Hat der Mohr seine Schuldigkeit getan?

mohrenkopfStellungnahme zum aktuellen Streit um politisch-korrekte Wortverbote

Im Feuilleton, auf den Leserbriefseiten und Netzforen der österreichischen Presse ist in den vergangenen Wochen der Streit darüber wieder heftig aufgeflammt, ob sich die Verwendung von althergebrachten Namen und Eigenbezeichnungen politischen Erwägungen und moralischen Rücksichtnahmen unterzuordnen habe. Es geht um bekannte „Sündenfälle“ des geographischen und ethnischen Wortschatzes, aber auch um bestimmte traditionsreiche Wortschöpfungen und Fügungen etwa aus der Küchensprache des Deutschen in Österreich. Die Bundeswirtschaftskammer hat den Gastwirten jüngst nachdrücklich empfohlen, auf „diskriminierende“ Speisenamen zu verzichten … – Inwiefern darf und soll Gesinnungspolitik in die gewachsene Gestalt der Sprache regulierend und reglementierend eingreifen? In den beiden folgenden Kurzbeiträgen äußern zwei regelmäßige Mitarbeiter der „Wiener Sprachblätter“ ihre Meinung zur Debatte. [hier vorerst ein Kurzbeitrag, red.]

Ein Gespenst geht um in Wien: der Tugendbold des Wortverbots! Dieses Unwesen besitzt Keulen als Arme und einen scherenförmigen Rachen. Damit versucht es, auf Andersdenkende einzuschlagen und aus deren Reden unliebsame Wörter herauszuschneiden. Seit Wochen sind die hiesigen Gazetten Schauplatz eines heftigen Streits, den die Befürworter und Gegner von Bezeichnungen wie Mohr im Hemd, Zigeunerschnitzel, Eskimo-Eis, Frankfurter Würstel (Wiener Würstchen) usw. führen.

Am stärksten setzen sich die Verfechter der politischen Korrektheit für Sprachverbote ein. Nur selten dürften ihre Vorschläge jedoch im Einklang mit den tatsächlich Betroffenen stehen. Das zeigt der Fall der Zigeuner. So mancher der nunmehr als Sinto oder Roma Bezeichneten wehrt sich dagegen: Er sei eben doch ein Zigeuner und damit gewiß etwas Besseres. Der angeblich positiv besetzte Sammelbegriff Sinti und Roma soll zwar die Großsippen der Lovara, Kalderascha/ Kelderara, Tschurara etc. als Gleichberechtigte einbeziehen, dennoch bleiben diese ungenannt.

Der Mohr im Hemd ist eine Köstlichkeit aus Schokolade, Semmelbröseln, Zucker, Eiern, Nüssen, Mandeln und Rotwein und hat die Form eines kleinen Guglhupfs (Napfkuchens). Nun wollen feinfühlende Kritiker diese Bezeichnung von den Speisekarten der Konditoreien und Cafés verbannen – wegen „kolonialer“ und „rassistischer“ Nebentöne. Der untere, schwarzbraune Schokoladeteil stehe nämlich für die Nacktheit des Afrikaners, dem erst ein sauber-weißes Schlagobershemd übergezogen werden müsse. Schon 2009 versuchte die Firma Eskimo (Unilever Österreich) mit dem geistvollen Werbespruch „I will mohr!“ ein Speiseeisprodukt zu bewerben, dessen Aussehen an jene Altwiener Mehlspeise erinnerte. Das führte zu Beschwerden beim Österreichischen Werberat und schließlich zum Abbruch der Kampagne. In Wien wurde anstelle des Mohrs jüngst ein Othello im Hemd angepriesen; auch die Namen Schokohupf oder Kakaohupf wurden als Ersatz vorgeschlagen. Der Mohr aber befindet sich seit dem Mittelalter gänzlich neutral im deutschen Wortschatz. Er stammt ursprünglich aus dem Griechischen, wurde anfangs für die nordafrikanischen Mauren und später für alle dunkelhäutigen Menschen verwendet.

Die Firma Eskimo war somit gleich doppelt von der Sprachreinigungswut des Tugendboldes bedroht: Schließlich darf man heute von den Arktisbewohnern, nach denen sie sich benennt, nur mehr als Inuit reden. So lautet deren Eigenbezeichnung; Eskimo ist ihr indianischer Name, bedeutet „Rohfleischesser“ und wurde inzwischen als abwertend eingestuft.

Es tun sich hier weite Felder für sprachpolitische Sittenwächter auf: Kapuziner und Fiaker etwa sind typische Wiener Kaffeespezialitäten. Da kommen harte Zeiten des Protests auf die geistlichen Kuttenträger und die Vereinigung der Pferdekutscher in Wien zu! Auf einem weiteren Kampfplatz stellt Slowenien, in dessen Staat sich die Region Krain – die alte Grenzmark des Hl. Röm. Reiches – mit der Hauptstadt Laibach (Ljubljana) befindet, Alleinvertretungsansprüche auf die Käsekrainer, eine vom Wiener besonders geschätzte Wurstspezialität. Ein Ausweg bietet sich an: Man möge sie Käsegreiner nennen, denn das hübsche Donaustädtchen Grein (mit dem ältesten erhaltenen und bespielten bürgerlichen Theater in Mitteleuropa) liegt in Oberösterreich und gönnt den Weanern gewiß den herben Genuß.

Daß ein von oben verordneter „Neusprech“ einen wichtigen Bestandteil bilde, wenn man über die Gedanken anderer Kontrolle erlangen wolle, haben moderne Utopien wie George Orwells 1984 vor Augen geführt. Hier in Wien bewahrheitet es sich: Es scheint eine Generation heranzuwachsen, der ein manipuliertes Geschichtsbild geboten wird – so sie sich angesichts eines „Migrationshintergrundes“ von rund 30 Prozent überhaupt noch für die österreichische Vergangenheit interessiert. Sie lernt nicht mehr, eine gewachsene Sprache zu verwenden, sondern übt sich in einer in vielen Bereichen deutlich gelenkten. Ob sie es einmal merken wird, daß man sie nur für den Konsum und als Stimmvolk benötigt?

Da mag es ein schwacher Trost sein, daß vor knapp 3.500 Jahren der Ketzerpharao Echnaton seinem Volk eine ähnliche Gehirnwäsche verordnet hatte und diese das Wesen der Ägypter doch kaum zu verändern vermochte. Nach dem Tode des Herrschergottes verschwand die neue Lehre mit all ihren Symbolen und „Geßlerhüten“ fast spurlos vom Erdboden. – Merk’s Wien!

Norbert Prohaska

Wiener Sprachblätter • Juni 2012 • Wortwechsel [geringe Anpassungen, red]

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