Mozart und Mickymaus
Geahnt haben wir es ja eigentlich auch, aber wir haben uns nicht getraut, es
so klar auszusprechen wie unsere ZEIT-Zeugen, die uns in diesen bewegten
Dezembertagen über unsere Sprache aufklären: „Die führende Kulturnation der
Welt (ist) die USA“ und das bedeutet: Ihrem Vorbild folgt mal schön!
Da soll es im alten Europa zwar Nationen geben, deren Kultur von einem
Michelangelo, von einem Shakespeare, Molière oder Schiller, von Leuten mit
Namen Descartes, Hobbes oder Kant, von einem gewissen Beethoven, einem
Vivaldi oder Bach geprägt worden ist, aber was ist das unserm Ludwig Greven
(„Deutsch für alle“) gegen Mark Twain, Hemingway und Mickey Maus! Vielleicht
auch gegen Andy Warhol und Tom Cruise. Das ist Kultur! Da mag ein Altkanzler
Helmut Schmidt den jungen Leuten heute erzählen, dass Kultur doch etwas mehr
ist, dass es beispielsweise eine ganz große kulturelle Leistung der
Deutschen gewesen sei, die gesetzlichen Renten-, Kranken- und
Arbeitslosenversicherungen zu schaffen – was ist das schon gegen Amerika:
die Amis haben genau an der Stelle den Llano estacado. So einfach ist
Kultur.
Grevens ZEIT-Freund David Hugendick („Man spricht Deutsch“) kann man nicht
zum Vorwurf machen, dass er nicht dabei war, als Platon vor reichlich 2000
Jahren einigermaßen deutlich darlegte, dass „Sprache sich nicht verändere,
sondern (von Menschen) gesetzt“ werde (man kann auch sagen: manipuliert).
Ähnlich unbedarft versichert er uns aber, dass „niemand die deutsche Sprache
abschaffen (wolle)“. Das kann er als ZEIT-Genosse mit Fug und Recht
erklären. Er arbeitet ja weder bei Daimler, noch bei der Lufthansa, liest
wahrscheinlich weder naturwissenschaftliche Fachzeitungen noch
Projektausschreibungen aus Brüssel. Und wenn ihm niemand gesagt hat, dass
dort auch die nächste (tschechische) Ratspräsidentschaft auf die
Arbeitssprache Deutsch verzichten will (nach dem Vorbild zahlreicher
Professoren an deutschen Universitäten) und dass demnächst ganze Schulen in
unseren Städten (Ludwigsburg) „auf Englisch umstellen“ wollen – ja, wer kann
ihm da gram sein? Er könnte natürlich mal das Fenster seines Arbeitszimmers
öffnen hoch über den Dächern der „britischsten Stadt in Deutschland“ und ein
bisschen Wirklichkeit hereinlassen. Aber das muss er nicht: er ist ja ein
Satiriker.
Und so geraten unsern beiden ZEIT-Zeugen – wahrscheinlich ganz
unbeabsichtigt und vielleicht sogar bei vollem Bewusstsein – ihre munteren
Beiträge zum Thema „Deutsche Sprache“ zu einer interessanten Analyse über
die Wahrnehmungsfähigkeit und das Betrachtungsniveau von Journalisten jener
Wochenzeitung, als deren erklärte Zielgruppe die Gebildeteren, die
Intellektuellen und die Liberalen im Lande gelten.
Ernst Jordan, Handeloh