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Kein Rechtschreibfrieden – unzufrieden mit Wörterbüchern

Frankfurt/Main (AP) Eigentlich sollte am 1. August Ruhe einkehren an der Rechtschreibe-Front: Mit einem Jahr Verspätung wird die überarbeitete Rechtschreibreform verbindlich für Schulen und Behörden eingeführt.

„Die Rechtschreibreform hat in zehn Jahren nichts gebracht als Milliardenkosten, dauerhafte Verwirrung und ständigen Ärger beim Schreiben und Lesen“, sagte Friedrich Denk, Deutschlehrer aus Weilheim und Initiator der „Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform“ vom Oktober 1996. Die Reform entwerte alle Bücher in der bisherigen Rechtschreibung, die Schülern ab jetzt verboten sei. „Sie schadet dem Ansehen der deutschen Sprache und Kultur im Ausland, und sie wird noch lange Kosten, Verwirrung und Ärger verursachen.“

Die Forschungsgruppe Deutsche Sprache (FDS) kritisierte den Rat für deutsche Rechtschreibung, dem es an Mut und Willen gefehlt habe, unbrauchbare Regelungen aufzuheben. „Die neue Orthographie des „Sowohl-als-auch“ kann allenfalls in einem langwierigen Lernprozess wieder zu durchgängig sprachrichtigen, intuitiv beherrschbaren und damit auch allgemein akzeptierten Schreibweisen führen“, erklärte die FDS, der Schriftsteller wie Adolf Muschg, Walter Kempowski oder Reiner Kunze angehören. Mitglied des Beirats der Organisation ist auch der Sprachwissenschaftler Theodor Ickler, einer der engagiertesten Rechtschreibreformgegner.

Ickler, der als Vertreter des Schriftstellerverbandes P.E.N. im Rat für deutsche Rechtschreibung sass, war im Februar 2006 aus Protest aus dem Gremium ausgetreten. In seinem neuen Buch „Falsch ist richtig“ kritisiert er zum Beispiel neue Regeln der Worttrennung „Frust-ration“) oder der Getrenntschreibung („Er sah mich viel sagend an“).

Auf viel Kritik bei den Gegnern der Rechtschreibreform stossen die neuen Wörterbücher, in denen das ab (kommenden) Dienstag gültige Regelwerk umgesetzt wurde. „Die neuesten Wörterbücher mit ihrem Durcheinander sind ein neuer Beleg für die fundamentalen Mängel der Rechtschreibreform, die auch in den kommenden Jahren nicht zu einer einigermassen brauchbaren Schreibung führen wird“, sagte Denk.

Und die FDS erklärte, sie sehe sich nach Prüfung der Wörterbücher in ihrer Prognose bestätigt, dass auch die Überarbeitung der Rechtschreibreform nicht zur Wiederherstellung einer funktionierenden Einheitsorthografie führen könne. „Auf dieser Grundlage ist der vorschnell ausgerufene Rechtschreibfrieden nicht zu gewinnen.“

Enttäuscht von den Wörterbüchern zeigte sich auch der schweizerische Sprachkreis Deutsch (SKD). „Ein Rechtschreibfrieden ist noch in weiter Ferne.“

Susanne Gabriel, AP , 28. Juli 2006 (gekürzt skd)

Was heißt hier „verbindlich“?
Am Dienstag also findet eines der unrühmlichsten Kapitel deutscher Kulturgeschichte seinen Abschluss: Die Rechtschreibreform tritt in Kraft – „verbindlich“, wie ihre Erfinder, eitle Sprachbürokraten und überforderte Kultusminister, triumphierend hinzusetzen. Nur: Verbindlich ist hier gar nichts.
Denn erstens müssen lediglich Schulen und Behörden die neue „Recht“-Schreibung zwangsweise übernehmen; dem Rest der Bevölkerung ist es freigestellt, an den alten Regeln festzuhalten. Und zweitens findet sich in den einschlägigen Wörterbüchern eine solche Vielfalt an parallel gültigen Schreibweisen, dass von einer „verbindlichen“ im Sinne von „einheitlichen“ deutschen Recht-schrei-bung ab sofort ohnehin nicht mehr die Rede sein kann.
Der deutsche Sprachraum liegt in Trümmern, und nichts wird die Fragmente in absehbarer Zeit wieder kitten können. Den vorerst letzten Hieb hat ihm ausgerechnet die Redaktion des Duden versetzt, selbsternannter Wächter über die deutsche Rechtschreibung. Der Duden empfiehlt – in krasser Missachtung der Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung – in fast allen Fällen parallel gültiger Schreibweisen die konsequente Getrenntschreibung („sitzen bleiben“ also auch bei Verwendung im übertragenen Sinne für Schulwiederholer!); damit werden auch die zaghaften Versuche des Rechtschreibrates, die eklatantesten Fehler der Rechtschreibreform zu korrigieren, konterkariert.
Georg Anastasiadis, Oberbayerisches Volksblatt, 29. Juli 2006 (gekürzt skd)

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