• Allgemein
  • 0

Äuä! (Schluss)

Der in der letzten Nummer abgedruckten Betrachtung über die unterschiedlichen Schreibweisen von Mundarttexten hat Frau Trudi Christen noch ein paar weitere Überlegungen und sogenannte «Lesefrüchte» beigefügt.Unter dem Titel «Äuä» habe ich meinem Zorn Luft verschafft über eine Schreibweise des Zürcher und des Berner Dialekts, welche meiner Meinung nach Wörter zu sehr verfremdet und damit das Lesen erschwert. Ich erhielt ein paar ermutigende Antworten dar-auf, zum Beispiel: «Ich bin völlig mit Dir ein-verstanden; ich habe sowieso etwas gegen die ausgeprägten Dialekt-Zeloten, die, wie alle anderen Eiferer auch, der Sache schlechte Dienste erweisen.»
Ich musste seither immer wieder über die Sprache nachdenken und versuche, ruhig – nicht eifernd! – festzuhalten, was mir einfiel.
Wissenschaftler können einen bunten Schmetterlingsflügel unter dem Mikroskop untersuchen. Sie werden dabei sicher Entdeckungen machen. Aber der Schmetterling ist nun tot.
Die Sprache ist für mich etwas Lebendiges. Man darf es nicht zerstückeln. Einzelheiten müssen nicht ohne Bezug zum Ganzen beurteilt werden. Es ist wenig hilfreich, eine Reihe von Substantiven aufzuzählen und nach ihrem Plural zu fragen. Ein Substantiv steht ja nicht «allein auf weiter Flur» in einem Satz. Es hat meistens eine starke Beziehung zum Verb. Die einzelnen Satzteile sind miteinander in Verbindung. Das führt noch weiter: Nicht nur ein einzelner Satz soll in sich geeint sein. Auch ganze Text-Abschnitte dürfen nicht aus ihrem Zusammenhang herausgerissen werden, wenn sie lebendig bleiben sollen.
Dazu ein treffliches Beispiel des Deutsch-schweizer Reformators Huldrych Zwingli. Es gilt bei ihm dem Bibellesen, ist aber wohl empfehlenswert auch für andere Lektüre.
«Wie man es beim Bibellesen nicht machen soll.
…Sie reissen ausserdem Worte einfach heraus, ohne Rücksicht darauf, was vorher steht und was nachfolgt… Dieses Treiben gleicht demjenigen, welcher mit einem Blümlein, dem er zu allem hin noch die Wurzel abgerissen hat, einen ganzen Blumen-garten anpflanzen wollte. So darf man es nicht machen! Man muss den ganzen Rasen-schollen herausnehmen und diesen, ohne die Pflanze mit ihren Wurzeln aus ihm heraus-genommen zu haben, in den Garten ein-setzen …»
Nachdem im «Forum des Vereins Schweizerdeutsch» vom Februar 1999 das schreckliche Wort «Synagoogene» vorgeschlagen wurde, weil man sonst nicht wisse, ob eine oder mehrere gemeint seien, bleibe ich noch bei der Bibel und behaupte: Doch, man kann es wissen!
• Matth. 9,35: Und Jesus isch umenand zoge dur alli Stedt und Dörfer und hät sie i ihrne Synagoge glehrt.
• Matth. 13,54: Und won er i sini Vatterstadt cho isch, hät er sie i ihrer Synagoge glehrt.
• Luk. 4,44: Und er hät prediget i de Synagoge vom jüdische Land.
Ähnlich kann man weitere Stellen verstehen. Auch in der Sprache von heute kann Singular oder Plural ohne weiteres am Verb erkannt werden: «Z Gailinge brännt d Synagoge – Aennet em Rhy bränned d Synagoge.»
Dr. phil. Hans Sommer in: «Bärndütsch – e Wunderwält», Fischer Verlag Münsingen 1990, S. 44, auszugsweise:
«Es git Dingwörter (Substantive), wo i der Mehrzahl würklich d Wendig -ne aanäh: di wybliche mit emen i am Schluss. Näh mer Chuchi u Müli als Byspil. Me seit: E Chuchchi, zwo Chuchchine, e Müli, dert bi dene Müline … und ou Substantiv mit eme männliche Artikel … wo mit i ufhöre: e Brummli, zwe Brummline.
Die zwo Gruppe (nid Gruppene) hei e Mehrzahl uf -ene, alli andere chöme ohni di verlängereti Ändig us: e Mappe, zwo Mappe, e Tante, myner zwo Tante, Aber was muess me hüttigstags nid alls ghöre! Scho vo de Radio- u Fernsehlüt: Geng u geng ume rede si vo Firmene, Rollene, Krisene, Themene, Chilchene. O Initiativene u Katastrophene sy gäng u gäb. I re Stadt-und-Landsändig isch eine a schöne «Gärtene» verbyggange u het i paar «Stubene» ynegluegt. Zumne Fernsehfilm über Schrebergärte het der Kommentator vo «Gmeindene», «Grüenflächene» u «Familiene» gredt.
Auf S. 182 kommt Hans Sommer im Kapitel «Vo Strümpf u Chappe» nochmals darauf zurück:
«Dä Stüblifründ z Muri, wo chlagt, üses Bärndütsch wärd geng meh verpaschteret, isch allwäg froh, das i nid vo ‹Strümpfene u Chappene› rede.»
Ich meine, das gelte auch für Zürich-deutsch.
Ein weiteres Beispiel für übertriebene Schreibweise: Christian Schmid-Cadalbert, anfangs 1999 im «Stübli» («Bund»), Titel: Schport. Kein Deutschschweizer würde aus-sprechen S-port. Nur im hohen Norden Deutschlands kommt vermutlich S-port vor, weil die Hamburger ja «über S-tock und S-tein s-pringen».
Aus dem Inhalt: «Schport het für mi nie Voorbiud-Funkzioon gha.» – «Wäret mine letschte Schueujaar zBouuige bin i e guete Handbäuueler gsii.»
Georg Thürer: «Wesen und Würde der Mundart», Schweizer Spiegel Verlag Zürich 1944. In dieser immer noch aktuellen Schrift ruft der Verfasser auf zum Schutz der Sprache «vor dem Schwarzen Tod der Drucker-schwärze».
Mögen unsere Schweizer Dialekte lebendig bleiben und nicht durch eine entstellende, hässliche und lächerliche Schreibweise «z Todtokteret» werden! Dann haben sie nicht einmal die Druckerschwärze zu fürchten.
Zur reinen Freude, ohne Absicht, etwas zu suchen, was den Dialekt betrifft, las ich wieder einmal Emil Balmers «D Glogge vo Wallere. Schwarzeburger Gschichte». Francke Verlag Bern, 3. Auflage, 1951. Und was fand ich da am Schluss: Bemerkungen zur Schreibweise – Balmer, wörtlich:
«Ich habe versucht, die alte Schwarzenburger Mundart möglichst getreu wiederzugeben, d.h. sie zu schreiben, wie sie wirklich noch gesprochen wird. Zugleich machte ich mir aber auch zur Pflicht, mich bei der Schreibweise möglichst dem Wortbild der Schriftsprache an-zupassen, so dass es bei Beachtung der nach-stehenden Eigentümlichkeiten dieses Dialektes niemand Schwierigkeiten bieten soll, das Buch mühelos lesen zu können. Um den Leser durch nichts zu verwirren, habe ich absichtlich alle Aussprachezeichen weggelassen. Ich glaube, dass er sie nach den ersten paar Seiten als überflüssig betrachten würde.»
Darauf folgt eine knappe Seite Worterklärungen.
Als ich das las, stieg die Melodie eines alten Volksliedes in mir auf: «… Wäme nume cha schmöcke dra, tuets eim im Herz so wohl!» Und im Gedanken an die Dialekt-Fanatiker mit ihrer übertriebenen Schreibweise stellte sich eine andere Zeile in meinen Gedanken ein:
«Sie suchen viele Künste, und kommen weiter von dem Ziel.»

Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar