• Allgemein
  • 0

«Chlyne Ma» und grosser DichterINSERT INTO `skd_posts` VALUES(3. Folge)

Aus Albert Streichs JugenderinnerungenINSERT INTO `skd_posts` VALUES(3. Teil – mit einem Foto)(ar) Der dritte und letzte Teil der Ausschnitte aus Albert Streichs, «Tschuris», Jugenderinnerungen lässt noch einmal auf eindrückliche, fast beklemmende Weise die bittere Armut in
seinem Elternhaus spürbar werden. Kinder müssen früh arbeiten lernen, um einen Beitrag zum dürftigen Auskommen zu leisten. «Tschuri», klein und eher schwächlich, mehr mit geistigen als mit körperlichen Kräften begabt, hat es schwer: Sein Grossvater, ein Leben lang zu harter Arbeit genötigt, kann
solche Schwäche nicht verstehen und legt sie als Faulheit aus; fast ein Lichtblick, dass die Mutter wenigstens «Tschuris» gute Schulleistungen halbwegs gelten lässt.

Die Schule wird für «Tschuri» denn auch zu einer Art Zufluchtsort. Nach den unguten Erfahrungen mit der bösen Unterstufenlehrerin geht dem begabten und sensiblen Kind in der Sekundarschule das Tor zu einer neuen Welt voll beglückender geistiger Abenteuer auf. Der Deutschlehrer ist zwar streng, kann schimpfen und poltern; aber er tut es nicht aus Bosheit, er lässt sich nicht gehen, schlägt nicht in blindwütigem Zorn auf die Kinder ein wie jene Lehrerin. Er poltert und schimpft, weil es ihm um die Sache geht, weil er die «Trägheit» der «Kindergedanken aufpulvern muss». Deshalb empfindet das Kind «grosses Zutrauen zu diesem Menschen wie bisher nicht leicht zu einem».

Man darf wohl annehmen, dass dieser sprachbegabte und für die Sprache sich ein-setzende Lehrer in «Tschuri» schlummernde Kräfte geweckt und das spätere Dichten an-geregt hat. Und ebenso nachhaltig mag das «grosse Zutrauen» gewirkt haben, das der nur allzu oft in seinem Selbstvertrauen gedemütigte Knabe zu seinem Lehrer gefasst hat. Die drei Gedichte, die in der heutigen Nummer abgedruckt sind, zeigen es: In aller Bitternis seines Lebens scheint der Dichter auch später eine Art «Urvertrauen» bewahrt zu haben.

Erst allmählich ging in mein Bewusstsein ein, dass ich einen Grossvater hatte, welcher der Vater meiner Mutter war. Wohl hatte es immer geheissen, das mit einem weissen, handfesten Tuch verdeckte einzige Bett in der Wohnstube gehöre ihm, aber ich hatte den Grossvater nie darin liegen sehen, weil er früher aufstand und später zu Bett ging als ich. Auch war er werktagsüber meist nur zum Mittagessen da für kurze Zeit. Er trieb das Gewerbe eines Aussägers im hintersten Dorfteil gegen Abend, von dem ich auch nur nach und nach eine Vorstellung bekam. (…)

«Tschuri ist schwer von Begriff!» Das sagt eines Tages, es war in den Sommerschulferien, der Grossvater zu der Mutter, und ich stehe dabei und höre zu. «Er ist nicht imstande», fährt der Grossvater fort, «für die Hühner eine Handvoll Gras zu mähen, trotz meiner Anleitung und der gut gedengelten Sense.»

Der Ankläger meiner Hilflosigkeit betont seine Worte nicht böse, aber auch nicht freundlich. Es ist eine sachliche Feststellung. Sie genügt, um mein augenblickliches Selbstvertrauen zu demütigen. Denn ich war mit viel gutem Willen und gar nicht ohne Stolz, etwas Nützliches verrichten zu können, an die Arbeit gegangen. Die Mutter hingegen stutzt ab den Worten des Grossvaters, sieht mir eine Weile wort- und ratlos in die Augen.

«Die Sense ist so schwer», versuchte ich eine Ausflucht. Nein, es ist keine Ausflucht, sondern die lautere Wahrheit, die Sense war wirklich schwer und das kurze, blattlose Gras in der Hofstatt so zäh wie Draht, es legte sich einfach unter die Schneide, und ich hatte nicht die Kraft aufgebracht, ihm beizukommen. Da lässt mich die Mutter mit ihren kleinen fragenden Augen auch wieder los, schaut am Grossvater, der ein Stück grösser ist als sie, hinauf: «Ich will es glauben, obwohl der Tschuri doch noch klein und nicht zu kräftig ist. Vielleicht lernt er es noch. Aber er vagabundiert lieber weiss manchmal Gott wo herum, als dass er eine rechte Arbeit anrührt. Brächte der Nichtsnutz nicht immer von besten Schulzeugnissen heim, es wäre zum Verzweifeln, man müsste ihn vielleicht in eine Anstalt tun.» Darauf der Grossvater drohend: «Wenn der Bub meiner wäre!» Mehr sagt er nicht, dreht uns den Rücken und verlässt die Hofstatt durch das enge offene Tor nach dem Haus zu. Nun möchte mir die Mutter die Kunst des Grasmähens beibringen. Sie tut es anfänglich mit viel Geduld, wird aber auch ärgerlich, da ich das schwere Werkzeug einfach nicht richtig in Schwung bringen kann und ihre Bemühungen umsonst sind. Schliesslich tut sie etwas, was mir nicht gerade zuwider ist, sie jagt mich einfach fort, wohin es mir beliebe, allerdings mit der Verheissung, aus mir werde doch aller Lebtag nichts. (…)

[Aus der Sekundarschulzeit:] Und wieder anders in der Deutschstunde: Wie er [einer der Lehrer] da Sätze baut, ein Wort um das andere ausgelesen und eingebaut wie just einzig in das Gefüge passende Mauersteine! Oder ob er über ineinandergeschachtelte Sätze redet: So muss es sein, so ist es deutlich und klar! Und man empfindet dann auch wirklich und hat es sozusagen vor Augen, wie etwas Gegenständliches, was er meint und was die Worte ausdrücken wollen. Gleichermassen deutlich springt er mit der Grammatik und der Rechtschreibung um, mit den Begriffen des Rechnens. Man spürt, er hat eine eigene, lebendige Anschauung dieser Dinge, er nennt, was zu nennen ist, auch bei seinem richtigen Namen. Er sagt nicht: «trüb», wenn es «schmutzig» heissen soll, und bezeichnet et-was nicht als nett, wenn es schön oder gar prächtig ist.

Und er erlaubt sich, mit den Schuhen heftig auf die Laden des Podiums zu stampfen, wenn er die Trägheit unserer Kindergedanken auf-pulvern muss. Oder er erlaubt sich, anstatt mit dem langen Lineal in den Händen an der Wandtafel zu zeigen und zu erklären, mit einem schuhbewehrten Fuss und einem lauten: «Da steht es weiss auf schwarz!» nach den angekreideten Darlegungen zu stechen, auch wenn diese Schuhe gerade Holzschuhe sind, wie er sie bei nassem Winterwetter in der Schulstube anzieht.

Obwohl ich Schimpfen und Poltern nicht leiden mag, weil ich aus böser Erfahrung heraus leicht Angst bekomme, ertrage ich das Wesen dieses Mannes zum Verwundern gut. Ich bleibe ganz ruhig dabei, ohne Hintergedanken bereit, mitzumachen. Es ist vielleicht deswegen, weil er sich nie gehen lässt, im tiefsten Innern nicht, weil er im Zorn nicht schlägt, bloss vielleicht einmal mit dem Lineal oder mit dem Geigenbogen leicht auf den Scheitel tippt, dass es gerade nicht weh tut.

Nun, ich empfinde ein grosses Zutrauen zu diesem Menschen wie bisher nicht leicht zu einem.

Als die Sommerferien zu Ende waren und die Herbstschule begann, blieb ein Platz in der Bank vor mir unbesetzt. Es fehlt noch jemand, dachte ich bei dieser Entdeckung, es hat sich einer wohl verspätet, aber er wird schon noch kommen! Ich empfinde den leeren Platz merk-würdig, vielleicht so, wie einen Mangel an Geborgenheit.

Und es kommt dann auch niemand mehr. Und erst, als der Schulmeister eine Kopfrechenaufgabe zu lösen gibt, wird mir plötzlich bewusst, dass da vor mir der Kaspar, der in den Ferien auf der Alp verunglückte Hüterbub, sass. Ja, freilich. Dass ich das so schnell habe vergessen können! Und sonst redet auch niemand mehr davon. Er ist einfach fort, ohne uns irgendein Erinnerungsmal zu hinterlassen. Zu Mittag auf dem Schulweg begegnet uns seine Mutter, sie trägt eine schwarze Schürze und stösst einen vierrädrigen Korbwagen vor sich her. So begegnet sie uns auch am nächsten Tag und am übernächsten und fast an jedem schönen Herbsttag. Sie geht mit dem kleinen Gefährt auf ihren Acker ausserhalb des Dorfes zum Kartoffelgraben und macht meist ein ernstes Gesicht, aber ab und zu lächelt sie auch wieder vor sich hin. (aus: Uf Bärnerbode. Jugenderinnerungen von Gotthelf bis Dürrenmatt. Herausgegeben von Hans Sommer. Bern 1972. S. 291–294)


Drei Gedichte von Albert Streich

(Worterklärungen am Ende der Texte; erste Zahl = Strophe, zweite Zahl = Zeile)

Mi friird a d Hend

Mi friird a d Hend

I han nid Waarms a, wwaa mmi wäärmd,
dicks Gwand, ha’s nid,

waa Liib und Seel grächts mechti tecken.
Un uber Nacht hed’s gschniid.

Schnee ischt und chaald.

E rruucha Luft chunnd us em Bäärg.
blaast dir und dir

und tschuudred mi. I wil mi fecken:
Eppeis geid o das fir!


8 dir und dir = durch und durch / 9 fecken = sich bemühen / 10 Eppeis = irgendwann

Der Heiwwäg


Der Wäg ischt nid geng z bruuchen
wie’s eimm em liebschte wwään;
gar mengischt wil er ruuchen,
und ziitum Doorni stähn.


Muescht piischten undrer Hutten
bäärguuf es stotzigs Boort,

old bschlipfischt uf er Mutten
ganz anem wieschten Oort –


Ach, ischt er no su ruucha
und macht der miedi Bein,
erstell di eis und sinn dran:
Es ischt der Wäg fir hein!

1,2 wwään = wäre / 1,3 ruuchen = rauh, steinig werden / 1,4 ziitum = manchmal

2,1 piischten = keuchen, ächzen, stöhnen / Hutte = Rückentragkorb / 2,2 stotzig = steil / 2,3 old = oder / bschlipfen = ausrutschen


Du bischt


I mag siin waan i wil,

diheimmen, im Wirtshuus, ir Straass,
i mag tuen was i wil,

mid Gieti, mid Schlääwwi, im Hass –
geng umhi han i es erchennd,

bischt Du daa und bietischt mehr d Hend.


I mag gahn waan i wil,

äbewwägs, den Bäärg uuf old bäärgab,

i mag gsehn, was i wil,

Tagheitri, de Mmodrich von em Grab –

Geng umhi han i es erchennd,

bischt Du daa und bietischt mehr d Hend.


I weis nid, was Du bischt,

nid Namen no Woort chunnd mehr z Raad.
I weis eis: Ohni Di

erlischt mehr all Gieti und Gnaad.

Bliib bie mmer drum, Du, Diiner Hend,
und leit mi und trääg mi bis z End!

1,1INSERT INTO `skd_posts` VALUES(2,1) waan = wo

2,2 old = oder / 2,4 Mmodrich = Modergeruch 3,2 z Raad = zu Hilfe (kommen)

3,3 erstellen = eine Weile stehen bleiben, aus-ruhen

Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar