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Tessiner Sorgen um das Italienische in der Schweiz

Wie steht es um die Präsenz des Italienischen in der schweizerischen Politik, Bildung und Kultur? Die italienische Schweiz fühlte sich von der Expo 02 vernachlässigt. An verschiedenen Hochschulen wackeln die Italienisch-Lehrstühle. Der Rückhalt, den eine starke Italienerkolonie der «Italianità» in der übrigen Schweiz verschaffte, ist im Schwinden. Im Tessin regt sich Sorge um die Stellung der dritten Landessprache.
rfr. Lugano, im Juni
50 000 Italienischsprachige weniger

Immer weniger Volksschüler und Gymnasiasten wählen Italienisch als Fremdsprache.
Die Volkszählung brachte an den Tag, dass zwischen 1990 und 2000 das Französische in der Schweiz etwas zugelegt hat. Die Bevölkerungsanteile der Italienischsprachigen und der Rätoromanen indessen sind kleiner geworden. Veränderte Immigration und zunehmende Integration bringen die italienische Sprache um einen Rückhalt, den die Einwanderung aus Italien in den vergangenen Jahrzehnten verschafft hatte. Gab es 1990 insgesamt 524 116 Italienischsprachige in der Schweiz, waren es im Jahr 2000 470 961.

Ungefährdet im Tessin

Auch in der angelaufenen Sprachdebatte scheinen sich die Tessiner Beobachter mehr oder weniger einig, dass sich die italienische Sprache im eigenen Kanton robuster Gesundheit erfreue. Jedenfalls hat man nicht den Eindruck, dass das heimatliche Idiom ernsthaft von der deutschen Sprache verdrängt werde. Eher wird Klage geführt, dass das Englische mehr und mehr in die Sprache und in den Alltag eindringe(kursiv Hervorhebung SKD)

Mangelnde Präsenz auf Bundesebene

Mit der Alarmglocke wird geläutet, weil man in der übrigen Schweiz eine rasche Abnahme der Italienischkenntnisse und der Rücksicht auf den kleinen Landesteil konstatiert. Die italienische Schweiz ist heute im Bundesrat nicht mehr vertreten. Es gibt kaum mehr Tessiner in Spitzenpositionen. Es ist das alte Lied, dass Tessiner im Parlament Französisch oder Deutsch sprechen müssen, wenn sie verstanden werden wollen.

Zu passive italienische Schweiz?

Das Tessin könnte mehr unternehmen, um die übrige Schweiz für das Italienische zu gewinnen. Unzählige Schüler besuchen Kurse und Lager im Sportzentrum von Tenero, ohne dass sie mit italienischer Sprache und Lebensart in Berührung gebracht werden.

Der Dekan der Tessiner Kommunikationsfakultät glaubt, dass die Universität der italienischen Schweiz mehr zur Stärkung der Italianità beitragen sollte . Möglich wäre , mit einem Institut oder mit «Sommerprogrammen» nach dem Vorbild von Perugia aktiv zu werden. Mit dem «Osservatorio linguistico della Svizzera italiana» oder dem «Centro di Dialettologia della Svizzera italiana» bestehen bereits wissenschaftliche Strukturen, auf denen sich aufbauen liesse.

Eine wichtige Rolle für die Stärkung der Italianità kommt dem Radio und Fernsehen der italienischen Schweiz zu. Dazu sollte es die Beziehungen und die Vermittlung über die Landesgrenze intensiver pflegen. Die RTSI stösst mit ihren überregionalen Ambitionen noch auf die Skepsis der SRG, die sich mehr am Modell des Deutschschweizer Radios und Fernsehens orientiert, das sich mit der Bevorzugung des Dialekts abkapselt.

Verlorener Sinn für die Viersprachigkeit

Vermutlich liegt das Problem heute vor allem darin, dass das Verständnis für die Besonderheit und die Herausforderungen der schweizerischen Viersprachigkeit verloren geht .

Vor anderthalb Jahrhunderten haben die Gründer dem Polytechnikum den Auftrag auf den Weg gegeben, Lehrstühle für die Landessprachen einzurichten. Nun hat die ETH bereits drei der vier Lehrstühle in aller Form abgeschafft; damit ist auch dem vierten die Basis genommen. Im heutigen Milliardenbudget hat es für eine kleine «staatsbürgerliche» Ecke keinen Platz mehr.

Es weht der Geist, der in den letzten Jahren die Reformen der Zürcher Erziehungsdirektion im Fremdsprachenunterricht bestimmte. (kursiv Hervorhebung SKD)

NZZ 4. Juni 2003 (gekürzt SKD)

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