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Du, Frau Aichinger… Gedanken zum «Du»

(me) Während der Jahre 1997 und 1998 hat der Vorstand der BG den Medienbeobachter Argus beauftragt, die Schweizer Presse nach Zeitungsartikeln zu durchleuchten, die unsere Sprache im weitesten Sinne zum Inhalt haben. Es war dann eine interessante, aber nicht immer einfache Arbeit, die Fülle der Presse-berichte nach einzelnen Sachgebieten zu sichten. Da zu jener Zeit die Rechtschreibereform das Hauptproblem darstellte, waren zahlreiche Artikel diesem Thema gewidmet. (Auf Orthographiefragen möchten wir jetzt nicht mehr zurückkommen.) Das unerwartet
umfangreiche Material, das uns zugesandt wurde, hat uns veranlasst, das Abonnement beim Argus zu kündigen. – In dieser und den folgenden Nummern werden wir uns mit jeweils einem Thema der Argus-Zusendungen befassen.
Es mag Zufall sein, dass sich Zeitungen aus dem Raum Zürich mit der persönlichen Anrede auseinandersetzen. Im Tagesanzeiger vom 7. Januar 1998 weist Martin Halter zuerst auf die umständliche Art der Anrede in der galanten Zeit hin. «Einstmals waren in
Briefen ellenlange Höflichkeitsfloskeln wie «Ew. Hochwohlgeborener unterwürfigst ergebener Diener» schöne Sitte … Tatsächlich hat der Sprachforscher Horst J. Simon jetzt den Nachweis erbracht, dass im 18. und frühen 19. Jahrhundert die Dehnung und Beugung des Anredepronomens eine grammatische Form der Verbeugung sein konnte.» Im Zeitalter von Fax und E-Mail hat solche unterwürfige Weitschweifigkeit keinen Platz mehr. Martin Halter lässt am Schluss die Frage offen, ob der Politikerkonjunktiv «Ich würde meinen …» nicht eine Art Rückkehr in die phrasenhafte gute alte Zeit darstellt, mit dem geheimen Wunsch, eine allzu direkte Aussage zu vermeiden.
In der Neuen Zürcher Zeitung vom 8. August 1998 führt Joachim Günter eine geistreiche Untersuchung durch, die zeigt, dass in vielen Geschäftsbetrieben das «Du» gewissermassen vorgeschrieben ist, auch wenn andernorts zuweilen eine rückläufige Bewegung festzustellen ist – «Professoren, die im Gefolge der Studentenbewegung zu willigen Duzern wurden, kehren zum Sie im Seminar zurück.» Günter erwähnt einen 45-jährigen Angestellten der schwedischen Textilkette Hennes & Mauritz in Westfalen, der vergeblich versucht hat, sich vom innerbetrieblichen Duzzwang befreien zu lassen … Dies ist ihm auch im Berufungsverfahren vor dem Landarbeitsgericht Hamm nicht gelungen. «Nicht nur, dass sich der Kläger das Duzen im Hause H. & M. gefallen lassen muss, es wird ihm auch untersagt, seinerseits Mitarbeiter zu siezen.» Der Kläger berief sich auf den Artikel 1 Absatz 1 des deutschen Grundgesetzes «Die Würde des Menschen ist unantastbar», doch das Gericht entschied, «wer bei den notorisch duzenden schwedischen oder amerikanischen Firmen anheuert, weiss, was ihn erwartet, und darf sich nicht beklagen.»
«Wenn die Siez-Front bröckelt, bröckeln die Grussformen mit.» Günter kommt nun auf das unverbindliche «Hallo» als Begrüssung zu sprechen. Er sieht die Hallo-Grüsser als verhinderte Duzer. Nach der Meinung der Sprach-forscher Helmut Glück und Kristine Koch bildet das «Hallo» einen Bestandteil der sog. «Welle der Halbhöflichkeit.» Dazu gehören u. a. auch das» Krankenschwestern-Wir» («Wie gehts uns denn heute?») und das «Münchner-Du» («Frau Aichinger, fährst Du bei der Post vorbei?»), «lauter Fälle vonverkapptem Duzen bei angedeuteter Duzvermeidung.»
Zum Schluss erwähnt Günter noch Georg Christoph Lichtenberg, der die Engländer bedauerte, weil sie mit ihrem «you» keine Möglichkeit der Differenzierung haben: es steht ja für «Du», «Ihr» und «Sie». Im Deutschen hingegen können wir abwägen – ein
langsam entstandenes «Du» beweist wahre Intimität und echtes Zusammengehörigkeitsgefühl, während das verordnete oder gedankenlos verwendete «Du» eine leere Floskel darstellt, die man, besonders wenn sie nach dem dritten Glas eingeführt worden ist, oft gerne wieder zurücknehmen möchte.
Der Artikel von Joachim Günter hat zwei Leserbriefe bewirkt, einen zustimmenden und einen kritischen. In diesem spricht sich Max D. Amstutz, der Präsident der Von-Roll- Gruppe, für das «Du» im Kader einer gösseren Unternehmung aus; sie stelle ja eine Art Schicksalgemeinschaft dar, die rasch Entschlüsse fassen und handeln müsse.
In der «Zürichsee-Zeitung» vom 11. Dezember 1997 glossiert Michael Kaspar ebenfalls all die Probleme um das Duzismachen, wofür ja nach Knigge genau festgelegte Regeln bestehen. Nach einem kurzen geschichtlichen Rück-blick weist Kaspar darauf hin, dass vor noch nicht allzu langer Zeit in vornehmen Familien sogar Mutter und Sohn einander siezten. Heute herrscht bei den Jungen ganz allgemein die zweite Person Einzahl – mit dem Du will man sich gegen die etablierte ältere Generation abgrenzen. Aber wenn junge Menschen älter werden, stört es sie dennoch zuweilen, dass die «Kleinen» sie immer noch duzen. «Jahre ziehen ins Land, bevor sie zum ersten Mal jemandem das ‹Du› anbieten, was denn (meistens) auch feierlich begangen wird.»
Wie einst Lichtenberg meint Kaspar, dass das universale «you» der Englischsprechenden nicht nur Vorteile bringt. «Denn die Spielereien rund ums Duzismachen haben auch ihren Reiz. Und – Hand aufs Herz – mit jedem wollen wir ja auch nicht Duzis sein, oder?»

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