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Vielsprachige Schweiz als Herausforderung

Wer an Fragen der Vielsprachigkeit interessiert ist, lese den folgenden NZZ-Bericht . Sprachpolitik überschreitet Grenzen. Das Thema “Stellenwert Deutsch in Europa” fand keine Erwähnung, dafür das sich an der Ökonomie orientierende Frühenglisch. Seine Einführung als 1. Fremdsprache in den Grundschulklassen der Ost- und Zentralschweiz könnte einen neuen (Sprach)Graben aufreissen. Aber besser noch englisch kommunizieren als überhaupt nicht, las sich in Tagungsunterlagen der Schw. Akademie für Geistes- und Sozialwissenschaften SAGW. Tröstet Sie das? – Der Sprachkreis Deutsch setzt sich für die Landessprachen ein, als Mutter- wie als (erste) Fremdsprache. (Zb)
Verfassungsrecht, Schule und Verständigung

Territorialitätsprinzip, Integration, Englischunterricht, neues Sprachengesetz: dies einige der zentralen Begriffe, die an einer Tagung der Schweizerischen Akademie für Geistes- und Sozialwissenschaften zur Sprache kamen. n>

rma. Biel, 14. November

Unsere Sprachenpolitik weist laut Iwar Werlen (Bern) Widersprüche auf. So wollte man lange über das Territorialitätsprinzip vier «monolithische» Sprachgebiete bewahren. Aufgeweicht wurde dieser Grundsatz übrigens nach dem Ausbau des Eisenbahnnetzes: im Bündnerland; im Wallis bis zum Bau der Lötschbergbahn; im Berner Jura, der später refranzösisiert wurde. Den Durchbruch des Gegenprinzips hat Art. 3 der nachgeführten Bundesverfassung gebracht, wo die «Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften» als einer der Zwecke festgehalten ist.

Öffnung von Grenzen

In Biel werden heutzutage – so Stadtpräsident Hans Stöckli in seinem Grusswort – nicht weniger als sechsundsechzig Sprachen gesprochen. Wie die Lage im besonders sensiblen Grundschulbereich vielleicht entschärft werden kann, zeigte der Bericht von Marinette Matthey (Genf). Im Rahmen eines länderübergreifenden Projekts hat man gegen zweitausend Schüler der unteren Grundstufe auf spielerische Art an die weltweite Vielsprachigkeit herangeführt und zuletzt festgestellt, dass sich Potenzialitäten und Toleranz vergrössern.

Ähnlich positiv sind laut dem Berner Erziehungsdirektor, Regierungsrat Mario Annoni, die Resultate in den «Immersions»-Klassen, die auf Grund eines kantonalen Gesamtkonzepts für Integration gebildet worden sind. Für Annoni besteht des Weitern kein Zweifel daran, dass «die Sprache des Nachbarn» nach wie vor bei uns erste Fremdsprache in den Schulen sein muss. Also nicht Englisch (gemäss Werlen übrigens sprachpolitisch immer noch ein «blinder Fleck»).

Immer sind in der Sprachpolitik eingesetzte Finanzmittel mit bedeutsamen «Transfers» verbunden, hielt François Grin (Genf) in seinem Vortrag fest. So ist der Englischunterricht (selbstverständlich) eine Privilegierung der entsprechend Muttersprachlichen; so sehr, dass eigentlich Grossbritannien und die Vereinigten Staaten die Kosten in den anderssprachigen Ländern übernehmen müssten . . .

Europäische Übersetzungsgemeinschaft

Englisch war eine der vier Amtssprachen in der Europäischen Gemeinschaft von 1958. Jetzt aber hat die EU deren elf (und bald einmal doppelt so viele). Isolde Burr (Köln) verwies in ihren Ausführungen nicht nur auf den riesigen Übersetzungsaufwand, den diese Regelung verursacht, sondern auch auf die wechselseitige Befruchtung von Gemeinschafts- und nationalem Recht infolge der Übersetzung aller Rechtstexte. Für Linguisten eröffneten sich dabei zudem ganz «neue Welten».

Im Podiumsgespräch wurde von Vertretern der beiden «kleinen» Landessprachen Klage geführt über die zu wenig kreative Sprachenpolitik und im Besondern über den Anachronismus des Territorialitätsprinzips, das Sprachgruppen ausserhalb der «Territorien» unberücksichtigt lasse. Hervorgehoben wurde aber auch Zukunftweisendes, nämlich der Entwurf für ein eidgenössisches Sprachengesetz; die im Vernehmlassungsverfahren geäusserten widersprüchlichen Forderungen werden gegenwärtig gegeneinander abgewogen.

Neue Zürcher Zeitung, 16. November 2002

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