Das Französische „denkt“ anders als das Englische

Kaum ein anderer hat sich mit der Bedeutung von Sprache für die Vorstellungs- und Erlebniswelt des menschlichen Individuums so intensiv auseinandergesetzt wie der preußische Universalgelehrte Wilhelm von Humboldt. Der Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant hält Humboldts Philosophie für hochaktuell und sieht darin ein Gegenmodell zum heutigen verkürzten Verständnis von Sprache als „Kommunikation“.

Der große preußische Universalgelehrte Wilhelm von Humboldt ist angesichts der gegenwärtigen Debatte um den Zustand der deutschen Universitäten höchst aktuell: Der Bildungsbegriff des Gründers der Berliner Universität scheint dem diametral entgegenzustehen, was man mit den „Bologna-Reformen“ verbindet. Humboldt hatte die Vorstellung, dass es zunächst um eine zweckfreie Grundlagenbildung gehen sollte, eine freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf die man dann in der konkreten Praxis gewinnbringend zurückgreifen könnte. Der Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant konkretisiert das nun, indem er Humboldts Äußerungen zur Sprachtheorie näher untersucht.

Auch hier bewegen wir uns mitten hinein in aktuelle Auseinandersetzungen. Für Humboldt war die Sprache etwas äußerst Vielfältiges: Die jeweilige Sprache eines Menschen drückt nach seiner Überzeugung sein individuelles Denken aus, und die verschiedenen Sprachen der Menschheit sind deshalb auch verschiedene Ansichten der Welt. Schon das Französische und das Englische „denken“ anders als das Deutsche, von Sprachen in Asien und Übersee ganz zu schweigen. Es gibt Vorstellungen, Assoziationsräume, Ausdrucksmöglichkeiten, die nicht direkt in eine andere Sprache zu überführen sind. Diese Vielfalt der Weltaneignung macht den Reichtum des menschlichen Denkens erst aus.

Jürgen Trabant polemisiert mit diesem Rückgriff auf Humboldt gegen die heutige Verkürzung von Sprache auf „Kommunikation“. Und er polemisiert dagegen, dass man die Vielfalt der Sprachen durch eine einzige globale Sprache – etwa das Englische – ersetzen und sich dabei in allen Einzelheiten „verstehen“ könne. Er attackiert den Mainstream seiner Zunft mit Beschreibungen wie diesen: „Denken scheint etwas Sprachloses zu sein, auf das man Zeichen klebt, die man anderen gibt, die daraufhin genau dasselbe denken.“

Trabant definiert die Sprachwissenschaft als eine klassische Geisteswissenschaft. Mit dem Rekurs auf die Antike, das „Fundament“ in Latium und Hellas, mit der Beschreibung des für das Bürgertum und die Philologien des 19. Jahrhunderts zentralen Humbolt’schen Bildungsbegriffs und verschiedenen Ausflügen in die historische und gegenwärtige Sprachwissenschaft zeigt sich ein großes Panorama. Trabants Vorliebe für exzentrische, abseits der Normen bestehende kleine Sprachen, wie etwa das Baskische, steht neben einer exemplarischen Auseinandersetzung mit dem Sprachbegriff Noam Chomskys oder einer Problematisierung des Verhältnisses von Ästhetik und Sprachwissenschaft am Beispiel Karl Vosslers. Der Autor begibt sich mit seinem grundlegenden Buch in das Spannungsfeld heutiger Bildungspolitik. Dass „Bildung“ mittlerweile allgemein verkürzt wird auf angewandte Techniken, sofortige Verwertbarkeit, Nützlichkeit im Sinne der Wirtschaft – das erscheint nach der Lektüre dieses Buches als ein kardinales gesellschaftliches Problem.

(Besprochen von Helmut Böttiger)

Jürgen Trabant: Weltansichten – Wilhelm von Humboldts Sprachprojekt, Verlag C.H. Beck, München 2012 / 352 Seiten, 39,95 Euro

Deutschlandradio vom 2.Okt.2012
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1881797/

 

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