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Adjektiv für das Ungewisse
Bemerkungen zur Adektivwortbildung zum 125. Geburtstag Franz Kafkas

Neben Leopold von Sacher- Masoch (1836 1895) ist Franz Kafka der einzige Dichter deutscher Sprache, dessen Name heute als Adjektiv dient. “Goethisch“ oder etwas Ähnliches suchen wir im Duden vergeblich. Das Partizip „schillernd“ gehört ebenfalls nicht in diese Reihe, weil es auf die Bezeichnung des Zusammenspiels verschiedener Farben zurückgeht. Mit ,,kafkaesk“ bezeichnen wir etwas Unheimliches, eine dunkle Ungewissheit aber das Wort passt auch gut, wenn etwas so rätselhaft erscheint, dass es mit Worten nicht zu beschreiben ist.

Dem Prager Schriftsteller Max Brod, der den literarischen Nachlass Franz Kafkas nach dessen Tod veröffentlichte, verdanken wir die erste Erwähnung des Wortes, um das Gefühl einer Bedrohung zu beschreiben, welches in den Geschichten seines Freundes Kafka häufig zu finden ist. Die handelnden Personen sehen sich undurchschaubaren Situationen gegenüber, sind Mächten ausgeliefert, die nur schemenhaft zu erkennen sind, und erleben die Welt als Notlage, deren Zustandekommen unerklärlich ist.

Franz Kafka wurde 1883 geboren 2008 feiern wir seinen 125. Geburtstag. Kafka wuchs in Prag auf und studierte dort Jura. Von 1908 bis 1922 arbeitete er bei der halbstaatlichen „Arbeiter UnfallVersicherungs Anstalt“. Kafka hat jüdische Wurzeln, ist Tscheche, spricht und schreibt aber auf Deutsch. Er sagt: „Deutsch ist meine Muttersprache, aber das Tschechische geht mir zu Herzen.“ Sein Einfluss auf die Weltliteratur ist groß; er gilt als der in der Welt bekannteste deutsche Schriftsteller. Der Romanerstling „Der Verschollene“ (1914) bleibt wie „Der Prozeß“ (1914 1915) und die Novelle „Das Urteil“ (1912) unvollendet. Eine zentrale Figur in seinem Leben stellt sein Vater dar, der wohlhabende Kaufmann Arnold Kafka. Dessen abwertende Urteile fürchtet er sein Leben lang. In „Der Verschollene” und im “Brief an den Vater” (1919) ist dieses schwierige Vater Sohn Verhältnis Thema.

Als kafkaesk kann die Lage bezeichnet werden, in der sich viele der literarischen Charaktere Kafkas befinden. Ohne sich einer Schuld bewusst zu sein, wird Josef K., der Protagonist in »Der Prozeß«, eines Morgens verhaftet und zur Gerichtsverhandlung geladen. „Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.« Es gelingt ihm trotz umfangreicher Nachforschungen nicht, herauszufinden, worin seine Schuld bestehen soll. Auf seiner Suche dringt er immer tiefer vor in das Labyrinth einer surrealen Bürokratie. Am Ende wird Josef K. hingerichtet, ohne einen Richter gesehen zu haben. Die Figuren in Kafkas Geschichten sind isoliert und fremd. Besonders Gregor Samsa in der Erzählung “Die Verwandlung“ (1915) spiegelt das wider: Eines Morgens wacht Samsa im Körper eines riesigen Käfers auf, ohne dass diese Entwicklung weiter begründet wird. Die Situationen lassen viele Deutungen zu – allein zu der Erzählung »Das Urteil« gibt es mehr als 200 veröffentlichte Erklärungsversuche.

Das Adjektiv ,,kafka esk“ besteht aus zwei Gliedern. Der letzte Teil, die Silbe esk, stammt aus den romanischen Sprachen, dem Italienischen: esco oder dem Französischen: esque und wird im Deutschen auch in anderen Fremdwörtern verwendet, wie balladesk, grotesk, burlesk, pit¬toresk, gargantuesk. Nicht nur Eigenschaftswörter gehören dazu, auch Substantive, wie Arabeske. Die Sprachwissenschaft zählt diesen Teil deswegen zu den Suffixen (von lat. suffixum, „An , Aufgestecktes“) ebenso wie lich, keit oder ieren. Mit Suffixen können im Deutschen aus Wörtern neue Wörter gebildet oder die Bedeutung der Ausgangswörter verändert werden (zum Beispiel Gift gift ig, eitel Eitel keit). Balladesk beispielsweise wurde im 19. Jahrhundert entlehnt. Es bedeutet: zugespitzt, pointiert, leicht übertrieben. Als Arabesken bezeichnete man ursprünglich nur Verzierungen aus der islamischen Kunst. Aus der französischen Romanfigur Gargantua, einem Riesen, wurde das Adjektiv gargantuesk abgeleitet. Es steht für Eigenschaften, die gewöhnlich Riesen zugeordnet werden: groß, schwer, gefräßig, einfältig. Weitere Verwendungsweisen sind dann nur noch einem Fachpublikum bekannt, so: pikaresk (= schelmisch, gaunerhaft), buffonesk (= einer Opernfigur nachempfunden) oder chaplinesk (= nach dem Schauspieler). Die romanische Silbe darf im Deutschen also einen gewissen Platz beanspruchen, sie ist produktiv geworden allerdings eher in der Feuilleton Sprache.

Kafka erlebte die Karriere seines Namens als Adjektiv nicht mehr. Er starb 1924 in Wien an Tuberkulose. Die deutsche Sprache hat ihm mit Unterstützung des Romanischen ein eindrucksvolles Denkmal geschaffen.

Holger Klatte, Sprachnachrichten 39/Oktober 2008

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