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Grusswort

von Monsieur Philippe Lalanne-Berdouticq, F-71250 Cluny an die Netzwerkversammlung vom 14. September 2001Meine Damen und Herren, liebe Freunde
Als Franzose – hundertprozentiger Franzose und hundertprozentiger Europäer – und als Vorstandsmitglied des Vereins DEFENSE DE LA LANGUE FRANCAISE freut es mich besonders, Sie zu begrüssen und Sie alle meiner Freundschaft zu versichern.
Deutsch und Französisch sind bei weitem in ganz Europa (Russland ausgenommen) die beiden meist gebräuchlichen Sprachen. Und beide können ein ähnliches Schicksal haben: in Blüte stehen oder verkümmern.
Vor einigen Tagen, oder besser gesagt vor einigen Nächten, hatte ich einen Traum. Ich träumte von einem Europa, das, wie ein mit Leben erfülltes Gebäude, auf zwei Säulen ruhte. Beide Säulen und die Menge von Menschen, die um jede Säule stand, redeten miteinander: die Deutsch sprechende Säule sowie die Deutsch sprechenden herum-stehenden Menschen konnten Französisch; die Französisch sprechende Säule sowie die Französisch sprechenden herumstehenden Menschen konnten Deutsch.
Zum erstenmal in ihrer langen Geschichte gab es kein Missverständnis zwischen den wichtigsten und wesentlichen Pfeilern der europäischen Kultur. Und diese Kultur selbst, durch diese beiden Sprachen wie durch andere europäische Sprachen der Umgebung, war lebendig und schöpferisch und ideenreich, und sie respektierte die Eigenarten, das Wesen der verschiedenen Teile unseres fabelhaften Kontinents.
Als ich erwachte, kam mir der schöne Satz von Calderön in den Sinn: «Toda la vida es sueno, y los suenos suenos son!» Das ganze Leben ist Traum, und auch die Träume sind Träume. «Toute la vie n’est que songe, et les songes aussi sont des songes».
Ganz anders ist die jetzige, harte Wirklichkeit. Nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Erde. Zum erstenmal in der Weltgeschichte besitzt eine einzige Sprache die Macht, alle Sprachen der Erde, eine nach der anderen, zu ersticken, in ihren Wortschatz einzudringen und sie allmählich zum Er-löschen zu bringen.
Selbstverständlich bin ich kein Gegner unserer amerikanischen Partner, besonders in diesen dramatischen Tagen, wo Sympathie und Mitleid aller zivilisierten Völker an die verwundeten Vereinigten Staaten gehen.
Wir sind aber entschlossen, unsere eigene Kultur nicht zu verlieren. Es handelt sich um unser inneres Wesen. Jede Muttersprache besitzt nicht nur Ausdruckskraft, sondern sie prägt auch. Sie formt unseren Geist, unsere Logik, unsere Weltanschauung. Sie bildet uns selbst.
Eine radikale Umformung unserer eigenen Identität, ist dies wirklich unser vermeintliches Schicksal der Mode wegen? Unter dem wohlbekannten Vorwand des sogenannten Realismus? Doch der echte Realismus berücksichtigt nicht nur die materiellen, sondern auch die geistigen Elemente.
In der jetzigen Lage gibt es viele Werkzeuge, wie vor allem das Internet, die ebenso zugunsten unserer eigenen Sprachen wie andererseits auch, wenn wir diese aufgeben, zugunsten einer einzigen, mehrheitlich nicht europäischen Sprache, benutzt werden können.
Alles ist eine Frage des Willens – und des Glaubens. Glauben wir an unsere Sprachen, die immer noch der Kultur, der Wissenschaft, der Lebensart in Europa und in der Welt vieles bringen können und müssen!
Hier darf ich Ihnen noch folgendes sagen. Ich habe in diesem Sinne und im Sinne einer engen französisch-deutschen Zusammenarbeit vor einigen Wochen, im Anschluss an einen Beitrag im SPIEGEL, einen Artikel für den FIGARO geschrieben. Darin bin ich nachdrücklich für die Erhaltung unserer bei-den Sprachen in europäischen Institutionen eingetreten.
Glauben wir an uns selbst! «Die Zukunft hat eine lange Vergangenheit», lautet ein alter Spruch.
Wie der Widerstand gegen eine sprachliche Hegemonie organisiert werden kann, werden Sie sicher bedenken und erörtern. Was mich betrifft, möchte ich Ihnen nur meine Überzeugung darlegen:
Wenn französischsprachige und deutschsprachige Europäer einander helfen, die Wurzeln ihrer langen Zivilisation wiederzufinden und zu beleben, wenn sie einig sind, endlich Deutsch in Frankreich und Französisch in Deutschland als erste Fremdsprache in den Schulen zu lehren und zu lernen, erst dann wird die kulturelle Vielfalt Europas, ein-schliesslich der anderen Sprachen des Kontinents, gerettet werden.
Und dann dürfen wir hoffen, ein kulturelles Gleichgewicht in der Welt wieder aufbauen zu können. – Aber die Zeit drängt.
Diesen bedenkenswerten Text stellen wir ins Internet und versenden ihn an alle Vereine im Netzwerk Deutsche Sprache. (Red.)

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