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Plädoyer für »All die schönen Wörter«

Ewiges ist nicht auf Erden als der Wandel«, sagt Hermann Hesse so schön
poetisch und elegisch. Man sollte sich beizeiten dieser Wahrheit, deren
Erkenntnis hier so wohlformuliert ist, stellen. Dennoch darf man dem
Vergangenen oder gerade Vergehenden auch nachtrauern. Manchen Bereich im
menschlichen Leben gibt es, in dem man dadurch gar zurückgewinnen, neu
erblühen lassen kann, was als verloren galt. Die Sprache zum Beispiel, die
Welt der Wörter und Begriffe, die Alltagskommunikation, die sich ständig
wandelt.

In diesem gebrauchs-intensiven Bereich, im Grundwortschatz – der von
Mensch zu Mensch verschieden reich beziehungsweise arm ist -, geht mancherlei
im Wortsinne zugrunde, in den Grund des Vergessens. Entweder weil die
Gegenstände, die sie bezeichnen, nicht mehr benutzt werden, oder weil diese
Worte durch andere, vielleicht kürzere aus einer anderen Sprache, ersetzt
werden. Oder aber weil man sie – wie eine dazugehörige Sitte oder Denkweise –
als altmodisch empfindet. Zwar gehen weniger Worte verloren, als neu
hinzukommen, gerade in unserer Zeit der Explosion von Wissenschaft und
Technik, dennoch gibt es schon ganze Listen, die vom Untergang bedrohte
Begriffe aufführen. Aber die Argumente der Wächter der deutschen Sprache, die
vor der Überschwemmung mit vor allem Anglizismen warnen, oder der Ästheten
unter den Sprachnostalgikern wie etwa Dörthe Binkert, sollte überdenken, sein
Ja-Wort geben, wer den Zusammenhang von Wort und Tat nicht leugnet, wer den
Zauber der Sprache erfühlt.

Die Schweizer Schriftstellerin legte schöne, nette, freundliche, lustige,
gewichtige Worte und viele mehr auf ihre Sprach-Goldwaage. Gewogen und der
Aufnahme in ihre Arche Noah für wert befunden wurden etwa Abc-Schütze,
anmutig und Augenweide. Ob Verb, Substantiv, Adjektiv, von Blümchenkaffee,
fabulieren, Geschmeide, Habseligkeiten, irden, juchzen, Knüller, liebreizend,
muksch, Nesthäkchen, Ohrwurm, piesacken, Quentchen, Rasierwasser, sinnen,
tändeln, unverzagt, vermaledeit, wundersam bis zu zischeln. Sie spürte ihrem
Klang, ihrer Bedeutung, ihrer Herkunft nach. Ohne dabei den Anspruch
ethymologischer Wörterbücher zu erheben. Ein Plädoyer für die Liebe zur
deutschen Sprache mit ihrem Nuancen- und Farbreichtum und für ein bisschen
Sorgsamkeit im Umgang mit der alten Dame, damit die Üppigkeit des Faltenwurfs
ihrer Kleider erhalten bleibt. Im Verein mit grafisch einfallsreichen
Illustrationen von Egbert Herfurth (siehe Abbildung) – gezeichnete amüsante
Varianten des Noah im Sisyphos-Kampf mit mannshohen Buchstaben – ist mit
diesem Büchlein eine unterhaltsame Beantwortung der Frage gelungen: Sollen
sie etwa wirklich aussterben, in den Lumpensack wandern, uns niemals mehr von
den Lippen kommen?

Marion Pietrzok, Neues Deutschland vom 4. April 2008

Dörthe Binkert: All die schönen Wörter, die wir vor dem Untergang retten
sollten. Thiele Verlag, 160 S., geb. 12 Euro.
Der SKD empfiehlt dieses kleine „Juwel“ , ein hübsches, gelungenes Bändchen!

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