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«Kaum @home schreit mein dad rum»
Neues zur Debatte um Anglizismen

Von Prof. Marco Baschera, Zürich

Mit Parolen wie «Rettet dem Deutsch» oder «Deutsch for sale» versuchen besorgte Mitbürger, die Öffentlichkeit auf einen drohenden Verfall der deutschen Sprache aufmerksam zu machen. Vorab im Bereich der Jugendsprache wird vermutet, dass dieser Verfall schon weit vorangeschritten ist. Aber kann die Berechtigung solcher Bedenken durch die Sprachwissenschaft bestätigt werden?

Seit dem Zweiten Weltkrieg hat vor allem das amerikanische Englisch seine Vormachtstellung sowohl in der internationalen Kommunikation wie auch als Fachsprache stark ausgebaut. Seine Dominanz als Lingua franca wird von niemandem mehr ernsthaft bezweifelt. Diese Entwicklung blieb jedoch nicht ohne Reaktionen. So hat etwa die Uno das Jahr 2008 zum Jahr der sprachlichen und kulturellen Vielfalt erklärt. Es geht um den Schutz vieler nicht zuletzt durch den Vormarsch des Englischen vom Aussterben bedrohter Sprachen. Auch die EU hat die Mehrsprachigkeit als eine entscheidende Herausforderung für die Zukunft Europas erkannt und in zahlreichen Anlässen versucht, diese mit gezielten Massnahmen zu fördern. Immer mehr werden auch Stimmen laut, die darauf hinweisen, dass der ausschliessliche Gebrauch der englischen Sprache in den Wissenschaften wohl deren Universalismus fördert, aber auch zur Verarmung des wissenschaftlichen Denkens führen kann. Zudem häuften sich in den letzten Jahren im deutschen Sprachbereich die besorgten Reaktionen.

Vormarsch im technischen Bereich

Um Fragen dieser Art zu klären, hat sich eine Gruppe von deutsch- und italienischsprachigen Linguisten im März 2007 in Forlì, in der Nähe von Bologna, getroffen. Der Sammelband dieser Tagung liegt nun vor.* Um es gleich vorwegzunehmen: Im grossen Wörterbuch der deutschen Sprache sind gegen 4500 Anglizismen vermerkt. Das scheint auf den ersten Blick wenig zu sein. Sie finden sich vor allem an der Peripherie des Wortschatzes, meist in den technischen und informellen Registern. Allerdings geniessen etwa die Bereiche der Informationstechnik und der Werbung eine breite Medienpräsenz und führen damit in der Wahrnehmung der Sprachteilhaber zu vermehrter Aufmerksamkeit.

Häufung sprachlicher Fehler

Daraus erklärt sich die von breiten Bevölkerungsschichten als Bedrohung wahrgenommene Zunahme der Anglizismen. Besonders die modische Werbesprache geht über Einzelwort-Entlehnungen hinaus und arbeitet mit Strategien von Codemischung und Codewechsel. Weiter sind die als umgangssprachlich eingestuften Anglizismen vor allem in der Jugendsprache, im Journalismus und in der Werbesprache

häufig. Zudem begegnen sie eher in mündlicher als in schriftlicher Kommunikation. Der Sammelband enthält auch einige interessante Studien einerseits zu den «Pseudoanglizismen» wie Handy, Beamer, checken usw., die sich im Deutschen grosser Beliebtheit erfreuen, und andererseits zu den «falschen Freunden», wie zum Beispiel das englische «control», das nicht etwa «kontrollieren», sondern «steuern» bedeutet. Vor allem in der Wissenschaftssprache scheinen sich solche sprachlichen Fehler zu häufen. Diese Tendenz wirft ein eigenes Licht auf die separate Entwicklung des Englischen als Lingua franca, das unabhängig von einzelsprachlichen Entwicklungen etwa des Oxford-Englisch oder des amerikanischen Englisch immer mehr eigenständige, international gebräuchliche Varianten ausbildet.

Interessant ist auch der Vergleich zwischen der Zunahme der Anglizismen in den einzelnen deutschsprachigen Ländern und jener in Italien, wobei vor allem das Schweizer Hochdeutsch im Vergleich zum Standarddeutschen in Deutschland und Österreich als besonders aufnahmefreudig auffällt. Das Italienische hingegen scheint mit etwa 2700 Einträgen im Zingarelli weniger stark von Anglizismen betroffen. Grund dafür dürften die erheblichen Strukturunterschiede zwischen dem Italienischen und dem Englischen sein, die den Entlehnungsprozess erschweren.

Französisch vor Englisch in der Schweiz

Für die Situation der gesamten Schweiz ist interessant zu beobachten, dass, obwohl Englisch als angesehenste und nützlichste Fremdsprache bezeichnet wird, das Französisch in der täglichen Verwendung signifikant häufiger auftritt. Erstaunlich ist auch die Tatsache, dass 25 Prozent der befragten Deutschschweizer in einer von Iwar Werlen geleiteten Nationalfondsstudie das Hochdeutsch nicht mehr als ihre Muttersprache einstufen und dem Englischen als Fremdsprache den Vorrang geben. In der Deutschschweiz wird zudem das Englisch deutlich mehr verwendet als im französischen und vor allem im italienischen Landesteil.

Einerseits vermag dieser Sammelband aus linguistischer Sicht die eingangs erwähnten dramatischen Appelle zur Rettung der deutschen Sprache zu relativieren. Andererseits regen aber auch einige Aufsätze dazu an, der Bedeutungszunahme des Englischen im mitteleuropäischen Raum kritisch gegenüberzustehen und ihre einebnenden Tendenzen in linguistischer und sprachenpolitischer Hinsicht im Auge zu behalten.

* Sprachkontakt und Mehrsprachigkeit. Zur Anglizismendiskussion in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien. Hrsg. Sandro M. Moraldo. Winter-Verlag, Heidelberg 2008. 286 S.

Neue Zürcher Zeitung BILDUNG UND ERZIEHUNG

Montag, 26. Januar 2009 Nr. 20

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