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Maulkorb für ihre Sprache: Elsässer sind schockiert
Nachtrag vom 22.Juli beachten!

Straßburg. Die Elsässer sind entrüstet und schockiert: noch vor wenigen
Wochen hat das französische Parlament für die Anerkennung der Regionalsprachen
in der Verfassung gestimmt, doch die Freude über diese Aufwertung des
«Elsässerditsch» währte nicht lange.

Der Senat, die zweite Parlamentskammer, hat jetzt gegen dieses Vorhaben
gestimmt. Auch die altehrwürdige «Académie Francaise» in Paris, die sich um
die Reinheit der Sprache kümmert, nannte den Vorstoß des Parlaments einen
«Angriff auf die nationale Identität».

Dialekt als Bereicherung

Die Kathedrale in Straßburg ist das bekannteste Bauwerk des Elsass.
«Angegriffen wird die französische Sprache durch SMS-Texte
und das beklagenswerte Niveau des Französisch-Unterrichts an unseren
Schulen», sagt der Vorsitzende der Vereinigung für elsässische Sprache und
Kultur, Gérard Cronenberger. «Unser Dialekt ist eine Bereicherung und macht
es leichter, Deutsch zu lernen». Aus der grenznahen Sicht der Elsässer mag
das stimmen, doch in Paris sieht man es – hauptsächlich im konservativen
Regierungslager – etwas anders. Man hält lieber an der Tradition fest, wie
sie in Absatz zwei der Verfassung seit Jahrzehnten festgeschrieben ist: «Die
Sprache der Republik ist Französisch». Die Parlamentarier wollten hinzufügen,
«die Regionalsprachen gehören zum Erbe der Nation».

«Wo waren unsere elsässischen Politiker, als im Senat dagegen gestimmt
wurde», empört sich Cronenberger. Ein abweichendes Votum oder ein Protest der
immerhin neun Senatoren aus dem Elsass ist bislang nicht bekannt. Dabei hat
sogar die ebenfalls konservative Justizministerin Rachida Dati vergeblich für
die kulturelle Vielfalt plädiert. Für sie sind Regionalsprachen wie
Bretonisch, Baskisch oder Korsisch «ein Teil unserer Identität und sollten
deshalb erhalten werden».

«Elsässerditsch» von Eltern und Großeltern übernommen

Wer heute zwischen Rhein und Vogesen «Elsässerditsch» spricht, hat es von
seinen Eltern und Großeltern auf dem Land übernommen. Die Regionalsprache ist
eine Mischung aus archaischem Deutsch und Französisch, die im Nordelsass
anders gesprochen wird als im Süden an der Schweizer Grenze. Die Schriftform
des Elsässischen ist Deutsch. Vor Jahren haben einfallsreiche Regionalisten
einen Aufkleber mit einem Storch und der Aufschrift «red wie dir d“r schnawel
gewachse isch» (Rede wie Dir der Schnabel gewachsen ist) populär gemacht.
Eine Fundgrube für Volkstümliches sind elsässische Sprichwörter: «D“r
Lorbeerkranz esch güet se binde, de kopf dezü esch schwärer ze finde» (Der
Lorbeerkranz ist leicht zu binden, der Kopf dafür ist schwerer zu finden).

Über die Haltung der «Académie Francaise» kann sich Cronenberger nur
amüsieren. «Diese Institution wurde unter Kardinal Richelieu im 16.
Jahrhundert geschaffen. Sie gehört der Vergangenheit an», sagt er. Auch der
Präsident des elsässischen Regionalrates, Adrien Zeller, hat verständnislos
reagiert. «Elsässisch ist ein Faktor der Öffnung Frankreichs nach Osten»,
sagt er. Die Regionalpolitiker verweisen auf tolerante und weltoffene Staaten
wie Kanada, Luxemburg oder Belgien, wo Französisch im Rahmen der
Sprachenvielfalt akzeptiert ist.

Hoffnung auf den Sieg der Vernunft

Im Elsass setzt man darauf, dass zum Schluss «doch die Vernunft siegt». Wenn
die Angelegenheit zur zweiten Lesung ins Parlament zurückkehrt, so hofft
zumindest Cronenberger, «werden die Verfechter der kulturellen Vielfalt
hoffentlich die Mehrheit bekommen». (dpa)
DerWesten vom 20.6.2008
http://www.derwesten.de/nachrichten/panorama/2008/6/20/news-56920947/detail.html

3sat vom 22.7.2008
Frankreich spricht, wie der Schnabel gewachsen ist

Nachdem Frankreich in seiner neuen Verfassung erstmals die Existenz der
Regionalsprachen anerkannt hat, fordert die elsässische Vereinigung „Kultur
und Zweisprachigkeit“ nun konkrete Maßnahmen. Im kommenden Jahr solle dazu
ein Gesetz ausgearbeitet werden, das den Regionalsprachen einen „wirklichen
Platz“ im öffentlichen Leben einräumt, verlangte der Präsident der
Vereinigung, François Schaffner, in einer Mitteilung an die Presse. Als
Beispiele nannte er Schulen und Hochschulen, Medien, Wirtschaft und Beruf. Im
Elsass sowie in Ostlothringen werden sowohl die Mundarten als auch das
Hochdeutsche „als schriftliche Ausdrucksform“ als Regionalsprachen definiert.

Die am Vortag verabschiedete Reform der französischen Verfassung erklärt
erstmals, dass die Regionalsprachen „Teil des kulturellen Erbes Frankreichs“
sind. In Frankreich gibt es einem Bericht der Pariser Nationalversammlung
zufolge rund 75 Regionalsprachen. Darunter sind unter anderen Baskisch,
Bretonisch, Katalanisch, Korsisch, Okzitanisch oder auch Flämisch.

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