Warum Vielfalt so wichtig ist
Jürgen Trabants Thesen über die „Mehrsprachigkeit der Wissenschaften“
Englisch hat sich als universelle Weltsprache etabliert. Auch international
versierte Naturwissenschaftler räumten ein, dass sie bei ihren Untersuchungen
nicht in englischen Begriffen denken. Der Sprachwissenschaftler Jürgen
Trabant plädiert zwar nicht gegen Englisch als Weltsprache, fordert aber in
seinen Thesen eine „Mehrsprachigkeit der Wissenschaften“.
Ist es eigentlich gut oder schlecht, dass es so viele verschiedene Sprachen
gibt? Die biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel deutet die
Sprachenvielfalt als Strafe Gottes und stellt die Einheitssprache als
paradiesischen Urzustand dar. In einem solchen Paradies lebten die Griechen,
die sich für Fremdsprachen einfach nicht interessierten. Und die Römer
lernten nur deshalb Griechisch, weil sie an der prestigeträchtigen
griechischen Kultur teilhaben wollten.
Im Mittelalter setzte sich dann das Lateinische durch. Im Ritus der
christlichen Kirche und als universelle Wissenschaftssprache. Das blieb so
bis zum Beginn der frühen Neuzeit.
Die Künstler und Wissenschafter der Renaissance wie Dürer, Leonardo da Vinci
und Galilei begannen dann die Welt auf eigene Faust zu erkunden. Sie
befreiten sich von den Vorbildern der Antike und beflügelten ihr eigenes
Können, meint der Romanist Jürgen Trabant.
„Das ist die große Neuigkeit in dieser Zeit, die große Revolution,
tatsächlich. Das heißt, ich erfinde ein Fernrohr und sehe mir die Sterne
selber an. Das ist, was neu ist. Das heißt, die Leute machen etwas, und die
Nähe zu diesen Machern heißt dann auch Nähe zur Volkssprache, weil die gar
kein Latein können. Grosses Beispiel: der Arzt des französischen Königs,
Ambroise Paré, der Chirurg, war ein berühmter Arzt, konnte aber kein Latein.“
Mit diesen Wissenschaftlern neuen Typs begann der Aufstieg der Volkssprachen,
bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Doch seitdem hat eine Trendwende
eingesetzt. Englisch etabliert sich als universelle Weltsprache. In Politik,
Wirtschaft und den Wissenschaften. Allen voran in den Naturwissenschaften.
Längst publizieren Mathematiker, Chemiker und Physiker ihre Entdeckungen auf
englisch. Aber auch Historiker, Soziologen und Linguisten schließen sich
diesem Trend zunehmend an, beobachtet Jürgen Trabant.
„Natürlich gewinnen wir eine globale, universelle Kommunikation, wenn alle
Menschen, auch in der Wissenschaft eine Sprache sprechen, so ist das
natürlich ganz wunderbar. Ich kann von hier nach Hongkong reisen, nach Los
Angeles, nach Paris und werde dort überall verstanden, das andere ist, ob das
wissenschaftliche Arbeiten in dieser für die meisten Menschen ja zweiten,
fremden Sprache sinnvoll und effektiv ist. Und da ist es zumindest für die
Geisteswissenschaften wichtig, dass sie zumindest in den Sprachen arbeiten,
die sie am besten können. Weil wir als Geisteswissenschaftler in den Sprachen
arbeiten, und die müssen wir natürlich so präsentieren, dass wir das beste
Instrument benutzen. Und das beste Instrument ist die Sprache, die wir am
besten können.“
Paradoxerweise hat Jürgen Trabant seit seiner Emeritierung an der Freien
Universität eine Professur in Bremen an der Jakobs University angenommen, die
ihn, den Romanisten, zwingt, genau das zu tun, was er kritisiert: auf
englisch zu unterrichten. Allerdings: Trabant plädiert nicht gegen das
Englisch als Weltsprache, sondern gegen das Denglisch. Oder, wie er es nennt,
das „Globalesisch“! Und gegen die unnötige Preisgabe des Deutschen.
Auch international versierte Naturwissenschaftler räumten im persönlichen
Gespräch durchaus ein, dass sie bei ihren Untersuchungen und Experimenten
nicht in englischen Begriffen denken und arbeiten. Genau dies aber wird
inzwischen schon von deutschen Oberschülern verlangt, die dem
Physikunterricht auf englisch folgen sollen. Das gilt derzeit als schick und
modern, ja geradezu als Gütesiegel einer selbsternannten Wissensgesellschaft.
Für Trabant eine äußerst fragwürdige Entwicklung:
„Wenn die Physik in der Universität von der Forschung bis zur Schule nur noch
auf englisch absolviert wird, dann können wir auf deutsch über physikalische
Dinge nicht mehr sprechen. Das bedeutet natürlich auch, dass das Deutsche
verarmt und etwas von seinem Status verliert. Denn es ist wichtig, dass die
sogenannten Kultursprachen, tatsächlich auch höhere Diskurse, wie
Wissenschaft und Kultur bearbeiten, denn davon hängt ihr Ansehen ab, in der
Kulturgemeinschaft. Und wenn sie das nicht mehr tun, dann werden sie
Privatsprachen und verlieren diesen Status, und das Deutsche bekommt dann den
Rang von Dialekten oder den, den Dialekte heute haben.“
Das ist nicht als Plädoyer für nationalsprachlichen Provinzialismus zu
verstehen. Trabant beruft sich auf Wilhelm von Humboldt, für den jede Sprache
eine andere Ansicht von der Welt bedeutete. Die Vielfalt der Sprachen sei für
den menschlichen Geist so wichtig, wie die Vielfalt von Flora und Fauna für
die Natur.
Unter dem Vorwand, die kommende Generation „fit“ zu machen für die
Globalisierung, sei die Transformation der Schulen ohne gesellschaftliche
Diskussion im stillschweigenden Einverständnis mit den Eltern durchgesetzt
worden, kritisiert der Sprachwissenschaftler:
„Die jungen Eltern sind ja geradezu hysterisch, was das Englisch angeht, bis
zum Kindergarten, da ist so ein gesellschaftlicher Konsens enthalten, dass
wir auf Deubel komm raus unbedingt so viel wie möglich auf Englisch machen
müssen und drüber ist nicht viel nachgedacht worden. (…) Meiner Meinung
nach ist das übertrieben. Noch mal: Ich glaube, dass wir alle sehr gut
englisch lernen müssen, aber ich glaube, dass wir das tun müssen ohne
Beschädigung der eigenen Sprache.“
Von Michael Schornstheimer
Deutschlandradio vom 7.Jan. 2009
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/900662/