• Allgemein
  • 0

Charles Linsmayer

Ungeliebt und frisch gesprochen
Deutsch in der vielsprachigen Schweiz

Rede bei der Verleihung des deutschen Sprachpreises
Weimar, 21. September 2007

Oh Deutsch
das du gleichermassen
Dichtung, Bürokratie und Wahnsinn
Auszudrücken imstande bist
ich gehöre zu deinen Bewunderern
und Benutzern
und erfreue mich immer wieder an dir
deinem Wohlklang
der weisse Nebel wunderbar
und deiner Schärfe
Erkenntnis beginnt mit Erfahrung
und der unbeschränkten
Paarungsfähigkeit deiner Wörter
Häusermeer und Ölbaumzweig
doch manchmal
vermisse ich einfach
ein paar Ausdrücke
manchmal
hock i lieber ab
als dass ich mich setze
und kaue lieber am Rauft
statt an der Rinde
und ziehe Cervelats brötle
dem Grillen von Würsten vor
und prägleti Nüdeli dunke mi besser
als gebrannte Nudeln
und pfludrig und pflotsch
ist nasser als matschig und Matsch
und e Göiss
sticht schärfer ins Ohr
als ein Schrei
und wäni chüschele
musst du genauer hinhören
als wenn ich flüstere… »

(Franz Hohler, Teilwiedergabe von «An die deutsche Sprache»,
aus «Vom richtigen Gebrauch der Zeit», Sammlung
Luchterhand 62083, Luchterhand-Verlag, München 2006)

So selbstverständlich wie Franz Hohler, beim eben Gehörten handelt es sich um sein Gedicht “An die deutsche Sprache”, für den das Hochdeutsche oben im Palast unbestritten seine Position wahrt, während im Parterre der Dialekt für Nähe und Geborgenheit sorgt – so souverän, gelassen und humorvoll stehen der spezifischen Deutschschweizer Sprachsituation nicht alle Betroffenen gegenüber. Der in den elektronischen Medien und in der SMS-und Mail Kommunikation von Jugendlichen immer weiter um sich greifende Dialekt isoliere die Schweiz zunehmend von den anderen deutschsprachigen Ländern, kann man hören. Er schwäche den Zusammenhalt mit den romanischen Landesteilen und erschwere den weiteren Spracherwerb. Was sich nicht bestreiten lässt: bei der letzten Volkszählung im Jahre 2000 gaben 66 Prozent der befragten deutschsprachigen Schweizer zu Protokoll, kein Hochdeutsch sprechen zu können: eine Amts–und Schriftsprache, zu der ihnen die persönliche Beziehung fehlt, in der sie sich unsicher und gehemmt fühlen und in der sie eine von Schule und Staat verordnete Fremdsprache sehen, die zu beherrschen angesichts des um sich greifenden, international kompatiblen Englisch scheinbar sinnlos ist. Die Lage kompliziert sich, wenn wir die deutschsprachige Schweiz als Teil eines viersprachigen Landes sehen. 1848, mit der Gründung des Bundesstaates, wurden Deutsch, Französisch und Italienisch offiziell zu Landessprachen, 1938 kam das Rätoromanische dazu. Und obwohl dieses friedliche Nebeneinander in einem Jahrhundert des Nationalismus ziemlich ungewöhnlich war, entwickelte sich daraus nicht eine bewusst gepflegte mehrsprachige Gemeinsamkeit, sondern bloss eine wohlwollende Indifferenz. Ein mehrsprachiges Land aus lauter einsprachigen Gebieten, die aufmerksam über ihre Vorrechte wachen und denen eine klare Abgrenzung wichtiger ist als ein Durchlässigmachen der Grenzen, ein zwar friedliches, aber eben doch nur passives Nebeneinander, um das zu qualifizieren einer der besten Analytiker, der Welschschweizer NZZ-Korrespondent Christophe Büchi, ohne übertreiben zu wollen schon mal das Wort «Apartheid» in den Mund genommen hat. Erst in jüngster Zeit, während in einem vereinten Europa Dutzende von verschiedenen Sprachen in eine gemeinsame Staatlichkeit Eingang fanden, begann die Schweiz in der eigenen Mehrsprachigkeit ernsthaft ein konstituierendes Merkmal ihrer nationalen Identität zu sehen, stellte aber bald einmal konsterniert fest, dass die gegenseitige Sprach-Vermittlung, so wie sie hundert Jahre lustlos betrieben wurde, weitgehend gescheitert ist und die lauthals als mehrsprachig gepriesene Schweiz im Grunde ein Land von Einsprachigen mit kläglichen bis rudimentären Kenntnissen in einer zweiten Landessprache ist – bis auf die Rätoromanen, die um das Erlernen einer zweiten Landessprache nicht herumkommen, und die Kinder von eingewanderten Türken und Kosovo-Albanern, die ganz natürlich in eine zweite Sprache hineinwachsen. Um die Lage zu verbessern, führte man den Unterricht in der zweiten Landessprache bereits in der unteren Primarstufe ein, machte damit aber schon bald eine Frage zum Thema, die die Gemüter noch immer leidenschaftlich beschäftigt: ob der Nachwuchs den Fremdsprachenerwerb mit der helvetisch-staatspolitisch opportunen zweiten Landessprache oder mit jenem internationalen Englisch beginnen soll, das den Zugang zur schönen neuen Welt des Globalismus, des Entertainements und der Computertechnik ermöglicht. Obwohl die welsche Schweiz entschiedener am Primat der zweiten Landessprache festhält als der deutschsprachige Landesteil, wo insbesondere Zürich eine von den Romands mit Enttäuschung wahrgenommene Vorreiterrolle für das Englische übernahm, wurde in dieser Diskussion doch unübersehbar eines deutlich: dass sowohl das Französische als auch das Deutsche – vom Italienischen gar nicht zu reden – in den Augen der meisten Menschen ihre Rolle als Sprachen einer Leitkultur von universalem oder wenigstens europäischem Anspruch eingebüsst und gegenüber dem Englischen zu etwas Zweitrangigem geworden sind. Und dies, obwohl Deutsch und Französisch in ihren schweizerischen Teilgebieten ganz unterschiedlich gepflegt und wahrgenommen werden.[ … ]

(skd) Wir danken dem Autor für die Textüberlassung. (Fortsetzungsteile folgen)

Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar