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Englisch als neue Lingua franca
Unbeliebt und frisch gesprochen:
Deutsch in der vielsprachigen Schweiz


Aus der Rede von Charles Linsmayer bei der Verleihung des deutschen Sprachpreises
Weimar, 21. September 2007

Ich habe bis jetzt mit Absicht etwas ausgespart, was in diesem ganzen Zusammenhang unbedingt noch zur Sprache kommen muss, etwas, was nicht nur das Verhältnis zwischen den verschiedenen Varietäten des einen Deutsch, sondern dieses Deutsche insgesamt, ja eine ganze Reihe von Sprachen Europas und der ganzen Welt betrifft. Ich meine das Ungleichgewicht, das in den letzten Jahren zwischen der immer weitere Bereiche erfassenden neuen Lingua franca, dem Englischen, und den Muttersprachen von Millionen nicht von Geburt auf Englisch sprechenden Menschen entstanden ist. Mindestens seit 1945, als die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Weltmachtposition endgültig festigen konnten und im Kalten Krieg die unbestrittene westliche Führungsmacht wurden, prägt der American way of life fast überall auf der Welt das Leben der Menschen und ist mit der amerikanischen Technik, der amerikanischen Kultur und Unterhaltung und vor allem mit der amerikanisch dominierten globalen Kommunikation das Englische weltweit zur vorherrschenden Sprache geworden. Eine Position, die sich in der jüngsten Vergangenheit dank dem Globalismus in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft noch weiter hat festigen und zementieren können. Den 300 Millionen Menschen mit Englisch als Muttersprache stehen 400 Millionen nicht muttersprachlich englisch sprechende Menschen gegenüber, nicht nur in Europa, auch in Kolumbien, in Chile und in der Mongolei, ja sogar in der Volksrepublik China sind Bestrebungen im Gange, Englisch zur zweiten Landessprache zu machen, und man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszusehen, dass Englisch innert kurzem weltweit die Muttersprachen vollständig aus Tourismus, Wirtschaft, Politik und Wissenschaft verdrängt haben wird.

Modernes Küchenlatein

Aber was ist denn das für ein Englisch, das wie das spätmittelalterliche Latein zur Lingua franca, zum geläufigen Idiom für alle und jeden geworden ist? Es hat sich im Vergleich zum klassischen Englisch ebenso verändert wie jenes mittelalterliche Küchenlatein im Vergleich zur Sprache Ciceros und Vergils. Es ist als BSE, als «basic or bad simple English» oder als «broken English» zum reinen funktionalen Werkzeug geworden. Verständlichkeit ist alles, grammatische oder stilistische Feinheiten, subtile Zwischentöne, kulturelle Bezüge fallen weg, die sprachlichen Formen sind reduziert und vereinfacht, regionale Akzente und Übernahmen laufen auf Spielarten von Pidgin English wie das «Pan Swiss English» hinaus, das nach einer Studie des Schweizerischen Nationalfonds in der wegen ihrer Viersprachigkeit für das Vordringen des Englischen besonders anfälligen Schweiz am Entstehen ist. Womit wir dann, um technologische Codewörter und modischen Slang vermehrt, endgültig bei einer rudimentären Verkehrssprache wie dem Suaheli in Ostafrika oder der Bahasa Melayu in Indonesien angelangt wären. «In den höheren Semestern hätten die Studierenden offensichtlich nichts dagegen, einen Grossteil ihrer Ausbildung in englischer Sprache zu absolvieren», erklärte der Präsident des VSETH, des Vereins der Studierenden an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, am 19.April 2005 der NZZ. «Dazu gehöre es auch, Referate zu halten oder mündliche Prüfungen abzulegen, was zwar mühsam, aber auch eine wertvolle Erfahrung sei. Man komme mit einem relativ kleinen Wortschatz recht weit und werde generell auch nicht belächelt, da andere es nicht besser könnten.»

Gelassenheit gegenüber den Anglizismen

Am deutlichsten sichtbar wird der Vormarsch des Englischen als Trend und Modesprache natürlich anhand der Anglizismenflut, die in jüngster Zeit den öffentlichen Raum, die Medien, die Werbung und die Privatwirtschaft erfasst hat und die oftmals schon fast den Eindruck erweckt, als sprächen wir Englisch mit deutscher Syntax. Das Phänomen ist in der Schweiz nicht weniger spektakulär als in Deutschland und anderen nichtenglischsprachigen Ländern wie Italien, Schweden oder Finnland, und überall haben offizielle und selbsternannte Sprachschützer dagegen mobil gemacht und Gegenmassnahmen bis hin zu gesetzlichen Verboten gefordert. Und natürlich ist es bedenklich oder ärgerlich, dass es in der Schweiz nun Postmail statt Briefpost, Rail City statt Hauptbahnhof, directories statt Telefonbücher, Fashion statt Mode und facility manager statt Hausabwart heisst, ja dass der Flughafen Zürich zum «Unique Airport» geworden ist, die Berner Kraftwerke mit dem Slogan «1 to 1 energy» werben und in den Zeitungen Konstruktionen wie «Der FastDrink-Charme des Instant Flirters» gebräuchlich sind. Was um beliebig viele Beispiele aus Deutschland ergänzt werden könnte, wo die Ortsgespräche neuerdings City Call heissen, der Treffpunkt zum Meeting Point, die Salatsosse zum Dressing geworden ist und wo von Outfit bis Mobbing, von Relaxen bis Joggen und von Networken bis Downloaden, von Hardliner bis Ticket-Corner mit gleicher Selbstverständlichkeit all jene englischen bzw. dem Englischen nachempfundenen Trendwörter Einzug gehalten haben, die inzwischen Allgemeingut jener globalen Network Society geworden sind, die Robert Philipson 1992 in seiner Studie «Linguistic lmperialism» hat heraufdämmern sehn. Wobei er allerdings nicht ahnen konnte, dass die deutschen Hundebesitzer schon 2007 «down» statt «sitz» sagen würden und eine urdeutsche Berufsgattung wie die der Handwerksmeister sich in «Bachelor professional» würde umtaufen wollen. So kurios das alles anmutet: es ist anzunehmen, dass diese Anglizismen nur eine sehr oberflächliche, vorübergehende, von der Sprache verkraftbare, für unser gutes altes Deutsch nicht wirklich bedrohliche Angelegenheit ist. Carl Spitteler, der Schweizer Literaturnobelpreisträger von 1919, hat, als Sprachpuristen gegen die Fremdwörterflut aus dem Französischen Sturm liefen, zur Gelassenheit gemahnt und auf den vorübergehenden Charakter des Phänomens verwiesen. «Die Mehrzahl der Fremdwörter verdankt ja ihre Aufenthaltsbewilligung in der deutschen Sprache keineswegs einem logischen Bedürfnis, einer Begriffsnot, einer Wortarmut», gab er zu bedenken, «sondern vielmehr der schmählichen, abgeschmackten Prahlsucht.»

Charles Linsmayer:
Unbeliebt und frisch gesprochen: Deutsch in der vielsprachigen Schweiz

Rede bei der Verleihung des deutschen Sprachpreises 2007. Weimar, 21. September 2007
(Auszug skd – Wir danken dem Autor für die Überlassung des Textes)

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