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Für Vielsprachigkeit statt Englisch-Hegemonie

Der Linguist Konrad Ehlich, er lehrt an der Universität Müchen, plädiert dafür. FOCUS: Herr Professor Ehlich, werden wir sprachlich kolonialisiert?

Ehlich: Ich glaube, mit so einer plakativen Formel kommen wir nicht weit.
Es handelt sich um einen sehr komplexen Entwicklungsprozess in Bezug auf
die Kommunikation in einer sich immer mehr vernetzenden Welt.
Sprachklonialisierung setzt einen Kolonisator voraus.

FOCUS: Es gibt einen sprachlich-kulturellen Druck auf Deutschland
und das nicht englischsprachige Europa…

Ehlich: Das ist richtig…

FOCUS: …der sich wie ein normaler Marktprozess anlässt, letztlich
auf Kolonisation hinauslaufen könnte, oder?

Ehlich: Was die Sprache angeht, habe ich schon den Eindruck, dass sich der
potenzielle deutsche Anbieter selber vom Markt nimmt. In der Sprachenpolitik [ … ] gibt es eine zunehmende Tendenz, sich
zurückzunehmen – in der Hoffnung, wenn man sich bestimmten internationalen
Trends unterwirft, habe man bessere Chancen. Ähnliches beobachtet man bei der Industrie und bei vielen Wissenschaftlern.

FOCUS: Warum fehlt hierzulande der sprachliche Selbstbehauptungswille?

Ehlich: Eine ganze Reihe von Leuten, die heute sehr leichtfertig auf das
Deutsche verzichten, in der Wirtschaft, in der Politik, in der
Außenpolitik, in der Kulturpolitik insbesondere, denken, diesen Schatz –
ich sage das mal etwas pathetisch -, den haben wir ohnehin sicher, also
können wir uns in Zukunft vorrangig des Englischen bedienen, Ich halte das
für einen Kurzschluss. Wir werden unsere Sprache in Bezug auf viele Gebiete
verlieren, wenn wir sie nicht weiterentwickeln, wie das in den letzten
Jahrzehnten und Jahrhunderten mit großem Erfolg getan worden ist.

FOCUS: Was ginge verloren, wenn kein Deutsch mehr gesprochen würde?

Ehlich: Eine bestimmte Facette in einem sehr vielfältigen und dadurch sehr
interessanten Ensemble von Herangehensweisen an die Welt. Diese Kultur hat
– wie die anderen Kulturen – eine bestimmte Weise herausgebildet, wie die
Welt gesehen und wie mit Wissen umgegangen wird.

FOCUS: In der Bibel wurde die Sprachverwirrung als Strafe verhängt. Ist es
nicht ein Fluch der Menschheit, dass sie verschiedene Sprachen spricht.?

Ehlich: Darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. Wenn man die
Sprachen in ihrer Entwicklung, ihren Herangehensweisen, die Funktion für
die Gruppenbildung und dem Gewinn von Erkenntnis betrachtet zeigt sich,
dass sich da eine gewaltige Breite von Möglichkeiten herausgebildet hat.
Wir können bis in die psychische Organisation der Denkverfahren hinein
zeigen, dass unterschiedliche sprachliche Typen ganz unterschiedliche
Strategien verfolgen.

FOCUS: Sprachvielfalt entspricht also ungefähr der Artenvielfalt, und
Monokultur heißt Ödnis?

Ehlich: Ja, das würde ich meinen. Einsprachigkeit halte ich für ungefähr so
wünschenswert wie die Existenz nur einer einzigen Fortbewegungsart.

FOCUS: Praktisch gewendet: Jedes Kind sollte mit mindestens zwei
Hauptsprachen aufwachsen?

Ehlich: Es gibt viele Teile der Welt, in denen das ohnehin der Fall ist.
Ich halte das für ein sinnvolles bildungspolitisches Konzept.

FOCUS: Es könnte aber sein, dass der zweisprachig Aufwachsende die weichen
Dinge wie Familie und Folklore in seinem Heimatidiom abhandelt, die harten
wie Wissenschaft und Ökonomie im global kompatiblen Englisch. Was zur Folge
hätte, dass der Geist peu a peu ins Englische abwandert…

Ehlich: Das wäre schade. Die komplexen Gebilde der einzelnen
Wissenschaftssprachen haben in den letzten 200, 300 Jahren gewaltige
Anreicherungen und Erweiterungen erfahren. Da zeichnen sich sehr
charakteristische Differenzen in der Entwicklung von Denktradionen ab, die
sich sozusagen in den sprachlichen Strukturen verfestigt haben. Das ist
zwar alles ineinander übersetzbar, aber dieses Übersetzen erfordert
gesellschaftliche Arbeit. Was das Englische angeht, hat sich die
Wechselseitigkeit dieser Vermittlungstätigkeit ab Mitte des 19.
Jahrhunderts allmählich zu einer Einbahnstraße entwickelt.

FOCUS: Warum sollte man nicht das gesamte schriftliche Weltkulturerbe im
Englischen konservieren? Es gibt ja auch hervorragende deutsche
Shakespeare-Übersetzungen…

Ehlich: Haben Sie“s mal versucht mit der Übertragung von differenziertem
Deutsch in ein angemessenes Englisch? Das ist eine enorm schwierige
Angelegenheit, von den Termini angefangen bis hin zu den inhaltlichen und
den Satzkonstruktionen. Die eigentliche Aufgabe ist, in einem wirklich
wechselseitigen Transferprozess Sprachen ineinander zu überführen. Von
angelsächsischer Seite erfolgt das leider immer weniger, weil der normale
britische oder US-amerikanische Student mit Sprachen überhaupt nicht mehr
konfrontiert wird. So bekommt die Sache in der Tat eine Art hegemonialen
Touch. Und hier handelt es sich um weit mehr als die viel erörterte
Anglizismen-Frage.

FOCUS: Kein Fortschritt ohne Einbußen, lautet ein Weltgesetz. Was zum
Beispiel die Industrialisierung an Fortschritten gebracht hat, musste
sozusagen mit landschaftlichen Schönheitsverlusten bezahlt werden.
Vielleicht gilt ja dasselbe für die Sprachen, vielleicht ist es schon
genug, wenn in 1000 Jahren ein englisch überlieferter Kafka oder Rilke
übrig bleibt?

Ehlich: Mag sein. Aber über das Jahr 3000 mochte ich nicht so gerne
sprechen, mich interessieren mehr die nächsten 100 Jahre. In dieser Frist
wird sich die Frage beantworten, ob wir eine substanzielle Mehrsprachigkeit
entwickeln können.

FOCUS: Wie auch immer: Die sogenannten einfachen Menschen werden in ihren
sprachlichen Klausuren weiterleben, aber die Kommunikation über global
relevante Themen wird künftig auf Englisch stattinden. Oder?

Ehlich: Vergessen Sie die Chinesen und ihre Sprache nicht. – Dass die
Engländer und Amerikaner keinen Anlass sehen, Lebenszeit zu investieren, um
andere Sprachen zu erwerben, ist aus deren Sicht plausibel. Für den Rest
der Welt stellt sich die Sache entschieden anders dar. Die Völker sind
keine idealisierte Gemeinschaft, es geht in diesem Prozess ja auch um
Macht und Durchsetzungskraft und so weiter. Die Menschen werden sich auf
Dauer nicht mit einer Variante zufrieden geben, es wird immer zu
Differenzierungen kommen Und was die Blauäugigkeit betrifft, die gerade
bei der deutschen Wissenschaft zum Teil herrscht, fragen einen manchmal
sogar Amerikaner: Habt ihr das wirklich nötig?

lnterwiew: Michael Klonovsky
Eingescannt aus der Druckausgabe Focus Nr. 27/2004

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