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Ich plädiere für die Quote! – Von Reinhard Mey

(skd) Soll niemand behaupten, in den Kuchen der Schweizer Radiowellen teilten sich die untersc hiedlichen Musikrichtungen harmonisch . Die Gesetze des Marktes wirken sich aus. Welche Interessen stecken dahinter? Werden die Wünsche der Hörer „gemacht“? Gibt es einen anwendbaren Mittelweg zwischen (gelenkter) Freiheit und (befohlenen) Anteilen? – Deutschland diskutiert seit Wochen die Quote. – Reinhard May, vielen bekannt durch das Lied „Über den Wolken“, betritt den harten Boden der Wirklichkeit und schreibt ungeschminkt:I

Wo bleibt die gute deutsche Musik? Sie wird komponiert, aber nie
gesendet. Ein ganzer Industriezweig droht auszusterben. Die Lösung: eine
Quote für Lieder in der Muttersprache. Frankreich macht es vor.
Sie können sich tagtäglich auf den Radiowellen dieses, unseres Landes
davon überzeugen: Es wird fast ausschließlich englischsprachige Musik
gespielt. Natürlich gibt es auch vereinzelt verirrte Spartensender, die
ausschließlich auf deutsche Schlager spezialisiert sind. Doch das ist das
andere, keinesfalls wünschenswerte Extrem von einem Dudelfunk, der den
ganzen Tag grenzdebilen, reaktionären Schlagerschrott spielt und
unsägliche, ewig gestrige sogenannte Volksmusik, die nichts mit
Volksmusik zu tun hat.

Wenn ich in meiner Heimatstadt Berlin das Radio anmache, fliegt mir die
angloamerikanische Meterware nur so um die Ohren. Darunter Uralt-Hits,
bei denen ich damals, im vorigen Jahrhundert, schon beim ersten Hören die
ungute Vorahnung hatte, dass ich mir diesen Scheiß mein ganzes Leben lang
werde anhören müssen. Text egal, Aussage egal, Englisch muss es sein.
Landauf, landab preisen uns die Radiosender „die größte Vielfalt“ und
„die größte Abwechslung“. Doch die besteht ausschließlich aus den
englischen Top 100 und ein paar immer gleichen Oldies, unterbrochen nur
vom Verkehrsfunk.
Englisch singende Deutsche sind in Amerika Lachnummern

All das hat dazu geführt, dass viele junge Leute, die singen wollen und
die Aussichtslosigkeit erkannt haben, das in ihrer Muttersprache tun zu
können, darauf ausgewichen sind, in Englisch zu schreiben und zu singen.
Ein verzweifeltes Unterfangen, was sich mir nicht nur subjektiv als extra
peinlich darstellt, sondern was auch oft objektiv an so einfachen Kriterien
wie Sprachkenntnissen und Akzent scheitert. In England oder Amerika kriegen
unsere englisch singenden Deutschen keinen Fuß in die Tür, da sind sie
Lachnummern, die höchstens mal einen Erfolg dort verbuchen können, wo man
noch schlechter Englisch versteht und mit mehr Akzent spricht als in
Deutschland, also in Froonkreisch, Russland und Südkorea.

Wie ist es dazu gekommen? Nach dem Zweiten Weltkrieg war uns alles
Deutsche suspekt. Unsere größten Wortkünstler, unsere besten Musiker,
unsere Kulturschaffenden hatten wir ermordet oder ins Exil getrieben.
Deutschland lag kulturell – von den Klassikern abgesehen – genauso
zerstört am Boden wie die Städte. In diese Wüste kamen AFN und BFN mit
neuer, lang entbehrter Musik, mit Jazz, Swing und spätem Rock“n Roll. Der
Erfolg hat natürlich die Nachahmer beflügelt und damit begann das Elend!
Nichts ist schlimmer als Nachmachen, nichts peinlicher als der Versuch,
ein Original zu kopieren, das man gar nicht erreichen kann. Das war die
Geburtsstunde der Verachtung für den deutschen Schlager. Die Nachahmer
haben den Boden so nachhaltig verbrannt und versaut, dass sich der
deutsche Schlager davon bis heute nicht erholt hat. Solange er nichts
Eigenes, Originelles erschafft, wird er immer schlechter sein als das
Original, auf dessen Schleimspur er hinterhersabbert.

Junge Künstler haben kein Podium

Die Rundfunkredakteure, die einen gewissen Anspruch haben wollten, haben
einen Bogen um alles Deutsche gemacht. Wer was auf sich hielt, spielte
Englisch. In den sechziger und siebziger Jahren platzten wir Liedermacher
in das Deutsch-Vakuum und als Alternative (manchmal auch als Alibi) freudig
begrüßt, fanden wir offene Studiotüren. Es gab eine richtige Liedermacherwelle,
aber wie alle Wellen ebbte sie auch wieder ab. Alles blieb beim Alten:
deutscher Schlager und englischer Pop.

Dann folgte die Privatisierung des Rundfunks, von der wir uns alle diese
herrliche, überwältigende Vielfalt erhofften. Stattdessen kam die totale
Verarmung, die Vereinheitlichung, der überall gleiche Dudelfunk, das
Elend: Spartenradio! Ein Radio, bei dem der Marketingchef mit Schielen
auf die Aktionäre die Musik bestimmt und ein Computer bestimmt, wann sie
gespielt wird.

Mir könnte das alles wurscht sein, ich habe die schönsten CDs im Auto.
Mir ist es wurscht, dass ich im Radio nicht gespielt werde, mein Publikum
kennt mich und beschert nach wie vor jeder meiner Platten Gold-Status und
findet auch trotz strengster Geheimhaltung den Weg in meine Konzerte. Mir
ist es aber nicht wurscht, dass die jungen Künstler, die es in diesem
Land so reichlich gibt, nicht gespielt werden, dass die, die sich in
unserer Sprache ausdrücken wollen, kein Podium haben, um sich uns
vorzustellen.

So viel geht uns verloren

So viel geht uns da verloren, so viel Gutes hören wir nicht, so
viele Talente blühen, warten und verzweifeln und müssen irgendwann
kläglich aufgeben, weil unsere Medien sie diskriminieren: Die Charts
einerseits und die Volksmusik andererseits, man kann sich als junger
Künstler nur noch überlegen, an welchem dieser beiden Fensterkreuze man
sich aufhängen will.

Ich habe immer auf die selbstheilenden Kräfte des Marktes gehofft. Doch
beim massiven Einsatz der Schallplattenkonzerne, die lieber ihre fertigen
englischen und amerikanischen Produkte in die Läden reindrücken, als
mühsam neue Talente aufzubauen, sind die selbstheilenden Kräfte aus
gutem Geschmack, Neugier und Freude an der Sprache zum Scheitern
verurteilt. Ich sehe es ungern, aber ich sehe es ein: Es führt kein Weg
an einer Quote für deutschsprachige Musik vorbei, wenn wir nicht einen
wichtigen Zweig unserer Kultur – und einen Wirtschaftszweig – an
unterlassener Hilfeleistung sterben lassen wollen.
Ja, ich plädiere für
die Quote!

aus Cicero, Magazin für politische Kultur, 8. Juni 2004

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