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Redensarten: Ich sag mal
Die Kraft der kurzen Wörter

Es ist ja wahr: Sprache lebt und muss sich deshalb verändern; wahr ist auch, dass sie sich ziemlich anarchisch, also regellos, verändert. Aber das bedeutet nicht, dass es keine Regeln geben soll im Umgang mit dem Kulturgut Sprache. Und erst recht nicht, dass wir vor jedem überflüssigen Anglizismus, vor jeder modischen Floskel kapitulieren sollen.

Können Sie sich vorstellen, dass Schiller formuliert hätte: „Die Abhängigkeitsverhältnisse meines Dienstpersonals werden hiermit aufgehoben“? Geschrieben hat er: „Und frei erklär“ ich alle meine Knechte.“ Ja doch, die Differenz der gesellschaftlichen Verhältnisse ist evident, aber die Differenz im Umgang mit der Sprache eben auch.

Sprache gewinnt Ausdruckskraft, wenn man sie in Form bringt. „Alle Lyriker wussten“, schreibt der „Sprachpapst“ Wolf Schneider, „dass kurze Wörter fast durchweg mehr Saft und Kraft haben als lange.“ Im „populärsten Gedicht deutscher Sprache“ (Schneider), nämlich „Über allen Gipfeln ist Ruh“, gibt es überhaupt kein Wort von mehr als zwei Silben. Oft brauchen die Lyriker auch nur wenige Zeilen, um Erkenntnisse und Empfindungen zu vermitteln, die unsereins selbst in einem langen Aufsatz wohl nicht auszudrücken vermöchte, obwohl Prosaschriftsteller weder auf das Versmaß noch auf den Reim zu achten haben.

Umgekehrt wäre auch kein Dichter imstande, vielsilbige, abstrakte Ungetüme hervorzubringen wie beispielsweise das Wachstumsbeschleunigungsgesetz.

Der Jahresbeginn ist eine gute Gelegenheit, an die Kraft der kurzen Wörter zu erinnern; fast alle bedeutenden Dichter haben Neujahrsgedichte gemacht. Goethe zum Beispiel: „Im neuen Jahre Glück und Heil,/auf Weh und Wunden gute Salben!/Auf groben Klotz ein grober Keil!/Auf einen Schelmen anderthalben!“

Carl Zuckmayer hat den Anbruch des Jahres 1933 auf Sylt erlebt und seinen „Silvesterspruch“ mit einer Bitte in eigener Sache enden lassen: „Es ruht das Meer, es schläft das Watt./Die Wildgans schläft, von Muscheln satt./Das Wachs tropft von den Lichtern./ Wir trinken unsern Portwein still./Mag kommen, was da kommen will./Der Himmel helf“ den Dichtern.“

Da darf Erich Kästners genialer Neujahrsspruch nicht fehlen: „,Wird“s besser? Wird“s schlimmer?“/fragt man alljährlich./ Seien wir ehrlich:/ Leben ist immer/lebensgefährlich.“

Von Hermann Schreiber, 2. Januar 2010, Hamburger Abendblattt

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