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Tot oder lebendig?

Deutsch als Wissenschaftssprache verliert an Bedeutung

In den meisten Fächern ist die Anglisierung weit fortgeschritten. Ausnahmen bilden die Theologie und Nischenfächer in den Kulturwissenschaften, die an der deutschen Sprache festhalten. Der Haken: Pidgin-Englisch verdrängt eine entwickelte Wissenschaftssprache. Um die Vielfalt der Denktraditionen zu erhalten, starten in einigen Ländern wie auch in Deutschland sprachpolitische Offensiven. Doch ist der Siegeszug des Englischen an deutschen Hochschulen aufzuhalten?

Die Wissenschaftssprache Deutsch ist in die Defensive geraten. Wie sehr sie mit dem Rücken zur Wand steht, erlebt Kai Arras täglich. Mit seinen Kollegen tauscht sich der 39-jährige “ Junior Research Group Leader“ für Robotik an der Universität Freiburg auf Englisch aus. Fachaufsätze gibt es nur im englischen Idiom. Von einem ästhetischen Erlebnis ist die Lektüre vielfach weit entfernt. Akademisches Pidgin-Englisch beherrscht den Alltag: „Bei vielen Papers aus Asien stelle ich mich auf schlechtes Englisch ein“, meint der Ingenieur. Höchstens 20 Prozent der wissenschaftlichen Aufsätze, die er regelmäßig liest, sind seiner Meinung nach in gutem Englisch geschrieben. Der Monolinguismus hat auch Regie im Forscheralltag Oliver Heyers übernommen. Fast 90 Prozent der Lehr- und Forschungsveranstaltungen sind Heyer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Physikalischen Institut der Universität Köln, zufolge bereits auf die englische Sprache umgestellt. „Wir veröffentlichen Forschungsergebnisse nur noch auf Englisch, weil das sonst keiner liest“, erläutert der 38-jährige Physiker.

Widerstand gegen das sprachliche Monopol

Eines Tages wurde es einigen Wissenschaftlern um den Mediziner Ralph Mocikat zu bunt. Und zwar, als auf Kongressen mit ausschließlich deutschsprachigem Publikum Vorträge nur noch auf Englisch gehalten und selbst Privatgespräche unter Forschern auf Englisch fortgeführt wurden. Immer öfter. Die Selbstaufgabe der eigenen wissenschaftlichen Kultur veranlasste die Gruppe, im Jahr 2007 den Arbeitskreis Deutsch als Wissenschaftssprache (ADAWIS) zu gründen. Mit ADAWIS setzt er sich für sprachliche Vielfalt ein, und daher auch für die Erhaltung der Wissenschaftstauglichkeit der deutschen Sprache. „Unsere Denkmuster, das Auffinden von Hypothesen, die Argumentationsketten blieben stets in dem Denken verwurzelt, das auf der Muttersprache beruht“ begründet Mocikat seinen Einsatz.

Kai ArrasDer Arbeitskreis konzentriert sich auf Naturwissenschaften, Informatik und Medizin, weil das Fachbereiche sind, in denen laut ADAWIS die Anglisierung besonders weit fortgeschritten ist. „Durch den ausschließlichen Gebrauch des Englischen im Inland koppelt sich die Wissenschaft immer weiter von der Gesellschaft ab“, so Mocikat. Selbst die deutsche Alltagssprache wird verkümmern, wenn sie wichtigen innovativen Bereichen verdrängt wird, meint der Immunologe. Daher setzt ADAWIS auf eine Strategie der Mehrsprachigkeit.

Dem Kurs haben sich mittlerweile einige Wissenschaftsorganisationen hierzulande angeschlossen. Ihnen geht es nicht darum, das Englische als Weltsprache aus den Wissenschaften zu verbannen – das wäre wie der Kampf Don Quichottes gegen Windmühlen. Es geht ihnen um Mehrsprachigkeit, darum, dass französische Forscher in Französisch, russische in Russisch und deutsche in der Landessprache publizieren. Um die Mehrsprachigkeit wiederzubeleben, die in Europa eine lange Tradition hat, gehen die Präsidenten der Alexander von Humboldt Stiftung, des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD), des Goethe-Instituts und der Hochschulrektorenkonferenz in die Offensive. Sie haben sich am 18. Februar 2009 in einer gemeinsamen Erklärung für Mehrsprachigkeit in der Wissenschaft eingesetzt. „Die Internationalisierung der Wissenschaft bedeutet, dass sich eine mehrsprachige Wissensgemeinschaft herausbildet, die zum einen des Englischen als Lingua franca mächtig ist, um an der weltweiten Fachkommunikation teilzuhaben. Zum anderen gibt sie die eigene Sprache nicht auf“, erklären die Präsidenten. Darum fordern sie, anderen Ländern gegenüber mit mehr kulturellem Selbstbewusstsein aufzutreten. Sie wollen mehr Dolmetscher für Wissenschaftskongresse, mehr Geld für Übersetzungen und Deutschkurse für Gastwissenschaftler.

Ralph MocikatJüngst, im Februar 2010, hat sich der DAAD erneut mit einem Memorandum zur Förderung des Deutschen als Wissenschaftssprache an die Öffentlichkeit gewandt. Diesmal stellt die Organisation sprachpolitische Leitlinien zur Debatte. So sollen herausragende Bedingungen für Lehre, Forschung und Publikation langfristig ein Interesse an Deutschland wecken, das sich auch auf Sprache und Kultur ausdehnt: „Exzellente Wissenschaft ist Werbung für die deutsche Sprache.“ Maßnahmen? Beispielsweise der Export deutscher Studiengänge an ausländische Universitäten. Der DAAD verpflichtet sich sogar selbst, mehr Deutsch in seiner Öffentlichkeitsarbeit zu verwenden. Das Kalkül: Nachahmer finden.

Mobilität für alle

Ist diese Erwartung realistisch? Wie stehen die Arbeiternehmervertreter zur Mehrsprachigkeit? Laut Andreas Keller, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schießen viele Fakultäten und Hochschulen beim ausschließlichen Gebrauch der englischen Sprache national über das Ziel hinaus. Keller plädiert für Mehrsprachigkeit im deutschen Raum. International sei der Zug aber längst abgefahren. Vor diesem Hintergrund sähe es die GEW gerne, wenn jeder Studierende sich einen Besuch im Ausland leisten könnte, um seine Fremdsprachenkenntnisse aufzupolieren: Doch: „Die bisherigen Programme der EU, etwa ERASMUS reichen nicht aus, um allen Studierenden das Recht auf Mobilität zu gewähren“, sagt Keller. Rund 200 Euro pro Monat durch das EU-Austauschprogramm seien eher ein Taschengeld als eine solide Finanzierung einer Auslandsreise. Daher fordert die GEW bezahlbare Sprachkurse und höhere Stipendien für „Stagen“ im Ausland insbesondere für Studierende aus weniger betuchten Elternhäusern, die nebenher meist viel jobben müssen.

„Wort gesucht“

Wie schwierig es ist, die deutsche Sprache im Forschungsalltag wiederzubeleben, hat Anatol Stefanowitsch erfahren. Der Anglist und Sprachwissenschaftler von der Universität Bremen ist Organisator der Vierten Internationalen Konferenz der Deutschen Gesellschaft für Kognitive Linguistik am 7. Oktober 2010. Stefanowitsch hat es den Teilnehmern der Konferenz freigestellt, ihre Beiträge in Deutsch oder Englisch einzusenden. Die Folge: Von rund 140 eingereichten Beiträgen werden nur zwei Referenten im Oktober ihren Vortrag in Deutsch halten. Jeder deutsche Linguist will halt von seinen ausländischen Kollegen wahrgenommen werden.

Anatol Stefanowitsch“Auch in den Geisteswissenschaften hat sich die internationale Wissenschaftskommunikation teilweise schon eingebürgert“, sagt Stefanowitsch. Und ihr das Deutsche aufzuzwingen sei zwecklos. Die Sorge um die Flutung der deutschen Sprache durch die wissenschaftliche Einsprachigkeit hält der Linguist indes für unbegründet: „Dass die Alltagssprache verkümmert, wenn die deutsche Sprache in der Forschung keine Rolle mehr spielt, ist absurd“, sagt der Linguist. Das Deutsche bleibe vital, weil sie in Europa eine der am meisten verbreiteten Sprachen und durch einen lebendigen Literaturbetrieb gekennzeichnet sei.

Doch trotz des Sogs der Lingua franca versucht auch Stefanowitsch der deutschen Sprache im Alltag wieder mehr Raum zu geben. Für die deutsche Version der Konferenzwebseite wollte er nicht mehr ohne weiteres englische Ausdrücke übernehmen, obwohl er Anglist ist. „Call for Papers – wie sagt man das auf Deutsch?“, fragt er im März 2009 in seinem Sprachblog. Er suchte nach einem treffenden Wort für ein „unerträgliches und die deutsche Sprache bedrohendes Sprachmonster“. Nach 25 Antworten und einer mehrtägigen Diskussion unter Bloggern setzte sich „Beitragsaufruf“ durch. Der deutsche Ausdruck hat es schließlich auf die Konferenzwebseite geschafft – als Rubrik auf der Startseite.

Deutsch als Wissenschaftssprache lebt. In manchen Disziplinen allerdings nur noch in einem Reservat. Es hängt nicht zuletzt von der Haltung der Hochschulen und ihrer Dozenten ab, wie sich Deutsch als Wissenschaftssprache zukünftig entwickelt.

Arnd Zickgraf, 24.Mai 2010

Telepolis (Heise) vom 24.Mai 2010

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32509/1.html

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