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Deutsch – (k)eine Fremdsprache

(aq) Die Schweizer und Schweizerinnen reden lieber Dialekt als Hochdeutsch. Dies gilt auch für die Lehrer und Lehrerinnen. Deshalb bekommen die Schweizer Kinder zu wenig Hochdeutsch mit auf den Weg – was sich ungünstig auf sie auswirkt. Damit sich das ändert, muss ein kollektives Um-denken stattfinden. Das sagen drei Personen, die sich intensiv mit der deutschen Sprache beschäftigen.So nah und doch so fern – so könnte das Verhältnis der Schweizer zur deutschen Sprache umschrieben werden. Nichts liegt uns näher, als deutsch zu lesen und zu schreiben und Deutsches Fernsehen zu schauen. Sobald es aber gilt, hochdeutsch zu sprechen, geraten wir in Verlegenheit, schämen uns für unsere Aussprache oder stolpern beim Sprechen immer wieder über ungewohnte Wörter oder Satzstellungen. Warum nur tun wir uns so schwer mit der deutschen Sprache?
Tun wir gar nicht, sagt der Sprachwissenschaftler Rudolf Wachter, vorausgesetzt, wir beherrschen die Sprache. Wenn jemand nicht gerne deutsch spricht, sei dies eine Frage der Kompetenz, meint Wachter. Für den Logopäden Martin Sassenroth hingegen ist es eine Frage der Perspektive. Er sagt, die Schweizer hätten die Tendenz, von sich selber zu behaupten, dass sie Mühe haben mit der deutschen Sprache. Das würde damit zusammenhängen, dass für die Schweizer der Dialekt die Erstsprache ist und Deutsch somit eine Fremdsprache. Trotzdem würden die Schweizer den Anspruch erheben, diese Sprache perfekt zu beherrschen – eben weil sie so fremd ja gar nicht ist.
Ungeliebte Alltagssprache
Dieser Meinung sind auch die Jugendlichen in der Schweiz. Deutsch sei keine Fremdsprache, behaupten sie, diese Sprache können man «einfach so», weil sie alltäglich ist. Dass die Jugendlichen in der Schule trotz-dem nicht freiwillig hochdeutsch reden, sondern nur, wenn sie wirklich müssen, kann man ihnen nicht übelnehmen – der Dialekt liegt ihnen einfach näher und ist vertrauter. Wer sich hingegen an der Nase nehmen und die alte Scheu vor der hochdeutschen Sprache ablegen müsste, sind die Lehrer und Lehrerinnen. Das sagt Annelies Häcki Buhofer, Professorin für Deutsche Sprachwissenschaft. Sie hält fest, dass die Lehrpersonen im Unterricht ungern hochdeutsch reden und deshalb wann immer möglich Mundart sprechen. Es sei ein Fehler der Lehrpersonen, dass sie negative Bilder bezüglich der deutschen Sprache an die Kinder weitergeben. Denn die Kinder würden die ablehnende Haltung dem Hochdeutsch gegenüber erst etwa ab der fünften Klasse annehmen – vorher sprechen sie gerne deutsch. Laut Häcki Buhofer ist es zentral, dass die negative Grundhaltung, die bei den Erwachsenen vor-herrsche, abgebaut und somit auch den Kindern nicht mehr weitergegeben werde.
Defizit oder Vorteil?
Rudolf Wachter sieht den Ansatzpunkt noch etwas früher: durch die späte Einschulung der Kinder würden diese beim Schuleintritt ganz unterschiedliche Voraussetzungen mit-bringen. Wachter fordert, dass die Kinder zum Zeitpunkt der Einschulung den Schweizer Dialekt alle möglichst gut beherrschen. Der Dialekt stelle eine gute und sinnvolle Basis für das Hochdeutsch dar – natürlich unter der Voraussetzung, dass in der Schule auch konsequent hochdeutsch gesprochen wird. Martin Sassenroth plädiert dafür, dass der Umgang mit der deutschen Sprache «entkrampft» wird. Die Trennung zwischen der «Wohlfühlsprache» Schweizerdeutsch und der ernsten Schulsprache Hochdeutsch müsse vermieden werden. Er und Rudolf Wachter sind sich einig, dass für die Schweizer Kinder Defizite entstehen, weil sie zu selten mit der deutschen Sprache in Kontakt kommen. Diese Tatsache stelle später eine grosse Behinderung dar.
Stimmt nicht, sagt Annelies Häcki Buhofer. Die Schweizer Kinder würden sich in einer besonderen Sprachsituation befinden. Da-durch hätten sie eine andere Ausgangsposition als deutsche Kinder, aber durchaus nicht eine schlechtere. Im Gegenteil: Schweizer Kinder hätten ein grösseres Sprachbewusst-sein als ihre deutschen Nachbarn.
Umerziehung für die Lehrer
Wie also können die Schweizer Kinder dazu gebracht werden, lieber deutsch zu sprechen? Die Erwachsenen müssen umerzogen wer-den, sagt Annelies Häcki Buhofer, angefangen bei den Lehrpersonen. Diese müssten im Umgang mit der deutschen Sprache mehr Selbstvertrauen gewinnen und die Freude an der Sprache an die Kinder weitergeben. Des-halb sei ein möglicher Ansatzpunkt die Lehrerbildung, wo die jungen Lehrkräfte auf die Problematik aufmerksam gemacht werden können.
Martin Sassenroth fordert von den Lehrern und Lehrerinnen, dass sie die hochdeutsche Sprache emotional positiver belegen. Dazu müssen sie über ihren Schatten springen und in einer Sprache unterrichten, die ihnen nicht lieb ist.
Doch darf die Schuld nicht allein den Lehrern zugeschoben werden. Annelies Häcki Buhofer meint, dass sich die kollektive Haltung der Deutschschweizer gegenüber der hochdeutschen Sprache verändern muss. Dies ist ein langer Prozess.
(skd) Anna Quinche führte für den Sprach-kreis Deutsch alle Befragungen in dieser Nummer durch.
(aq) wohnt in Biel und arbeitet neben dem Studium als freie Journalistin. Sie studiert an der Universität Freiburg (Schweiz) Medien- und Kommunikationswissenschaft, Betriebswirtschaftslehre und Journalistik und steht zurzeit kurz vor dem Abschluss. Bei den «Freiburger Nachrichten» hat sie erste Schritte als Journalistin gemacht, seit mehr als zwei Jahren arbeitet sie beim «Bieler Tagblatt» als Journalistin und Redaktorin. Nebst der Wortspielerei betreibt sie auch leidenschaftlich schweisstreibende Ballspiele.

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