J.G. Fichte als Sprachschützer

Von Roland Duhamel

Wie uns die Geschichte vom Turmbau zu Babel lehrt, kann Mehrsprachigkeit auch als Strafe verstanden werden. Vielleicht wollen die Deutschen der gottgewollten Züchtigung ausweichen, indem sie auf ihre eigene Sprache verzichten? Die Moderne hat eine Reihe von Querköpfen hervorgebracht, die anderer Meinung waren. Dazu gehört der große idealistische Philosophe Johann Gottlieb Fichte (1762–1814), der in den Geschichten des deutschen Sprachschutzes und der Sprachpflege im Gegensatz zu seinem weniger konsequenten Kollegen Gottfried Wilhelm Leibniz gar nicht vorkommt. Fichte hatte das deutsche Schicksalsjahr 1806 (Jena/Auerstädt; Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation) erdulden müssen und hielt daraufhin 1807/1808 seine berühmten Reden an die deutsche Nation, in denen er sich gegen das Verschwinden der deutschen Nation und Sprache zur Wehr setzt: „Es hängt von Euch ab!“ (14. Rede) Ein ferner Vorläufer unseres gegenwärtigen Kampfes gegen die Angloganz bzw. damals noch die „verderblichen Gallizismen“, wie sie sein Denker-Kollege Arthur Schopenhauer 1851 bezeichnen sollte.

Die 4. Rede enthält Fichtes Sprachphilosophie. Die Sprache macht und bestimmt den Menschen, sein Fühlen, Denken und Urteilen, nicht umgekehrt. Die Sprache wird nicht aus Konventionen zusammengestoppelt, ist kein „willkürliches Machwerk“, sondern „erlebte Anschauung“. Sie ist kein Konstrukt aus „Zeichen“, wie man das heute gerne nennt, sondern besteht aus natürlichen Metaphern, wie sie 65 Jahre später auch Friedrich Nietzsche deuten sollte. Sogar abstrakte Begriffe sind anschaulich-sinnbildliche Symbole und bilden mit der übrigen Sprache eine natürliche Einheit. Das spontane Sprachverstehen wird aber abgebrochen, sobald abstrakte Fremdwörter und mit diesen eine „tote“ Begrifflichkeit eingeführt werden.

Diese sind „leerer Schall“, der nicht erfasst, sondern nur „blind geglaubt“ werden kann. Sprache ist mit anderen Worten ein lebendiger Organismus, der sich über „Jahrtausende“ entfaltet, während durch Fremdwörter infizierte Sprachen an ihre Grenzen stoßen und zusammenschrumpfen. Ihre Begrifflichkeit ist ein Begriffsgerippe bzw. ein „stillstehendes Räderwerk“ (7. Rede) und weder arbeits- noch entwicklungsfähig. Das nennt Fichte, im Gegensatz zu den Sprachen, die wir heute als solche bezeichnen, „tote Sprachen“ (5. Rede).

Fichtes Argument ist – durchaus im Sinne der damaligen romantischen Epoche – ein ästhetisches. Jeder Sprachgebraucher, insbesondere der auf die Sprache angewiesene Denker, ist auch Dichter, nicht etwa weil er sich der Sprache kreativ bediente und mit und in der Sprache Neues zustande brächte, sondern weil er Sprache schafft (5. Rede). Tote Sprachen aber wie das Französische und das Englische könnten unmöglich Dichtung erzeugen! Denn fremde Überreste und Bruchstücke rauben einer Sprache den Atem, wie das bei den „neulateinischen Sprachen“ der Fall sei, die keine „Muttersprachen“ mehr sein könnten. Der solchermaßen stockende Sprachfluss folgt lediglich einer „aus Langeweile und Grille entstandenen Mode“. Diese bezeichnet die 5. Rede wiederholt als „Ausländerei unter den Deutschen“. – „Die Germanier glaubten der Barbarei nicht anders loswerden zu können, als wenn sie Römer [sprich Amerikaner] würden.“ (5. Rede) Unter den Deutschen sei „wenig Deutsches mehr übrig“ (5. Rede). Die Ausländerei gedeiht nicht nur aus „Ungeschicktheit“, sondern nicht selten „aus böser Tücke“, zwecks Täuschung, Betrug, ja Manipulation. Woher kannte unser Philosoph die Werbesprache des 21. Jahrhunderts? Die deutsche Sprache hingegen sei die lebenswahre und -tüchtige, darin nur mit der griechischen vergleichbar, wie es später auch Schopenhauer und Heidegger aufrechterhalten sollten. Dabei hebt Fichte hervor, wie sehr es ihm um die Sprache und nicht etwa um das deutsche Volk gehe, das es in dieser „Reinheit seiner Abstammung“ längst nicht mehr gebe. Welche, wenn nicht unsere Zeit, hat denn Fichte herannahen sehen? Sein Plädoyer für einen lebendigen, natürlich-direkten Sprachgebrauch, der gleichermaßen volksnah und demokratisch wäre, ist modegerechter als so manches Modediktat aus Übersee.

Prof. Dr. Roland Duhamel ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des VDS und Vorsitzender des belgischen Germanistenverbandes.©

Integrale Übernahme aus den Sprachnachrichten 3/2011 des VDS, Dortmund

 

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