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Eine Sprache, zwei Sprachen. Und dann?

Erste Amtssprache Englisch, die heute in Europa am meisten gesprochene Sprache. Zweite Französisch. Dann Deutsch. Und wie sieht es morgen nach der EU-Erweiterung aus?Die Frage nach der Anzahl der «offiziellen» Sprachen in der Europäischen Gemeinschaft war noch nie so aktuell wie heute. Morgen wird die Anzahl der EU-Sprachen von 12 auf 21 Sprachen steigen. Allein die Kommission muss dafür etwa 400 Dolmetscher einstellen. Das Europäische Parlament hat die jährlichen Mehraufwendungen für Übersetzungen bereits auf 521 Millionen Euro beziffert. Das Thema ist politisch brisant, wenn nicht gar tabu, und bewegt die Gemüter. Letztes Jahr gab die Kommission bekannt, dass Eng-lisch auf Kosten der zwei anderen Arbeitssprachen, Französisch und Deutsch, vorzuziehen wäre. Paris und Berlin waren zutiefst beleidigt Was sind schon zusätzliche Kosten von jährlich 260 Millionen Euro…
«Zwischen drei und eins liegt zwei. Mit meinem Freund Shlomo Weber, Professor an der Southern Methodist University in Dallas, haben wir uns überlegt, welche Sprachen übrig bleiben würden, wenn wir von drei auf zwei übergingen», erklärt Victor Ginsburgh, ofessor für Wirtschaft an der Freien Universität Brüssel.
Zwei Amtssprachen für die Union? Die Europäische Kommission hat die Umfrage in Auftrag gegeben, die sich auf die Studie von GsbLgh Weber ützt. Allein die Idee wschockieren. Doch erst mal abwarten, was die Untersuchung letztendlich ergibt, welche Folgerungen sie voranstellt. Wie sie auch ausgeht, sie hat zumindest da Verdienst, dass sie durchgeführt wurde, nicht zuletzt um die Auswirkungen der verschiedenen Sprachen besser bewerten zu können. Was die Autoren betrifft, in Hinblick auf ihre persönliche und akademische Laufbahn kann niemand behaupten, dass sie voreing nommen seien. Ihre Studie macht auch kei Vorschläge, sondern gibt lediglich Grössenordnungen an, die jeder für sich interpretieren kann.
Das macht die Sache umso interessanter. Englisch als einzige Amtssprache würde 45% der EU-Bürger linguistisch ausschliessen. In Schweden beträgt dieser Anteil nur 20%, im südlichen Europa jedoch bis zu 60%. Die Kombination Englisch und Französisch ist nur noch für 30% unverständlich, 2% weniger als Englisch-Deutsch.
«Mit anderen Worten wäre die Kombination Englisch-Französisch am logischsten», kommentiert Victor Ginsburgh. «Aber unsere Zahlen beruhen auf den Untersuchungen von Eurobarometer und INRA; sie sind also auf die EU mit fünfzehn Mitgliedern begrenzt.» Wenn man sich also strikt an den Zahlen orientiert und sich aus Kostengründen letztendlich auf zwei Sprachen beschränkt, könnte Französisch nach der EU-Erweiterung als Amtssprache ausgeschlossen wer-den. «Wie gesagt, das ist alles rein theoretisch», sagt Victor Ginsburgh. «Die Zahlen sind das Ergebnis einer mathematischen Analyse, die noch qualitativ analysiert wer-den muss, insbesondere was die Macht der Sprachen anbelangt.»
Ist das Thema Sprachen auch zukünftig so brisant und heikel? Zunächst vielleicht schon, mit der Ankunft der ersten Kandidaten. Doch im Laufe der Zeit werden die Jugendlichen die Sprachen besser beherrschen – insbesondere Englisch. Wenn man die Untersuchung auf Personen unter 40 Jahren reduziert, fällt der Prozentsatz auf 27% für Englisch als einzige Amtssprache und auf 17% für die Kombination Englisch-Französisch.
«Wie dem auch sei, die Frage betrübt mich», ctor Ginsburgh. «Nach einer ie stirbt alle vierzehn Tage eine aus. Darüber macht sich kaum Gedanken. Doch eine Sprache, die hwindet, nimmt auch einen Teil unseres turgutes mit. Europa wird vielleicht wirkamer, aber gleichzeitig könnte es auch kulturell ärmer werden…»
Victor Ginsburgh – Professor für Wirtschaft,
Freie Universität Brüssel
Euro-Info 14. Okt. 2002

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