• Allgemein
  • 0

Sprachliche Minenfelder

(Un)korrekte Sprache?
rar. Werden Journalisten bald nur noch auf den Zehenspitzen gehen dürfen? Vom Deutschen Presserat ist zu erfahren, dass er in diesem Jahr den Journalistenkodex mit einem Benachteiligungsverbot bereichern will. Grund dafür sind Forderungen von Behindertenverbänden. Sie verweisen darauf, dass Behinderte, vor allem durch oberflächliche Ausdrücke diskriminiert würden. Dazu gehöre etwa die Floskel «an den Rollstuhl gefesselt». Dadurch würden die Betroffenen «von eigenständig lebenden Personen zu bemitleidenswerten Geschöpfen degradiert», zitiert der Branchendienst EPD einen Verbandsfunktionär.

Sicher ist es wichtig, stets genau zu formulieren. Doch erinnert der Vorstoss an die salbungsvoll drohende Art von Gutmeinenden, welche Schwarze stets als schwarze Menschen oder Juden konsequent als jüdische Mitbürger und Mitmenschen bezeichnen. Womit sie dem Publikum stillschweigend unterstellen, es zweifle daran, dass es sich um Menschen und Bürger handle. Der verbale Präventivschlag gegen Vorurteile trägt letztlich dazu bei, diese wachzuhalten.

Diese neue Episode im Kampf um eine saubere Sprache kontrastiert mit einem Konflikt, der sich letztes Jahr in England abspielte. Dort wollte der Sender Channel 4 gegen politisch unkorrekte Gesten der Gebärdensprache vorgehen. Doch dadurch erregte er ausgerechnet den Zorn eines Behindertenverbands. Nach einem Bericht des «Sunday Telegraph» ging es um die Gesten, mit denen Juden und Minderheiten symbolisiert werden. Für die Homosexuellen war das offenbar ein Hüftschwung und für die Juden eine angedeutete Hakennase. Channel 4 wollte «modernere, weniger verletzende» Gesten einführen. So könnten die Juden mit der Menora, dem siebenarmigen Leuchter, bezeichnet werden. Die Behindertenvertreter wollten sich das nicht gefallen lassen. Channel 4 mische sich in die Kultur und das Gesellschaftsbild der Gehörlosen ein, erklärten sie. Das sei eine Form von Diskriminierung. Die Sprache ist in der Tat zum Minenfeld geworden. Vielleicht brauchen wir die Hilfe der Technokraten. Diese bezeichnen beispielsweise Zigeuner als Angehörige einer mobilen ethnischen Minderheit. Wer weiss, vielleicht entwickelt sich daraus die Poesie des dritten Jahrtausends.

NZZ 11. Febr. 2004

Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar