanden ist, dass er seinen bzw. sie ihren Schülern und Schülerinnen so etwas beibringt, kann heute wohl noch keiner, der bzw. keine, welche die Abschaffung des nichtgeschlechtlich ins Auge gefassten Menschen betreibt, voraussagen.

Eine weitere Komplikation ergibt sich aus der Möglichkeit, Nomen zusammenzusetzen: Geläufig sind bereits Lehrerinnen- und Lehrerzeitung, Lehrerinnen- und Lehrerfortbildung u.a. Künftig werden wir wohl bei der Fahrprüfung den Führerinnen- und Führerausweis erwerben und müssen dann aufpassen, niemanden auf einem Fussgängerinnen- und Fussgängerstreifen anzufahren. Kaum mehr lösbare Probleme ergeben sich bei Koppelung zweier Funktionen: Arbeitervertreter, Lehrer-berater, Patientenbetreuer. Man versuche es einmal feministisch mit dem Satz: Ein guter Lehrerberater sollte zuvor auch ein bewährter Schülerbetreuer gewesen sein.
Zu den künstlich erzeugten Umständlichkeiten gesellt sich die Unmöglichkeit, gewisse Zusammenhänge logisch korrekt auszudrücken. Der Verlust der beide Geschlechter umfassenden Oberbegriffe verhindert Aussagen wie etwa: Müllers sind Schweizer – Als Eheleute seid ihr nicht Gegner, sondern Partner, ja Freunde! – Auf fünf Schweizer trifft es einen Ausländer – Die Eltern sind die ersten Erzieher der Kinder – Frauen sind die vernünftigeren Autofahrer. Dieser Satz (wie viele andere auch) hat keinen Sinn, wenn man – wie in einer feministischen Broschüre verlangt – Autofahrerin schreibt; er ist aber auch sinnlos, wenn Autofahrer bloss noch biologisch männlich gedeutet wird. Ebenso steht es mit der oft aufgestellten Behauptung: Frau Dreifuss ist die hundertste Bundesrätin. Schön wär“s, mag da manche denken.

Hinzu kommt die Ächtung von übergeschlechtlichen, grammatikalisch maskulinen Vokabeln wie etwa man, jeder, jedermann, niemand, jemand, wer. Ein Satz wie Verletze niemanden in seinen Gefühlen lautet feministisch Verletze keinenmann und keinefrau in seinen bzw. ihren Gefühlen. Steht irgendwo Jedermann ist eingeladen folgt prompt die Frage: „Und die Frauen?“ Satzgebilde wie Wer zuviel Energie verbraucht, der oder die sollte zur Kasse gebeten werden kann man praktisch täglich am Fernsehen oder Radio hören. Einfachste Wahrheiten wie Liebe deinen Nächsten werden zu sprachlichen Seifenblasen: Liebe deinen Nächsten und deine Nächste.

Bedenklich ist aber auch die geistige Abkoppelung von allem, was vor 1990 geschrieben wurde. Auf Schritt und Tritt wird der Leser durch die Tatsache geärgert, dass von Einwohnern, Gärtnern, Schülern, Philosophen, Christen usf. die Rede ist, und wird denn alle Autoren entweder für naiv oder maskulistisch verdorben betrachten. Und schliesslich wartet auf die Schule ein Berg neuer Probleme: Als Zugabe zu allem, was die Lehrer bereits zu bewältigen haben, sollen sie nun auch noch das einüben, was extreme Feministinnen eingeführt haben und viele Schreiber bereitwillig befolgen.

Meine Bitte
Die Sprache ist ein geistiger Organismus, in den man nicht derart gewaltsam eingreifen darf, dass wichtigste Ausdrucksmöglichkeiten verloren gehen und Umständlichkeit die Klarheit verdrängt. Ich bitte alle feinfühligen Menschen, ihren Sinn für sprachliche Ästhetik und auch für das natürlich Gewachsene beim Schreiben zu bewahren, auch wenn derzeit die gängige Ideologie anderes verlangt. Sprache darf nicht zur unaussprechbaren Schreibe verkommen, Ich bitte alle, die durch ihr politisches Amt oder ihre berufliche Tätigkeit Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Sprache haben oder nehmen können, den Mut zur Umkehr aufzubringen.

Text von Arthur Brühlmeier
1.September 1994

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