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Sprachfeminismus in der Sackgasse

Das Phänomen

Zahlreiche Redaktoren, Autoren von Sachtexten, Gesetzgeber und Werbetexter haben sich angewöhnt, menschliche Funktionsträger stets doppelt zu erwähnen, und so liest und – soweit es auszusprechen ist – hört man denn allenthalben von Athleten und Athletinnen, EidgenossInnen, Arzt/Ärztinnen und Bürger/innen. In diesen Sprachgebräuchen widerspiegelt sich einerseits die konziliante Haltung der Schreiber gegenüber dem Gleichstellungsanliegen der Frauen; andererseits aber wird dadurch so schwerwiegend in die Sprache eingegriffen, dass die Lektüre nicht bloss ermüdend wirkt, sondern das laute Lesen teilweise sogar unmöglich wird und der Inhalt kaum mehr verständlich ist. Ein Beispiel aus einem Protokoll des Basler Gesundheitsdepartements möge dies belegen:

„Bereits die mildeste und häufigste Form der Trennung einer ‘Rolle des Verantwortungstragens’ (Arzt/Ärztin) von einer ‘Rolle des sich-Anvertrauens und sich-Unterordnens’ (Patient/in) reduziert die Eigenverantwortlichkeit, mit der der/die Patient/in Entscheidungen in Bezug auf seine/ihre Gesundheit trifft. Damit wird der/die ‘beratende Arzt/Ärztin’ zum/zur ‘entscheidenden Arzt/Ärztin’. In bestimmten Situationen haben Patient/in und Arzt/Ärztin natürlich keine andere Wahl (zum Beispiel bei einer Notfallbehandlung eines Bewusstlosen). Doch bereits die Entscheidung, ob ein vom Arzt/Ärztin empfohlener Wahleingriff durchgeführt werden soll, will der/die mündige Patient/in in Eigenverantwortlichkeit selbst treffen. Demgegenüber nimmt der/die unmündige Patient/in seine/ihre Eigenverantwortlichkeit nicht wahr, ohne dass er/sie durch zwingende Gründe daran gehindert würde.“

Es ist kaum anzunehmen, dass jemand mit besonderer Freude solcherart geschriebene Bücher lesen möchte. Angesichts dieses Resultates verwundert es denn auch nicht, wenn zunehmend auch Frauen die neuen Sprachgebräuche als lästig, ja sogar als lächerlich empfinden und keinen echten Gewinn darin zu sehen vermögen, beim Lesen immer wieder die Banalität bestätigt zu bekommen, dass dem Schreiber die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen bewusst war. Meist macht sich die Verärgerung in sarkastischen Leserbriefen oder Glossen Luft. Dies ist aber der Tragweite des Problems nicht angemessen, weshalb hier eine sachliche, auf sprachwissenschaftlichen Überlegungen fussende Analyse vorgelegt werden soll.

Der Irrtum

Das oben zitierte Beispiel ist – neben vielen ähnlich aussehenden Textpassagen – ein deutlicher Hinweis darauf, dass da irgend etwas nicht stimmen kann. Tatsächlich beruht die Forderung nach einer konsequenten Doppelnennung menschlicher Funktionsträger auf einem fundamentalen sprachwissenschaftlichen Irrtum. Die Fehlüberlegung besteht in der Gleichsetzung von biologischer Geschlechtlichkeit und grammatikalischem Genus. Diese Gleichsetzung ist aber unstatthaft, denn es gibt ja drei Genera (Maskulinum, Femininum, Neutrum) aber bloss zwei Geschlechter. Auch wird allem Ungeschlechtlichen (der Ofen, die Wolke, das Fass) ein Genus beigeordnet, was wiederum zeigt, dass biologisches Geschlecht und grammatikalisches Genus keinesfalls gleichgesetzt werden dürfen.

Das Genus wird aber nicht bloss geschlechtlich oder ungeschlechtlich, sondern – in unserem Zusammenhang grundlegend – auch übergeschlechtlich (als Androgynum) verwendet: Der Mensch, der Gast, der Flüchtling – die Person, die Persönlichkeit, die Waise – das Kind, das Individuum, das Geschwister – sie alle können männlich oder weiblich sein. So sind insbesondere sämtliche Funktionen, die praktisch von allen Verben abgeleitet werden können und auf -er enden, trotz des maskulinen Genus nicht biologisch männlich, sondern androgyn zu verstehen. Ein Mensch, der liest, ist ein Leser, einer, der singt, ein Sänger und einer, der arbeitet, ein Arbeiter. Die Forderung nach konsequenter Doppelnennung menschlicher Funktionsträger wird gegenstandslos, wenn man die zusätzliche übergeschlechtliche (androgyne) Funktion aller drei Genera erkennt. Wenn somit heute einzelne Frauen argumentieren, sie möchten bei der Erwähnung menschlicher Funktionsträger (Sänger, Bewohner) nicht „bloss mitgemeint“ sein, so ist dem entgegenzuhalten, dass im erwähnten Androgynum auch die Männer „bloss mitgemeint“ sind.

Für die Nichtübereinstimmung von Genus und Geschlecht ist „das Geschwister“ ein besonders anschaulicher Fall: grammatikalisch ein Neutrum, vom Wortstamm her weiblich und in der Bedeutung übergeschlechtlich. Es wäre unsinnig zu fordern, es z. B. in Gesetzestexten im Zuge der Gleichberechtigung zu ersetzen mit „Geschwister und Gebrüder“, denn – ob es ihnen passt oder nicht – die Gebrüder sind in den Geschwistern mitenthalten. So ergibt etwa der Satz „Die Ehe zwischen Geschwistern und Gebrüdern (oder auch: zwischen Schwestern und Brüdern) ist untersagt“ keinerlei Sinn.

Auf dem erwähnten sprachwissenschaftlichen Fehlschluss beruht ein weiterer Irrtum: nämlich die angebliche Benachteiligung der Frauen durch die Sprache. Vielmehr bevorzugt das Deutsche das weibliche Geschlecht: Das meiste real Männliche unterscheidet sich ja nicht von der übergeschlechtlichen Form. „Der Fussgänger“ kann Mann oder Frau sein, und wenn auf sein männliches Geschlecht Gewicht gelegt wird, muss dies zusätzlich ausgedrückt werden. Aber das real Weibliche kennzeichnet die Sprache eindeutig: einerseits mit dem geschlechtsspezifisch gemeinten Wechsel des Artikels (der zu die) und andererseits mit der spezifischen Endung -in.

Die Konsequenzen

Die Folgen der neuen Sprachgebräuche sind schwerwiegend: Durch die gewohnheitsmässige Doppelnennung menschlicher Funktionsträger (Lehrerinnen und Lehrer, AHV-Bezügerinnen und AHV-Bezüger) geht nämlich die übergeschlechtliche Bedeutung des maskulinen Genus allmählich verloren, und dann wird alles Maskuline als real männlich und alles Feminine als real weiblich empfunden. Damit fällt zuerst einmal alles grammatikalisch Neutrale unter den Tisch, und das Kind, das Mädchen, das Weib und das Individuum, aber auch alle Diminutive (das Knäblein, das tapfere Schneiderlein usf.) müssen sich als biologisch geschlechtslose Wesen empfinden. Darüber hinaus – und dies wiegt schwerer – führt diese Umdeutung des Übergeschlechtlichen in biologisch Geschlechtliches zum Verlust des wichtigsten Oberbegriffs der deutschen Sprache, nämlich des allgemeinen, nicht unter geschlechtlichem Aspekt ins Auge gefassten Menschen. Konnte man ehedem von Einwohnern, Wanderern, Bürolisten, Musikliebhabern, Studenten, Fussgängern, Autofahrern, Christen, Experten, Anfängern, Ausländern usf. sprechen, ohne vorentschieden zu haben, ob es sich dabei um Männer oder Frauen handelt, weil dies im jeweiligen Zusammenhang vollkommen unbedeutend war, so tritt mit der heute üblich gewordenen Doppelnennung die Betonung des Verbindenden, des Übergeordneten, der Funktion zurück und macht der Betonung der Geschlechtlichkeit irgend eines Funktionsträgers Platz. Damit wird der Sexismus nicht etwa – wie gewiss in guten Treuen beabsichtigt – aus der Sprache entfernt, sondern erst konsequent in diese eingeführt. Mit der Beseitigung jener sprachlichen Instrumente, die niemals sexistisch gemeint waren und stets der Darstellung des Allgemeinen, Übersexuellen dienten, nimmt man dem Menschen schlicht und einfach jene Oberbegriffe, die er benötigt, um sich korrekt über einen Sachverhalt zu äussern, in dem es nicht um das Nebeneinander oder die Summe von Männlichem und Weiblichem, sondern um das geschlechtlich nicht relevante allgemein Menschliche geht. Wer nun über den Menschen in seinen Funktionen und Rollen – unabhängig vom Geschlecht – zu schreiben hat, steht dadurch vor unnötigen und teils unüberwindbaren Schwierigkeiten: Er muss sich zum Ärger sprachlich empfindsamer Leser dauernd unnötig wiederholen und kann gewisse logisch erkannte Zusammenhänge gar nicht mehr sprachlich angemessen ausdrücken. Das eingangs zitierte Beispiel belegt dies einwandfrei.

Verfasser: Dr. Arthur Brühlmeier, www.bruehlmeier.info

(skd: wegen seiner Länge stellen wir den Text, sonst unverändert, in zwei Teilen ins Netz).

„Sprachfeminismus in der Sackgasse“

ist erschienen in „Deutsche Sprachwelt“, Ausgabe 36, Sommer 2009, D – 91004 Erlangen

Die fortwährende Betonung des biologischen Geschlechts ist lästig und entbehrlich

Frühere Titel

Sprachzerstörung aus Konzilianz – die Umkehr ist fällig

Wider die Abschaffung des allgemeinen Menschen in der deutschen Sprache

Alibi-Feminismus – kein Gewinn für die Frauen

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