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Betrachtungen zu Gotthelfs SpracheINSERT INTO `skd_posts` VALUES(3. Folge)

In der 2. Folge versuchte ich das Verhältnis Hochsprache – Mundart bei Gotthelf ein wenig zu beleuchten, ein für Gotthelf zentrales Thema; es steht auch in dieser letzten Folge im Mittelpunkt. (ar)Kritik an Gotthelf – Gotthelfs Antwort

Wie hat man zu Gotthelfs Zeit seine Sprache beurteilt: die vielen Mundartwörter, die Derbheiten, die langen Partien nachlässiger Umgangssprache? Was hat er selber dazu gesagt? Zur ersten Frage: Gotthelf wurde von allen Seiten kritisiert – Mundart an und für sich
hätte man angenommen; denn es gab ja Mundartdichtung schon vor Gotthelf; man denke an Leute wie Johann Peter Hebel, den Zürcher Martin Usteri und Gottlieb Jakob Kuhn, Gotthelfs älteren Amtsbruder in Burgdorf. Aber es hätte eine literarisch polierte Mundart sein müssen; unablässig redete man Gotthelf zu, er solle seine Bücher nicht mit derben, ja unflätigen Ausdrücken überladen.
Wie hat Gotthelf geantwortet? Meistens mit Ja – aber. Manchmal gibt er scheinbar reumütig zu, er müsse das Berndeutsch ablegen, schränkt jedoch sofort ein: …aber so recht bezeichnen, was ich eigentlich bezeichnen will, kann ich dann nicht mehr. (5: 23) – oder: …was ich meiner Natur abringen kann, und was ich der Sache angemessen glaube, soll geschehen. Aber das ist eben der Teufel, dass meine Natur mir immer sagt, so müsse es sein und nicht anders, und dabei verflucht hartnäckig ist. (5: 253) – Gewichtiger als solche abwehrenden Äusserungen scheinen mir positive Erklärungen, in denen er seiner schriftstellerischen Eigenart und seines Wertes voll bewusst ist. Wenn er ein Werk beginne, sagt er mehrmals, so komme ein Geist in die Arbeit, und dieser Geist ist mächtiger als ich, und in jede Person kommt ein Leben, und dieses Leben fordert
seine Rechte… (5: 243) Bei der Arbeit am
Anne Bäbi Jowäger schreibt er, es gebe ihm oft lange zu sinnen, was jetzt so ein Anne Bäbi
oder ein Mädi antworten müsse… (5: 244) Die-sen Gedanken hat er in der Antwort auf eine Kritik prägnant verallgemeinert: Aber wenn eine Person spricht, so muss ich sie reden las-sen nach ihrer Art, ich mag wollen oder nicht, ich muss den bezeichnendsten Ausdruck wählen, wie grob er sein mag, das Ding ist stärker als ich. (6: 90) – Nachdrücklich ist aber festzuhalten, dass Gotthelf kein Mundart-dichter war und auch keiner sein wollte.

Eine «schöne» Geschichte neben einer «wahren» Geschichte

Zum Glück war das Ding stärker, hatte Gotthelf genügend künstlerisches Selbstbewusst-sein, liess er sich nicht allzu sehr glätten. Man versteht dies sogleich, wenn man ein Stück Modeliteratur jener Zeit mit einem Gotthelf-Text vergleicht. Ich wähle dazu eine reichlich sentimentale Geschichte aus dem Almanach Alpenrosen, Jahrgang 1817. Sie trägt den Titel Die Alpenrosen und erzählt, wie der Senn Uli den armen Wildheuer Sepp verletzt in den Flühen findet und in dessen Hütte, eigentlich nur ein Dach über einer Felshöhle, bringt, wo Sepps Tochter Marie ihn schon lange, inbrünstig auf den Knien betend, erwartet hat. Marie, als Kind engelschön, ist durch die Pocken entstellt; aber die Schönheit ihrer Seele vermag alles zu überstrahlen. Uli besucht Sepp und seine fromme Tochter Marie täglich und sorgt für ihr leibliches Wohl. Doch trotz aller Fürsorge muss Sepp sterben:

Als Uli am Abend des siebenten Tages kam, empfing ihn Marie mit verweinten Augen.
Ach, ich bin eine Waise! war alles, was sie sagen konnte. Uli, selbst von Wehmut ergriffen, ehrte ihre Trauer. Stillschweigend trat er an“s Sterbelager des Erblassten, auf dessen Angesicht sanfter Friede lag, und überliess sich den Gefühlen, die solch ein Anblick in menschlichen Gemütern erweckt. Nach einer langen Pause ergriff er Mariens Hand. Ich traure mit dir, redete er sie an. Du hast nun keinen Vater mehr auf Erden – aber einen Freund, der sich auf ewig mit dir verbindet, wenn du willst. Marie, willst du mein seyn? – Marie weinte. – Die Wehmut über ihres Vaters Tod, und dieser, leise zwar gewünschte, aber noch kaum gehoffte Antrag Uli“s überwältigte ihre Gefühle. Sie konnte nicht reden; aber ihr Herz, ihre Miene, ihr Händedruck sprachen: «ja!»

Die Stunde, in welcher sich zwey Herzen mit einander vereinen, ist eine heilige. Hier, am Sterbebette des Vaters und Freundes, hier, wo nur Unschuld und Tugend den Bund der Liebe und der Treue schlossen, war sie es doppelt.

Bin ich deiner Liebe wert? – fragte Marie. Ewig und unveränderlich, antwortete Uli. Eine lange Umarmung folgte, die erste in seinem, die erste in ihrem Leben, und beyder Tränen flossen in einander.

Zweifellos eine gut gemeinte Geschichte, eine hochmoralische auch – aber wie papieren: Alles wird im gleichen Ton erzählt, in wohlgesetzten, schönen Worten – zu schön für diese Welt, ist man versucht zu sagen. Kann der einfache, bescheidene Uli in seiner Erschütterung Sätze bilden, die einem Pfarrer auf der Kanzel wohl anstünden? Wird er beteuern: Ewig und unveränderlich? Wirken nicht alle Reden wie angeklebte Spruchbänder?

Zum Vergleich ein Text aus Gotthelfs Geschichte Der Besenbinder von Rychiswyl. Wie in der Alpenrosen-Erzählung sind auch im Besenbinder die Hauptgestalten arme, ein-fache Landleute. Hansli erlernt das Handwerk eines Besenbinders und kann seine Mutter und sich durchs Leben bringen. Jeden Dienstag schleppt er einen Karren voller Besen nach Bern. Dabei begegnet er einem weinenden Mädchen, das für seinen Vater, einen Schuhmacher, Schuhe nach Bern bringen muss, sich aber vor der Wache am Stadttor fürchtet. Hansli versteckt die Schuhe unter seinen Besen, das Mädchen hilft ihm ziehen, und Hansli
erfährt, wie viel leichter sein Karren zu zweit sich nach Bern schleppen lässt. Deshalb kommt er auf den Gedanken, das Mädchen zu heiraten:

Hansli fuhr und fand sein Meitschi, und als Hansli in der Stange, das Meitschi jetzt am Strick wacker zogen, sagte er: «Es geht doch mehr als ds Halb ringer, wenn zwei einander helfen und am gleichen Karren ziehen. Ich war am letzten Samstag in Thun und musste mich fast töten.» «Habe es schon oft gedacht», sagte das Meitschi, «es sei einfältig von dir, dass du nicht jemand anstellest; es ging dir alles halb so leicht, und der Verdienst wär grösser.» «Was willst», sagte Hansli, «bald sinnet man zu früh auf eine Sache, bald zu spät, man ist halt gäng e Mensch. Aber jetzt däucht es mich, ich möchte eine anstellen; wenn du wolltest, du wärst mir gerade recht. Ich wollte dich heiraten, wenn es dir anständig ist.» «He, warum nicht, wenn ich dir nicht z“wüst und z“arm bin», antwortete das Meitschi. «Hast mich einmal, so nützt dich dann das Verachten nichts mehr. Ich werde es auch nie viel besser treffen; öppe einen bekömmt man immer, aber dann was für einen? Mir bist brav genug, hast Sorg zur Sache und wirst e
Frau nit für e Hund haben.» «He, sie kann es
haben wie ich, und ist ihr das nicht gut genug, so kann ich nicht helfen», antwortete Hansli. «Aber ich denke, schlimmer, als dus bisher gehabt, würdest du es bei mir nicht haben. Ists dir recht so, so sollst am Sonntag zu uns kommen, die Mutter lässt dir sagen, du sollest Gottwilche sein, wenn du sie für die Mutter halten wollest.» «He», sagte das Meitschi, «was sollte ich anders, bins gewohnt, die Mutter für die Mutter zu halten, mich zu unterziehen und es anzunehmen, wie es kömmt, böser und minder böse, sauer und minder sauer. Habe nie geglaubt, ein böses Wort mache ein Loch, da hätte ich ja kein Stück Haut einen Kreuzer gross am ganzen Leib.» Daneben wolle es, wie üblich und bräuchlich, Vater und Mutter vorbehalten haben. Daneben werden die nichts dagegen haben, es seien ihrer noch genug daheim, und sie würden froh sein, vor-abzustossen, was gehen wolle. (XXI: 174 f.)

Der Gegensatz zur Almanach-Geschichte könnte kaum grösser sein: Gotthelfs Gestalten reden im Ton nüchterner Sachlichkeit mit-einander; die Ehe erscheint als reiner Zweckbund zweier Menschen, die vortrefflich zusammenpassen: Beide kommen aus armem Hause, beide sind arbeitsam und anspruchslos; sie spüren, dass sie einander gut ergänzen. Ihre Sprache ist demgemäss einfach und mundartnah. Allerdings: Auch in diesem Text stehen nur wenige wirkliche Mundartwörter, darunter wichtige Gefühlsträger wie Meitschi, ds Halb ringer, z“wüst und z“arm, Gottwillche; auffällig sind die mundartlich getönten Ausdrücke: gäng e Mensch, Sorg, wirst e Frau nit für e Hund haben; dazu der mundartlich geprägte Satzbau, vor allem im häufigen Fehlen des Personalpronomens: Habe es schon oft gedacht…, was willst…, hast mich ein-mal…, Mir bist brav genug, hast Sorg zur Sache und wirst e Frau nit für e Hund haben.»

Das Gespräch endet mit einer humoristischen Pointe: Der Vater des Mädchens hat die Stube voll Kinder und ist deshalb froh, …vor-abzustossen, was gehen wolle…; abstossen kommt aus der Bauernsprache: Man stösst ältere Tiere ab, um Platz für die jüngeren zu schaffen. Aber trotz aller krassen Nüchternheit bekommt der Leser kaum den Eindruck, die zwei Menschen seien gefühllos, hätten keine Liebe; am Anfang spricht Hansli eine schlichte Lebensweisheit aus, die als Stern am Ehehimmel leuchten wird: Es geht doch mehr als ds Halb ringer, wenn zwei einander helfen und am gleichen Karren ziehen. – Walter Muschg dazu: Diese Liebesgeschichte und das Verlobungsgespräch an der Deichsel des Besenkarrens sind schlechthin einzig. Sie enthüllen den Stolz und den eigenen Lebensstil, die der echten Armut eingeboren sind. Vor solchen Szenen steht man wie vor einem Wunder, nur Gotthelf konnte sie erfinden. (Walter Muschg, Jeremias Gotthelf. Eine Einführung in seine Werke. Bern 1954)

Der bezeichnendste Ausdruck… vom schwierigen Übersetzen


In den späten 40er Jahren, als Gotthelf mit dem Berliner Verleger Julius Springer in Beziehung trat, hat er frühere, stark mundartlich geprägte Werke ins Hochdeutsche übersetzt, u.a. den Roman Wie Uli der Knecht glücklich wird. Er wollte es selber tun, denn, schreibt er im Vorwort, er allein sei imstande, …das obwaltende Hindernis zu heben, ohne
die individuelle Eigentümlichkeit und die nationale Färbung zu verwischen. Das war eine verzeihliche Selbsttäuschung: Seine Übersetzungen sind ziemlich schwach. Die wichtigsten Gründe dafür:

Es fehlte ihm die nötige Musse: Gotthelf schrieb seine Bücher neben der pflichtbewussten Führung eines vollen Pfarramts, und er schrieb sie in atemberaubender Kadenz. Meist arbeitete er an mehr als einer Geschichte nebeneinander – wie hätte er da die Geduld aufbringen können, die das Übersetzen nun einmal fordert!

Seine in Briefen geäusserte Einsicht bewahrheitet sich auch hier: Das Ding war stärker als er; wenn er den bezeichnendsten Ausdruck… wie grob er sein mochte, gefunden hatte, dieser Ausdruck aber einfach unübersetzbar schien, was sollte er sich da weiter abmühen?

Ich möchte dies an einem Text aus dem 9. Kapitel des Uli-Romans zeigen. Der fort-laufende, kursiv gedruckte Text gibt den Wortlaut der ursprünglichen, stark mundartlich gefärbten Fassung wieder; die Stellen, die Gotthelf für die hochdeutsche Fassung (Springer 1854) geändert hat, sind in der ursprünglichen, kursiv gesetzten Fassung unterstrichen; die neue, verhochdeutschte Formulierung wird jeweils in eckiger Klammer nicht-kursiv dazugesetzt. Besonders auffällige Stellen sind fett gedruckt.

Auf dem Hof des Bodenbauern arbeiten zwei Mägde: die Meisterjumpfere Stini, eine zänkische, hässliche «Werchader», die aber fürs Leben gern einen Mann hätte, und Ürsi, die Untermagd, ein hübsches, flatterhaftes Ding, das auch möglichst rasch zu einem Mann kommen möchte, um es, wie sie meint, dann ihr Lebtag gut zu haben. Beide versuchen Uli zu gewinnen und merken bald, dass sie Nebenbuhlerinnen sind:

Stini schimpfte über die Mannevölcher, [Mannsleute] welche einem jeden Schlärpli nachliefen und beim Weiben [Heiraten] nur auf das Gfräss [Gesicht] sähen, und sagte Uli, er sei gerade einer von den Dümmsten und Nichtsnutzigsten, er sei eigentlich gar nicht wert, dass ein bravs Mönsch [brav Mensch] sich mit ihm abgebe. So einer, der so eim wie dem Ürsi [Einem wie Uersi], dem liederlichsten Uflat, nachsehe und sich mit ihm abgebe, dem sött me dHose achela [sollte man noch die Rute geben]. Mit so eim [einem] zähl essich dann notti nicht zusammen. Wenn es schon kein solch Gesichtli hätte, das man nicht an der Sonne brauchen könne, wenn es nicht abschiessen [erbleichen] solle, so hätte es doch zwei Dutzend Hemder [Hemden] und sieben Paar Sommerstrümpfe und fünf Winterstrümpfe (einer sei ihm verloren gegangen), vier Kittle [Mieder], zwe verflucht brav und zwe minger, und dann Geld hätte es auch noch, es sage nicht, wieviel. Aber wenn es mit eim [Einem] anfinge zu husen [Haus zu halten], so für zwei Bett und zwei Kühe und vielleicht für ein Schaf auch noch brauchte der keinen Kummer zu haben. Das wär doch dann öppis angers als son es Plätterfüdle, wo nit emal Geld hätte für Stroh z“kaufe, wenn es es einmal wischen möchte [etwas Anderes, als so ein liederlich Mensch, welches nicht einmal Geld hätte, um Wolle zu kaufen, wenn es einmal seine Strümpfe flicken möchte]. Es könnte viel noch sagen, aber es sei kein so Anlässiges, das meine, es müsse einmal mannen [aber es meine dann nicht, dass es geheiratet sein müsse]; es hätte zu leben, und sein lediger Leib sei ihm auch noch etwas wert. Allbets [Ehedem] hätte es schon lange einen Mann gehabt, und vor zwanzig Jahren hätte es mehr als einmal mannen [heiraten] können, aber jetzt sei nichts mehr zu machen, unter Hunderten gäbe [gebe] es keinen vernünftigen Bursch [Burschen] mehr; son e Mistmore sei heutzutage allen lieber als es brav Mönsch mit einer guten Hinterlag [ein brav Mensch mit etwas Geld]. (95 f.)

Dieser Text zeigt alles, was wir bisher beobachten konnten, vielleicht eine Spur deutlicher. Man beachte etwa, wie Gotthelf durch einen sprunghaften Satzbau Stinis Beschränktheit zum Ausdruck bringt, z.B. in der Mitte des Textes im langen Satz: Wenn es schon kein solch Gesichtli hätte,… so hätte es doch… Stini will gegen den Leichtsinn der hübschen Nebenbuhlerin ihre eigene Tüchtigkeit herausstreichen; aber sie tut es naiv, in-dem sie Ungleiches miteinander verknüpft; man könnte glauben, jemand müsse hässlich sein, um zu Besitz zu gelangen; der Nachsatz und dann Geld hätte es auch noch… entspricht kindlichem Erzählen: Was beim Reden vorweg einfällt, wird mit der Formel und dann ans Vorhergehende angehängt. Komisch auch der Schluss: Allbets hätte es schon lange einen
Mann gehabt… Ein unerfüllter Wunschtraum wird wie etwas Wirkliches in die Vergangenheit projiziert.

Nun aber Gotthelfs Übersetzen – Vieles (d.h. die meisten unterstrichenen Stellen) kann man als brauchbar hinnehmen. Anderes hingegen ist fraglich. Zunächst fällt Gotthelfs Inkonsequenz auf: Mönsch korrigiert er zu Mensch, Gesichtli und Uflat indessen bleiben stehen, das mag noch hingehen; kaum ein-leuchtend ist: zwe verflucht brav… zwe minger… Notti lässt er einfach weg. Völlig unverständlich dünkt mich, dass er Schlärpli und Mistmore nicht übersetzt. Mist ist zwar ein hochdeutsches Wort, bei More hingegen werden deutsche Leser fragen, ob damit eine Möhre, eine Rübe also, gemeint sei. Für ganz verfehlt halte ich die Übersetzung des drastischen Bildes vom Plätterfüdle. Vermutlich dachte Gotthelf, das sei für seine deutschen Leser zu grob, fand aber keinen gleichwertigen Ersatz; denn das ursprüngliche Bild ist wohl das, was er im zitierten Brief den bezeichnendsten Ausdruck nannte: Er ist derb und übertrieben und drückt Stinis Neid aus; aber er ist zugleich aussagekräftig und zutreffend; denn er stellt den wahrscheinlichen künftigen Zustand dar: Wenn nämlich Ürsi so leichtsinnig und oberflächlich bliebe und, ein-mal verheiratet, nur noch auf der faulen Haut läge, so könnte sie im wörtlichen und im übertragenen Sinn bald einmal ein Plätterfüdle werden – vielleicht hätte sie dann tatsächlich kein Geld mehr für Stroh zum Putzen des Hintern. Gotthelfs Bild ist also folgerichtig und kohärent. Vielleicht finden Sie, meine Deutung sei zu weit hergeholt; doch Gotthelf selber lenkt uns auf diese Spur: Ürsi sei ein Schlärpli (von schlarpe – schlurfen, langsam gehen) sagt Stini am Anfang; zudem hat Gotthelf mehr als einmal Geschichten von jungen Leuten erzählt, die faul, genussüchtig und leichtfertig in den Tag hineinleben und zu-letzt im Bettel, in Schmutz und Elend versinken; übrigens weist auch seine Übersetzung in diese Richtung: aus dem Plätterfüdle wird ein liederlich Mensch, das nicht einmal Wolle kaufen könne, um seine Strümpfe zu flicken; Gotthelf übernimmt also aus dem mundartlichen Bild die eben erläuterte moralische Komponente: Er spricht hier direkt, aber abstrakt aus, was das deftige Bild uns vermuten lässt. Damit ist auch das Hauptmerkmalseiner Übersetzungen genannt: Sie sind blasser, abstrakter als die Vorlage.

Weitere Gesichtspunkte

Ich habe aus dem weiten Feld zwei Themen ausgewählt und gleichwohl auch bei diesen zweien etliche Aspekte nur gestreift oder überhaupt nicht berührt, u.a. die Vielfalt und Kraft der Bildersprache, dialektologische Aspekte von Gotthelfs Mundart und Probleme ihrer Rechtschreibung, die gesellschaftliche Rolle der Mundart: Wer spricht Mundart, wer Hochdeutsch? Ich habe diese Frage ausgeklammert, weil Gotthelf hier nicht eindeutig festzulegen ist: Ob eine Gestalt Mundart spricht, hängt nicht vorrangig von ihrer gesellschaftlichen Stellung ab; Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht, Bildungsstand und persönliches Format bestimmen dagegen sehr wohl, wie jemand Mundart redet, ob die feine eines Liebiwyl-Änneli oder die animalisch-grobe eines Zyberlihoger-Lisi, eines Mädi oder eines Stini.


Von der Macht des Wortes

Zum Schluss möchte ich zu Grundsätzlichem zurückkehren und fragen, wie Gotthelf die Sprache an sich auffasste, ihr Wesen, ihren Ursprung, ob und wie sich die Auffassung von Sprache und der Umgang mit ihr seit Gotthelf gewandelt haben. Wie in einigen andern Bereichen steht Gotthelf, was diese Frage an-geht, am Beginn einer Wende. Wir erleben in unsern Tagen ein lawinenhaftes Anwachsen von Spracherzeugung und Sprachverbrauch in den Medien, vom Buch über Radio und Fern-sehen bis zum Internet, einen Verschleiss von Sprache – im Vergleich dazu war Gotthelfs Zeit geradezu idyllisch. Unser Jahrhundert hat gigantische Möglichkeiten der Manipulation, der Verführung durch Sprache entwickelt, wir haben schlimme Beispiele politischen Missbrauchs von Sprache miterlebt – Gotthelf spürte, vor allem in den späteren Jahren, solche Gefahren heraufkommen: Sein leidenschaftlicher Kampf gegen radikale Politiker hat damit zu tun.

Unsere Zeit hat wohl auch das Vertrauen in
die Verlässlichkeit der Sprache weitgehend verloren. – Hier fühlte Gotthelf sich noch auf sicherem Boden: Er vertraute der Sprache, er glaubte, mit Sprache lasse sich etwas ausrichten. Er wollte, ich habe es am Anfang dargestellt, an der Geschichte mitbauen; er tat es mit dem Wort; denn er glaubte an die Macht des Wortes. Das Wort, auch das Wort eines Menschen, ist mächtig, weil Gott selber sich in diesem Wort offenbart, das Wort seine Schöpfung ist. Im Roman Uli der Pächter schreibt Gotthelf:

Es ist eine wunderbare Sache um die Macht des Wortes, nicht umsonst hat so mancher Aberglaube sich damit vermischt; dass zum Beispiel das Wort des Menschen Macht habe über Gott, so dass er müsse töten oder wettern, je nachdem, das Wort die Macht habe, aus den Gräbern die Toten zu rufen und zu öffnen die Schatzkammern der Erde. Aber ein fromm, vertrauensvolles Wort zum Vater im
Himmel, eine Bitte aus innigem Herzen, was
hat sie nicht vermocht, und wie oft hat nicht ein Wort geschlagen in das Herz des Sünders wie der Blitzstrahl aus einer Donnerwolke? Wie oft nicht ein Wort das Andenken grosser Verstorbener herbeigerufen, neues Leben geweckt in den Herzen der Enkel? Wie oft ist nicht das Wort in Herzen gedrungen, hat Steine von den Gräbern gesprengt, unter welchen die edelsten Kräfte begraben lagen, und ein junger, schöner Frühling erblühte, wo früher Öde war und totes Gestein? (XI: 298)

Wir sind wieder beim Ausgangspunkt, bei Gotthelfs Theologie. Im Juni 1831, fünf Jahre, bevor Der Bauernspiegel erschien, predigte Gotthelf an drei Sonntagen hintereinander über die Verse 1–12 aus dem 3. Kapitel des Jakobusbriefs. Ich vermute, Vers 5 habe ihn besonders inspiriert: Also ist auch die Zunge ein kleines Glied und richtet grosse Dinge an. Siehe, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet“s an! – Sprache als göttliches Wunder, Verantwortung gegenüber der Sprache, Miss-brauch von Sprache, «Zungensünden» – das sind seine Themen.

Es fällt auf, wie Gotthelf, sobald er zu den praktischen Themen kommt, zum Umgang mit Sprache, zum Sprachmissbrauch, in fast epischer Breite ausholt und Motive seiner spätern
Dichtung ausbreitet. So schildert er u.a., wie Spannungen zwischen Menschen entstehen, wie leicht man einander kränken kann und wie schwer die Versöhnung einzuleiten ist:

Man wird durch gereizte Heftigkeit im Betragen seine innere Verletzung kundgeben oder durch gehässige Bitterkeit im Tone, so-bald man sich beleidigt glaubt. Dann zieht eins das andere nach, ein Wort lockt ein anderes hervor, und ehe man es sich versieht, schlägt der Streit, der anfangs mit einem vernünftigen Wort geschlichtet worden wäre, in helle Flammen auf. (17: 201)

Da wird vorweggenommen, wie der Streit auf Liebiwyl in Geld und Geist aus nichtigem Anlass entsteht. – So schildert Gotthelf andere Missbräuche der Sprache, geisselt die «Zungensünden», ermahnt zu verantwortungsvollem Umgang mit Sprache, zeigt eindringlich, was liebe Worte vermögen – das alles begegnet uns später im dichterischen Werk. Wes-halb diese Ermahnungen und Aufrufe? Antwort darauf gibt die erste der drei Predigten über die Sprache als eine kostbare Gabe Gottes, als ein den Menschen anvertrautes Pfund, mit dem er verantwortungsvoll um-gehen soll. Aus dieser ersten Predigt zum Schluss einige Sätze:

Selten einer denkt, wie unendlich die Weisheit des Schöpfers sein muss, der mit so geringen Werkzeugen im Menschenmunde… so Grosses für den Menschen ausrichten konnte. Es ist dieses ein Wunder der Allmacht Gottes, das wenige bedenken, eben weil es so einfach ist, so natürlich scheint, so wie von sich selbst entstanden…

Was wir sind in geistiger Rücksicht, haben wir der Sprache zu verdanken. Der Freuden, der Genüsse edelste werden durch die Sprache uns…

Durch die Sprache allein gelingt es ja den Eltern, die Kinder zu vernünftigen Geschöpfen heranzubilden, ihre Fähigkeiten zu entwickeln, die Gefühle zu leiten zur Frömmigkeit, den Willen zum Gehorsam…

So… ist die Sprache das köstlichste Vorrecht und das wunderbarste, das er [der Mensch] in seinem Körper besitzet, er kann Gott nicht genug dafür danken. (17: 196 ff.)

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