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«Chlyne Ma» und grosser Dichter

Zur Erinnerung an den Brienzer Mundart-dichter Albert Streich1897, also 100 Jahre nach Jeremias Gotthelf, kam in Brienz der bekannte Mundartdichter Albert Streich zur Welt. Auf dem Brienzer Quai wurde zu seinen Ehren 1969 – neun Jahre nach seinem Tod – ein vom Brienzer Künstler Arnold Huggler geschaffenes Denkmal eingeweiht; vor allem die Brienzer Frauen hatten sich dafür eingesetzt. Für die «Hasli Zeitung/Der Brienzer» vom 23. Mai 1997 verfasste Michael Gehrken eine Würdigung, die wir leicht gekürzt und mit Ergänzungen von Frau Schild aus Brienz wiedergeben. (ar)

Albert Streich kam am 26. Mai 1897 in den damals noch üblichen bescheidenen Verhältnis-sen zur Welt. «Mit sechs Geschwistern ist Albert Streich in einem Doppelwohnhaus an der Birgisgasse in Brienz in dürftigen Verhält-
nissen aufgewachsen. Die Mutter… hatte mit dem kargen Taglohn ihres Mannes auszukommen, und die Sorge um das tägliche Brot über-schattete die ganze Jugendzeit des Dichters.» Mit diesen Worten hat Alfred Ruef die Jugendzeit des «Hüters unserer Brienzermundart» nach dessen Tod am 7. Dezember 1960 beschrieben. Albert Streichs 1923 verstorbener Vater war wie viele Brienzer im ersten Viertel des Jahrhunderts im Taglohn als Waldarbeiter und Wildbachverbauer tätig.



Mit bleichem Gesicht


Trotz dieser eher kargen Verhältnisse musste die Familie nie eigentlich Hunger leiden. Dass die harte Jugend sein späteres Wirken den-noch geprägt hat, ist wahrscheinlich. Jeden-falls erlangte Albert Streich nie jene Kraft und jenes gesunde Aussehen, wie es sich seine späteren Leser in der ganzen Schweiz vorstellten. «Als ich nach einiger Zeit dem Brienzer Dichter selber gegenüberstand, er-schrak ich über sein Aussehen», erinnert sich 1961 Carl Seelig an seine erste Begegnung mit Streich. «Dieser kleine, hagere Mann mit dem bleichen, knochigen Gesicht entsprach so gar nicht dem Bild des stämmigen, von der Höhenluft braungebeizten Naturburschen, das wir uns von einem Mitbürger machten, der aus einer Berggegend stammt … Wieviel Entbehrungen und Enttäuschungen, wieviel Bitternis und Sehnsucht nach einem kleinen, bescheidenen Platz an der Sonne sprachen aus diesem Gesicht, dessen herber Mund nicht sagen wollte, was in seinem Inneren vorging!»

Enttäuschungen musste Albert Streich in seiner Jugendzeit tatsächlich hinnehmen. Gerne wäre er Lehrer geworden. Doch dieser Traum zerschlug sich schon bald, wobei gewisse Konflikte mit seinem Lehrer dazu bei-getragen haben mögen. Hinzu kam, dass der Mundartdichter von früher Kindheit an körperlich eher schwach war. «Am meisten hat zu seinen Enttäuschungen der zermürbte Körper beigetragen, der ihm schon früh das Gefühl der Lebensuntüchtigkeit und der Saftlosigkeit einer Schattenpflanze einjagte», kommentierte Carl Seelig. Seine stets angeschlagene Gesundheit machte später auch das Schreiben immer wieder zu einer mühevollen Aufgabe, wobei «der gierige Zigarettenkonsum mit-geholfen hat, seine Gesundheit zu unter-höhlen».


Abgebrochene Ausbildungen

Nachdem er in Brienz die Primar- und Sekundarschule absolviert hatte, verdiente er seinen Lebensunterhalt in der Wildbachverbauung und als Gelegenheitsarbeiter. Mit 19 Jahren liess er sich zum Schriftsetzer ausbilden, arbeitete danach an verschiedenen Orten als Gehilfe, musste aber aus Gesundheitsrücksichten den Beruf aufgeben. Später war er als Hilfskondukteur der Brienz-Rothorn-Bahn, als Wald- und Strassenarbeiter tätig. In der Krisenzeit lernte er Bären schnitzen und betrieb mit einem Kollegen eine Uhrensteinbohrerei, die aber einging. 1924, nachdem er sich mit seiner Lebensgefährtin Amalie verheiratet hatte, wurde er von der Gemeinde als Hilfspolizist angestellt. 1940 übertrug man ihm schliesslich das Kriegswirtschaftsamt, ehe er anschliessend bis zu seinem Tode die Gemeindeausgleichskasse und die AHV-Zweigstelle führte und damit für sich und seine Familie, die in der Zwischenzeit auf vier Kinder angewachsen war, sorgen konnte. Dazu trug später auch der Umstand bei, dass die Gemeinde Brienz «dem Sänger der Brienzermundart noch zu Lebzeiten», wie Alfred Ruef dies rückblickend beschrieb, anfangs der fünfziger Jahre zu einem symbolischen Preis von einem Franken einen Baugrund von sechs Aren «verkaufte»; was dies für den Dichter bedeutete, ist aus dem nachfolgenden Gedicht herauszuspüren. Doch schon bald sollte die Krankheit Albert Streich zu schaffen machen. «Der neue ‹Tschuri› ist zwar angefangen. Aber ich muss immer viel liegen und diätkostieren, und da will es kein rechter Spass sein, die Freizeit mit Schreiben zu nützen», schrieb er bereits im Dezember 1957. Am 7. Dezember 1960 starb Albert Streich im Spital Interlaken.

Eine tiefe Freundschaft verband ihn mit dem Kunstmaler Peter Flück aus Schwanden, der seinen aussergewöhnlichen Charakter-kopf malte. Das Meisterwerk seines Freundes hängt im Gemeindehaus «Dindlen» in Brienz. Es war wohl die grosse Heimatliebe, die den einen zum begnadeten Maler, den andern zum feinfühlenden Dichter werden liess.


Michael Gehrken

Wunsch

I han eggheis Eggelli Boden,

nid Handbreits hed ma mier glaan,

waruf i mmi chennti ge rroden

(rroden = sich rühren) als eigenna Heer im Huus stahn.

I mechti o Saammen ge sääijen i fiechta, bruunlochtiga Häärd;

(bruunlochtiga = bräunlich) i wellti o Chooren gen määijen

und das mer der Wiin im Fas gäärd.

I mechti – mid eimm Wort se’s z sägen – i ds Herrgotts Haguuten und Sägen,

(Haguuten = Zucht) i Schatten und Sunneschiin

o entli eis sässhafta siin.


Albert Streich


Aus Albert Streichs Jugenderinnerungen (1. Teil)

1972 hat Dr. Hans Sommer – den meisten Mit-gliedern der BUBENBERG-GESELLSCHAFT als feinsinniger und unwahrscheinlich belesener Sprachkritiker und Sprachbetrachter in lebendiger Erinnerung – einen Sammelband her-ausgegeben: «Uf Bärnerbode. Jugenderinnerungen von Gotthelf bis Dürrenmatt». (A. Francke Bern, 1972)

In diesem Sammelband gibt Hans Sommer längere Ausschnitte aus Albert Streichs Jugenderinnerungen «Tschuri» wieder. Er schreibt in der Einleitung zu Albert Streich: «Der Brienzer Albert Streich (1897 bis 1960) gehört zu den grossen Talenten des schweizerischen Schrifttums, seine gesammelten ‹Briensertiitsch Väärsa› zu den reichsten Zeugnissen der schweizerischen Dialektkunst.» – In der heutigen und den folgenden Nummern drucken wir diese Ausschnitte ab. (ar)

Eines Frühsommerabends – um die Hausecken strich der Duft von Kartoffelrösti und frisch aufgeschüttetem Kaffee – schaffte die Mutter im Garten, während ich mich mit dem älteren Bruder nebenan um ein braun und weiss gestreiftes Schneckenhaus als gegenseitig begehrtes Wertobjekt balgte. Das Schnecken-haus gehörte mir, es war das überraschende
und seltene Ergebnis hartnäckiger Sucharbeit in den Löchern einer bröckelnden Mauer gewesen. Nun machte der stärkere Bruder es mir streitig mit dem endlichen Erfolg, dass ich es in der vor Abwehrhaltung fest geballten Faust zu Scherben zerdrückte in dem Augenblick, als die Mutter scharf herüberrief, wir sollten aufhören.

Eine daherkommende Nachbarsfrau fängt die Worte der Mutter auf und ruft zurück: «Ja, die Buben! Sie können nicht beieinandersein, ohne sich die Köpfe zu verhauen.»

Die Mutter richtet sich hierauf am Schaufelstiel hoch und tut Bescheid: «Es ist gut, dass der Jüngere auch bald zur Schule muss, so kommt er ab der Gasse und dem Schulmeister in die juckenden Hände. Unsereins mag ihm nicht immer Meister werden!»

Unterdessen haben der Bruder und ich uns wieder einträglich mit dem Rücken an den Gartenhag gelehnt und sehen der Nachbarin gwundrig auf das Maul.

«So, der Tschuri muss auch zur Schule?» sagt sie und schaut mich freundlich lachend an. «Dann gehst du mit unserer Marie, die ist im gleichen Alter.»

Wie die Frau das sagt, erlebe ich zuinnerst eine Enttäuschung. Ich, ein Bub, mit einem Mädchen zur Schule gehen? Das muss doch irgendwie erniedrigend sein. Dagegen muss man sich auflehnen. Trotzig und frech geschieht es:

«Nein, mit einem Mädchen mache ich das nicht!»

Da lacht die Frau auf und eine Scholle heraus, sagt noch: «Warte bis du zwanzig bist!» und geht dann ihres Weges. Aus dem Lachen und ihren Worten kann ich nichts machen. Die Mutter hingegen redet halblaut und am Schaufelstiel herunter von einer dummen Trätsche und arbeitet weiter. Da stüpft mir der Bruder auch schon seinen Zeigefinger zwischen die Rippen, dass ich aufzwicke und ihm bösgesinnt um das Haus herum nachrenne.

Es gibt eine Hatz. Der Bruder läuft schneller und geschickter, kann, wenn es ihm passt, mich abstechen und findet Zeit, hinter einem Versteck hervor die lange Nase zu machen. Darob und dem nutzlosen Hinterherlaufen werde ich schliesslich fassungslos zornig, fühle mich nur noch als ein Klumpen Wut, der schreit und weint und immer wieder, mit einem gläsernen Schleier vor den Augen, vorwärts getrieben wird.

Zweimal sind wir schon um das Haus her-umgekommen und ungeschoren an Vater vor-bei, der in dem nach hinten angebauten Holzschopf lange Spanscheiter macht. Beim dritten Mal kommt auch der Bruder noch durch. Ich nicht. Da steht der Vater in der weiten Türöffnung, seine breite Stirn sticht weiss unter zerzaustem, magerem Haarschopf hervor, graue Augen sehen mich zornig an. Mit der einen Hand fasst er mich im Haar, mit der andern erhebt er ein daliegendes Scheit und lässt das, wie ich da stehe, auf meinen Hintern schwingen, fluchend mit sich überschlagender Stimme.

Ich kann nicht sagen, die Schläge hätten geschmerzt. Trotzdem schrie ich, was der Hals herausgab, einfach aus der Berechnung her-aus, eher losgelassen zu werden. Denn mehr als die Schläge empfand ich den fest zu-packenden Griff in die Haare, den dadurch erlittenen Verlust meiner Bewegungsfreiheit und das Ausgeliefertsein an eine überlegene Kraft. Hinwiederum schien mir das laute undheftige Getue des Vaters – ich fühlte das instinktiv – als eine väterliche Schwäche. Er konnte doch sonst auch recht lieb sein, ganz im Gegensatz zu seinem jetzigen überborden-den Zorn. Irgendeine böse Macht musste in ihn gefahren sein, die ihn nun rückhaltlos regierte.

Inzwischen hatte sich der Bruder fortgemacht. Nach der Strafverbüssung feixte er mich aus der Ferne mit einem unter uns üblichen Gabelzeichen mit dem Zeig- und kleinen Finger einer Hand aus. Da lief ich, das Buben-herz aufgewühlt von Scham und Zorn und hartem Trotz, die steinige Feldgasse bergwärts, immerzu, nur fort vom Schauplatz meiner Scham, und verlor mich bis in die Nacht hinein in den steilen Grasgütern ob dem Dorf.

Bis ich mit sieben Jahren zur Schule musste, waren noch mehr Geschwister gekommen, zwei Schwestern und ein Bruder. Unsere Familie hatte sich somit, die Eltern eingerechnet, auf sieben Personen erhöht. Meiner jüngeren Geschwister achtete ich mich aber wenig, auch weiterhin schloss ich mich bei allem Bubentum dem älteren Bruder an.

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