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Seppi a de Wiggere – Leben für das Hinterland

Vortrag von Lothar KaiserBloss eine kleine Schar von Zuhörern hatte sich am 28. Mai im modern gestalteten «Jardin» des Evangelischen Gemeinschaftswerks, dem Wintergarten des alten Sandsteingebäudes, eingefunden. Um es gleich vorwegzunehmen – sie wurden für ihre Mühe reichlich belohnt!

Zuerst begrüsste Dr. Alfred Reber, der Redaktor der MITTEILUNGEN, die Unentwegten und stellte das Buch vor, das im Mittelpunkt der Ausführungen von Lothar Kaiser stand: «Seppi a de Wiggere – Leben für das Hinterland». Der Verfasser, Josef Zihlmann (1914–1990), interessiert Alfred Reber nicht zuletzt deswegen, weil er über Menschen schrieb, die in einem ähnlichen Gebiet lebten wie die Gestalten Gotthelfs. Bloss auf der andern Seite des Napf-Massives, aber in viel bescheideneren Verhältnissen als die Bauern des Emmentals.

Der Referent des Abends, ehemaliger Seminardirektor, jetzt Konservator am Historischen Museum Luzern und Geschäftsführer der Schenkung Dr. phil. Josef Zihlmann, hat Josef Zihlmann persönlich gekannt und öfters mit ihm zusammen geweilt.

Zihlmann, es lässt sich kaum anders aus-drücken, lebte buchstäblich für seine Heimat, das Luzerner Hinterland. Eine Fotografie zeigt einen intelligenten, gut aussehenden Kopf mit äusserst gepflegtem Bart – bezeichnend für den Perfektionisten, der er war: Auf unzähligen Karteikarten hat er die Eigenheiten seines Gebietes minuziös festgehalten. Geboren in Hergiswil am Napf als Sohn eines Leiternmachers und Sigristen, wuchs Zihlmann in sehr bescheidenen Verhältnissen zusammen mit zehn Geschwistern auf. In der kalten Jahreszeit blies der Wind durch das Gebälk des Hauses, das kaum geheizt werden konnte. Obwohl die Schulzeugnisse des jungen Josef keine tiefere Note als die 6 aufwiesen, wurde er in keiner Weise gefördert. Er wäre aufgrund seiner Leistungen für das Gymnasium prädestiniert gewesen, musste aber früh für die grosse Familie Geld verdienen. Als Tagelöhner war er u.a. als Holzarbeiter, Goldwäscher und Schreiber tätig.

Ein Kurs auf dem Herzberg beim «edlen Sozialisten» (so Lothar Kaiser) Fritz Wartenweiler weckte den Schriftsteller in ihm. Damals wirkte er als Versicherungsvertreter; mit unermüdlicher Ausdauer ging er von Haus zu Haus. Im November 1937 entstand die erste Geschichte in Mundart, der «Zytschangi», die im «Willisauer Boten» nach dem Willen des Verfassers anonym erscheinen sollte. Der Redaktor setzte aber trotzdem einen Namen darunter: Seppi a de Wiggere. Diese – von Zihlmann anfänglich wenig geliebte – Bezeichnung blieb ihm dann sein Leben lang er-halten. – Im Militär brachte er es zum Korporal, der während des Zweiten Weltkriegs der Sektion «Heer und Haus» zugewiesen wurde.

1940 heiratete Zihlmann Caroline Fischer; mit ihr gründete er eine grosse Familie. Von den sechs Kindern starb jedoch ein Knabe durch einen Unfall noch während der Primarschulzeit. – In seinem Hauptberuf als Usego-Detaillist gestaltete der Vielseitige mit Geschick und Kunstsinn seine Schaufenster; jedes einzelne hielt er sogleich fotografisch fest – auch hier war er der Sammler.

Wegen seiner Geradlinigkeit und Zivilcourage hatte er in der Politik nicht allzuviel Erfolg. Nachdem er drei Jahre lang Gemeindepräsident in Gettnau gewesen war, trat er zurück, weil er mit seinen Ratskollegen ein gestörtes Verhältnis hatte.

Innerhalb der Usego verlief seine Karriere steil aufwärts. Er wechselte aber dann über zur «bio-familia AG» in Sachseln, wo er die Stelle als Vizedirektor erhielt. (Zihlmann war übrigens der erste, der den heutzutage fast zu Tode strapazierten Ausdruck «bio» im Lebensmittelgeschäft verwendete.)

Bei einem in so manchem begabten Menschen erstaunt es wohl kaum, dass er auch im Zeichnen überdurchschnittliche Fähigkeiten besass. Im Nachlass befindet sich eine dicke Mappe mit Kohlezeichnungen. Im Dezember 1978 wurde er von der Universität Freiburg zum Ehrendoktor ernannt, 1992 bekam er den Innerschweizer Kulturpreis. Diese und noch weitere Ehrungen gefielen ihm sehr, durchaus verständlich für einen Menschen, der aus einfachsten Verhältnissen hervorgegangen ist.
Die Manuskripte für seine zahlreichen Lesungen bereitete er zu Hause aufs sorgfältigste vor, auch hier war er peinlich genau. Religiöse Volkskunde fesselte ihn sehr; er ging all den vielen kleinen Kapellen seiner Umgebung nach und schrieb über die Suche der einfachen Leute nach Heilung mittels Gebeten zu den entsprechenden Heiligen.

Nach Zihlmanns Auffassung steckt in jedem Menschen ein «Konglomerat» von Erb-anlagen, Einflüssen der Umwelt usw., ähnlich dem Nagelfluh-Gestein des heimatlichen Napfgebirges. – Am 10. Januar 1990 beendete ein Hirnschlag das Leben des aussergewöhnlichen Menschen.

Die grösste Bedeutung von Josef Zihlmann liegt nach Lothar Kaisers Ansicht darin, dass er den Leuten seiner Umgebung ein grösseres Selbstbewusstsein gegeben hat. Die Hinterländer haben nun das «Wiggertaler-Museum»
Klösterli auf Schloss Wyher in Ettiswil. Sie sind alle stolz darauf, obwohl die wenigsten es jemals besucht haben.

Der fesselnd gestaltete Vortrag wurde ergänzt durch die Tonaufzeichnung einer von Zihlmann gelesenen Erzählung. Die äusserlich einfache Geschichte «Die lange Leiter» berichtet hintergründig von der Jugendzeit des Autors. Als Knabe war er stolz darauf, einen Vater zu haben, der eine Leiter mit 40 Sprossen machen konnte und der «den Weg weiss». Zugleich kommt aber dann die sich anbahnende Loslösung vom Vater: dank einer im Schulunterricht abgegebenen Karte kennt nun auch der Heranwachsende den Weg (ins Emmental), und zwar genauer, als der Vater ihn im Gedächtnis hat.
Kurt Meister

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