Wie Migration die deutsche Sprache rasant verändert

SPRACHFORSCHUNG

Wandlungsfähig war die deutsche Sprache schon immer – doch durch den Zuzug von Migranten hat sie sich besonders stark verändert. Unter anderem sind zahlreiche neue Wortbildungen die Folge, wie Sprachforscher belegen. Auch die Grammatik wird beeinflusst.

Als die Ulk- und Werbenudel Verona Pooth Ende der 90er Jahre (damals noch Verona Feldbusch) für eine Telefonauskunftsfirma den Satz prägte „Da werden Sie geholfen!“, ging ein Aufschrei durch das Bildungsbürgerdeutschland. Wenig später war der Slogan Kult und die falsche Grammatik salonfähig. Natürlich war dies damals nicht Evas linguistischer Erst-Sündenfall, wohl aber lässt sich daran gut erkennen, wie ungemein wandlungsfähig die Sprache sein kann – allen Regeln zum Trotz.

Professor Uwe Hinrichs von der Universität Leipzig untersucht seit vielen Jahren die anfangs schleichende, mittlerweile rasante Veränderung der deutschen Sprache durch den Einfluss der Migranten in unserem Land. Angesichts von 16 Millionen Migranten mit bedingten Deutschkenntnissen kann es nicht verwundern, dass ihr Sprach(un)wissen direkten Einfluss auf die Alltagssprache hierzulande hat. Dabei mag es überraschen, dass „Russisch mit rund drei Millionen Sprechern mittlerweile die nach Deutsch (und noch vor Türkisch) am zweithäufigsten gesprochene Sprache“ bei uns ist, wie Hinrichs in seinem Buch „Multi Kulti Deutsch“ betont. Arabisch, Jugoslawisch, Albanisch und Polnisch kommen dazu, natürlich das Englische mit Anglizismen nicht zu vergessen.

Dieser sprachliche Schmelztiegel, in dem wir uns nun einmal befinden, führt nicht nur zu zahlreichen neuen Wortbildungen, sondern vor allem zu einer deutlichen und nachhaltigen Zersetzung des sprachlichen Regelwerks, also der Grammatik.

Deutsche Sprache wird radikal vereinfacht

Dabei wird das komplexe Gerüst nicht nur aufgebrochen und verändert, nein, es wird radikal verkürzt und vereinfacht. Wer einer fremden Sprache nicht mächtig ist, bedient sich eben der überschaubaren Elemente, die er kennt. Jeder macht das aus seiner eigenen muttersprachlichen Perspektive heraus, bringt dies in den gemeinsamen Sprachpott ein und rührt mit den anderen Regelutensilien tüchtig um. Daraus entstehen dann Formulierungen wie „Ich mach dich Messer“, „Hast du U-Bahn?“ oder „Ich weiß, wo dein Haus wohnt“, die man vielleicht belächeln kann, die aber eben doch die radikale Vereinfachung der Sprache beispielhaft zeigen.

Hinzu kommt noch ein Wesentliches: Die vier Kasus (Fälle) des Deutschen befinden sich – zumindest teilweise – in der Auflösung. Der Genetiv ist vielerorts weitgehend ausgestorben, der Dativ wird bereits bis zur Unkenntlichkeit gebeugt. Uwe Hinrichs: „Der Akkusativ wird das Rennen machen.“

In der Praxis führt dies alles zu einer parallelen Zweisprachigkeit von Hoch- und Stadtteildeutsch. Der Düsseldorfer Sprachwissenschaftler Prof. Rudi Keller bringt es entsprechend erbarmungslos auf den Punkt: „Die systematischen Fehler von heute sind mit hoher Wahrscheinlichkeit die neuen Regeln von morgen.“ Soll heißen, die honorigen Bemühungen etwa des Dortmunder Vereins Deutsche Sprache e. V. mit seinen 36.000 Mitgliedern wird wohl über kurz oder gar nicht so lang vor der Übermacht der 16 Millionen Sprach-Migranten kapitulieren müssen.

„Genauer Kasus ist nicht mehr nötig, es funktioniert auch ohne“. Formulierungen wie „Das ist mehr interessanter“ oder „Er stellt die Lösung des Problems in der Verantwortung seiner Mitarbeiter“ nennt Prof. Hinrichs daher heute schon „mündliches Normaldeutsch“. Und seien wir ehrlich: Bereits vor Jahrzehnten stand doch auf jeder zweiten Speisekarte „Schnitzel mit Pilze“ und die Nachbarin grüßte herüber: „Ich habe gerade die Wäsche aufgehangen.“

Die Sprache verändert sich also dramatisch. In gewisser Weise hat sie das immer schon getan, nur nicht so schnell und umfassend wie gegenwärtig. Aber sie kann es sich offensichtlich leisten. Noch einmal Prof. Hinrichs: „Die Botschaft lautet: Genauer Kasus ist nicht mehr nötig, es funktioniert auch ohne.“

Hagen, 27.Dez. 2013, Andreas Thiemann

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