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Man sprach Deutsch

Im 19. Jahrhundert war Deutsch eine führende Wissenschaftssprache
Appetitlosigkeit, mattig, Mundhöre weißlich …
Gut, es war vielleicht nicht ganz fehlerfrei, was ein japanischer Arzt da
in seine Akten schrieb, aber es war Deutsch. Noch bis 1994 benutzte er
für seine Krankenkarteien ausschließlich die deutsche Sprache. In der
japanischen Medizin bis dahin die unbestrittene Wissenschaftssprache
Nummer eins. Der Grund war, dass in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
tatsächlich die überwältigende Mehrheit der Entdeckungen im Fach Medizin
in Deutschland gemacht wurde.

Und nicht nur in der Medizin, sagt der Duisburger Sprachwissenschaftler
Ulrich Ammon. In allen Wissenschaften zählten die Deutschen zu den
Vorreitern.

Für junge, aufstrebende Wissenschaftler in aller Welt galt: besser
Deutsch lernen, sonst versteht man die Literatur nicht. An vielen Unis
war ein Sprachkurs sogar Pflicht – in den USA etwa für Chemiker und
Psychologen, in Portugal und Japan für Juristen. Schon in der Schule war
Deutsch vielerorts unumgehbares Fach. Weiß Ulrich Ammon:

Beispielsweise in den USA. Kann man sich heute kaum noch vorstellen,
heute ist Spanisch dort die wichtigste Fremdsprache, aber vor dem ersten
Weltkrieg war Deutsch die mit Abstand wichtigste Fremdsprache in den USA,
und ein wichtiger Grund neben anderen war eben die Bedeutsamkeit der
deutschen Wissenschaft.

Jeder berühmte deutsche Wissenschaftler unterrichtete ausländische
Schüler, lehrte im Ausland, vertrat seine Wissenschaft auf
internationalen Konferenzen und tat dies alles – selbstverständlich – auf
Deutsch. So Robert Koch, Siegmund Freud, Max Weber oder Albert Einstein,
zum Beispiel auf der Science Conference in London, 1941:

Die deutsche Sprache begegnete einem, wo auch immer es um Wissenschaft
ging – und ganz besonders um Naturwissenschaft. In internationalen
Bibliografien war mindestens ein Drittel aller Titel deutschsprachig,
wobei längst nicht alle der aufgeführten Werke auch von Deutschen
geschrieben waren, sondern zum Beispiel von Japanern, in einer
japanischen Zeitschrift.
Der erste Weltkrieg brach aus, Deutschland hatte
weder für Forschung noch für Publikationen das nötige Geld. Im
finanzstarken Amerika dagegen wuchsen und gediehen an den Hochschulen
Konkurrenzunternehmen, und mit ihnen ihr internationales Ansehen. Und
dann kam auch noch ein Boykott dazu: von Wissenschaftlern der
Siegermächte gegen ihre Kollegen aus Deutschland und Österreich.

Ammon: Nach dem Ersten Weltkrieg war Deutsch quasi auf internationalen
Konferenzen verboten. Das hat sich fünf, sechs Jahre hingezogen, was sehr
nachhaltig nachgewirkt hat, und die deutschen Wissenschaftler haben dann
von sich aus den Fehler gemacht, nach dieser Boykottzeit nicht
international in diesen Verbänden mitzuarbeiten, sondern im Grunde so
eine Art Gegenboykott zu betreiben, ein schwerer Fehler, so dass Deutsch
aus wissenschaftspolitischen Gründen damals große Einbußen auf
internationaler Ebene erleben musste.

Ein weitaus größerer Aderlass für die deutsche Wissenschaft war jedoch
die dann folgende Vertreibung vieler ihrer Vertreter ins Exil. Allein bis
1936 traf sie mindestens 1600 deutsche Hochschullehrer – die allermeisten
von ihnen gingen in angelsächsische Länder. Das Thema „Deutsch als
internationale Wissenschaftssprache“ war damit aber noch lange nicht
endgültig vom Tisch: bis in die Achtzigerjahre war der deutsche Anteil an
wissenschaftlichen Publikationen enorm hoch. Dann jedoch brach er
regelrecht ein. Ulrich Ammon nennt den Grund:

Die Wissenschaftler, die in den Zwanziger-, Dreißigerjahren in
Deutschland studiert hatten, lebten oder arbeiteten bis in die
Siebziger-, Achtzigerjahre und gebrauchten auch bis dahin das Deutsche.
Und erst mit dem Ende dieser Wissenschaftler-Generation ist das dann
richtig deutlich geworden, dass Deutsch als internationale
Wissenschaftssprache ausgespielt hatte.
Esther Körfgen(gekürzt skd)

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/campus/339838/

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