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Variantenwörterbuch Deutsch – weltweit einmalig

Was ist Güsel, was ein Bartwisch und wann steht man mit abgesägten Hosen
da?

Rund 12 000 national wie regional geprägte Wörter und Wendungen der
Standardsprache umfasst das neu erschienene „Variantenwörterbuch des
Deutschen“. Linguistikprofessor Ulrich Ammon, Uni Duisburg-Essen, und
seine Mitarbeiter
haben das einmalige, mitunter amüsante Nachschlagewerk zusammen mit
Forscherteams aus Basel und Innsbruck erarbeitet. Rahm, Obers, Nidel –
nicht überall im deutschsprachigen Raum steht Sahne drauf, wo Sahne drin
ist. In Österreich, der Schweiz, in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien,
Südtirol und natürlich in Deutschland spricht man zwar die gleiche
Sprache. Sagen und verstehen tut man dennoch nicht immer dasselbe, selbst
im eigenen Land nicht.

An die 50 000 national oder regional geprägter Ausdrücke umfasst
schätzungsweise die deutsche Standardsprache. Nur ein Viertel – so
befanden die beteiligten Wissenschaftler – gehört zum öffentlich
gebräuchlichen Wortschatz und wurde daher für das Wörterbuch
berücksichtigt.

Für die Linguistik wie Lexikographie ist das Variantenwörterbuch umso
bedeutsamer, als es nichts Vergleichbares für eine andere Sprache gibt.
Es dürfte somit Vorreiterfunktion haben etwa für das Englische,
Französische, Spanische oder Portugiesische, die wie Deutsch als
plurizentrische Sprachen gelten. „Als solche“, so Ammon, „bezeichnet man
Sprachen, die in mehr als einem Land als nationale oder regionale
Amtssprache in Gebrauch sind und dabei standardsprachliche Unterschiede
herausgebildet haben.“

Als schwierig erwies sich mitunter die Trennung zwischen Standarddeutsch,
Mundart und Umgangssprache. Im Wörterbuch sind Grenzfälle entsprechend
gekennzeichnet. Die „Schwedenbombe“ ist so einer. In Österreich isst man
sie. Dagegen hat in der Schweiz und in Teilen Deutschlands die
(Sch-)Leckerei etymologisch einen anderen Ursprung als in Österreich:
Mohrenkopf und Negerkuss heißt sie da.

„Für über 90 Prozent der aufgenommenen Wörter und Wendungen gibt es eine
oder mehrere Varianten gleicher Bedeutung in den anderen Nationen oder
Regionen des deutschen Sprachgebiets“, sagt Ammon. Für manche gibt es
dagegen keine Entsprechung, nur eine gemeindeutsche Übersetzung, etwa für
die in der Schweiz gängige Wendung „in abgesägten Hosen dastehen“
(bloßgestellt sein). Auch „Augenwasser“ ist eine rein eidgenössische
Sprachvariante für gemeindeutsch „Tränen“. Und Häuschenpapier – wiederum
Schweiz – ist nicht das, was in hiesigen Regionen damit assoziiert würde.
Es ist Rechenpapier.

Ein und dasselbe Wort, mehrere Bedeutungen – auch das gibt es: Mit
„Estrich“ benennen Deutsche und Österreicher den fugenlosen Fußboden,
Schweizer den Dachboden. Und ein für viele Ohren Haar sträubender
Grammatikfehler ist gar keiner: Man darf nicht nur „ihn rufen“
(Österreich; Norddeutschland), sondern auch „ihm“ (Schweiz;
Süddeutschland).

Das Einheitsdeutsch, das zeigt das Variantenwörterbuch deutlich, gibt es
nicht, auch wenn lange Zeit nur als richtig galt, was im Duden steht.
Nationale und regionale Unterschiede im Gebrauch von Wörtern und
Wendungen sowie abweichende Grammatik und Orthografie wurden ignoriert.
Das machte das Österreichische und Schweizerische zu einem Deutsch
zweiter Klasse. Groß war deshalb das Interesse an diesem Projekt in
beiden Ländern, und die finanzielle Förderung fiel deutlich höher aus als
in Deutschland.

Gedacht ist das Variantenwörterbuch für Germanisten, Deutschlernende und
-lehrende, für Medien- oder Tourismusfachleute oder als Nachschlagewerk
für Leser deutschsprachiger Literatur. Bei einem Preis von unter 30 Euro
rechnet der Berliner Verlag de Gruyter mit einer breiten Nachfrage.

Kontakt: Prof. Dr. Ulrich Ammon, ammon@uni-duisburg.de
Gekürzt skd, vollständig unter

http://idw-online.de/pages/de/news95263

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