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Hochdeutsch schon im Kindergarten

Neue Zürcher Zeitung vom 13. August 2002
Verbessern sich die Chancen fremdsprachiger Kinder in der Schule, wenn sie schon im Kindergarten Hochdeutsch lernen? Dies soll aufgrund eines 4-jähriges Pilotprojekts in Basel wissenschaftlich abgeklärt werden. Beteiligt sind vier Kindergartenklassen mit extrem hohen Ausländeranteilen: In zwei Klassen (Ausländeranteil 84 und 93 Prozent) sprechen die Kindergärtnerinnen mit den Kindern ausschliesslich hochdeutsch. In zwei anderen Klassen, die als Vergleichsgruppen dienen sollen, wird – wie bis heute üblich – in Mundart unterrichtet.

Das im Schuljahr 2001/2002 gestartete Projekt «Standardsprache im Kindergarten» bildet, gemäss Erziehungsdirektor Christoph Eymann, einen Mosaikstein in der Umsetzung des baselstädtischen Integrationsleitbildes und wird, unter der Leitung von Mathilde Gyger, wissenschaftlich begleitet.
Auch während den beiden ersten Primarschuljahren soll die Sprachentwicklung der Kinder dieser vier Klassen weiter untersucht und verglichen werden. Mit diesem stufenübergreifenden Versuch soll die Hypothese geklärt werden, wonach zwischen sprachlicher Kompetenz und schulischem Erfolg ein ursächlicher Zusammenhang bestehen soll (eine Hypothese freilich, die spätestens nach der PISA- Studie kaum mehr der Erhärtung bedarf…).
>Erste – positive – Trends
Nach dem ersten Versuchsjahr zeichnen sich, laut Gyger, erste Trends ab. So konnte beobachtet werden, dass die meisten Kinder unterwegs zu einer reinen, unvermischten Standardsprache sind. Die Befürchtungen, dass die Beziehungsarbeit mit den Kindern durch das Hochdeutsch erschwert würde, hätten sich nicht bewahrheitet. Die Lehrpersonen fänden sich mit der neuen Unterrichtssprache gut zurecht. Festgestellt wurde auch, dass in zwei der vier beteiligten Kindergartenklassen die Sprachentwicklung der Kinder weiter fortgeschritten ist, allerdings „gemischt“ in einer Hochdeutsch- und einer Mundartklasse.
Sehr positiv äusserte sich Corina Erringer, eine der Kindergärtnerinnen, die eine hochdeutsche Klasse führen. Die Kinder seien in diesem Alter sehr begeisterungsfähig und hätten keine negativen Gefühle der Standardsprache gegenüber. Durch Imitationsverhalten hätten sie durchschnittlich nach vierzehn Tagen erste Worte, nach den Herbstferien erste kurze Wortketten und einfache Sätze aus alltäglichen Ritualen gesprochen; und seit Frühjahr kommunizierten sie lebhaft in allen Spielsituationen. Sie sieht es jedenfalls als Chance für alle Kinder, in dieser emotional und sprachlich wichtigen Phase ihres Lebens spielerisch und ohne Druck die Standardsprache, also Hochdeutsch zu lernen. Die Fremdsprachigen verstünden die Standardsprache viel schneller und lernten sie daher auch schneller. Und sie müssten innerhalb von wenigen Jahren nicht mehr zwei neue Sprachen (im Kindergarten Mundart und danach in der Primarschule Hochdeutsch) lernen. Durchwegs positiv reagiert hätten auch die überwiegend fremdsprachigen Eltern (im neuen Schuljahr sind von den 18 Kindern ihrer Klasse lediglich drei deutschsprachig).

Gut auch für Deutschschweizer Kinder
Speziell erfreut zeigte sich Erziehungsdirektor Eymann darüber, dass die seitens der Eltern der deutschsprachigen Kinder eigentlich erwartete Kritik ausgeblieben ist. Dadurch, dass Kindergärtner mit schweizerdeutscher Muttersprache hochdeutsch lernten, gehe ihre eigene, baslerische Identität ja nicht verloren. Und schliesslich soll mit dem Projekt auch abgeklärt werden, ob sich die Sprachkompetenz in Hochdeutsch und damit die schulischen Aussichten auch dieser Kinder verbessern, wenn sie schon im Kindergarten hochdeutsch lernen.

Die wissenschaftlichen Auswertungen des Projekts werden schon für 2005 erwartet und werden den Behörden als Entscheidungsgrundlage dienen für die allfällige Einführung von Hochdeutsch als Unterrichtssprache in den baselstädtischen Kindergärten. Für Eymann geht es nicht zuletzt auch darum, hieb- und stichfeste Argumente für allenfalls nötige politische Entscheide zu erhalten.

Unser Kommentar:
Alles braucht seine Zeit. Der SKD findet es jedoch schade, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse dieses löblichen und sinnvollen Projekts erst (nicht ‚schon’!) im Jahr 2005 vorliegen sollen. Unsere Hoffnung ruht auf der Einsicht von Eltern und Politikern in allen, vorab in den städtischen Schulgemeinden: Wer wirklich innovativ und zukunftsgerichtet handeln will, muss unbedingt HEUTE damit beginnen (die Indizien aus der PISA-Studie sollten eigentlich genug Beweiskraft und Plausibilität für politische Entscheide liefern!).
Hoffentlich warten nicht alle zuerst einmal die Auswertung in Basel ab! Der SKD plädiert in diesem Sinn für mehr baldige Taten. Die Wissenschaft ist nötig und wichtig. Für eine bessere Integration der ausländischen Kinder braucht es aber vor allem Willen, innere Bereitschaft und eine möglichst unbürokratische Umsetzung – und dafür sind nicht mehr die Wissenschaftler, sondern alle Bürger zuständig. (pgw)

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