Zürich brüskiert die Romandie

Kanton will Französisch als Prüfungsfach beim Übertritt ins Gymnasium streichen

Wer an ein Zürcher Gymi will, soll bald keine Französisch-Prüfung mehr ablegen müssen. Das plant Bildungsdirektorin Aeppli. Welsche reagieren enttäuscht.

Benjamin Tommer

«So tötet man die Schweiz», sagte der Waadtländer Nationalrat Claude Ruey vergangene Woche sinngemäss im «Le Matin». Er kommentierte damit den Umstand, dass es der Zürcher Volksschule unterdessen schwerfällt, qualifizierte Lehrer fürs Fach Französisch zu finden. Auch andere welsche Exponenten beklagen dieser Tage ein Schwinden des nationalen Zusammenhalts: Die Deutschschweiz pflege zu stark den Dialekt. Den Welschen, die neben dem Hochdeutschen also auch noch Dialekt lernen müssten, werde der Zugang zur Deutschschweiz zusätzlich erschwert.

Mitten in diese Diskussion hinein wird aus dem Kanton Zürich ein weiterer Rückschlag fürs Französische bekannt: Die Sprache soll bei Übertritten an Zürcher Kurzgymnasien (nach der zweiten Sekundarklasse) nicht mehr geprüft werden. Das schlägt die Bildungsdirektion von Regine Aeppli vor, die die Gymi-Prüfungen grundlegend erneuern will. Geplant sind auch längere Probezeiten sowie der Verzicht auf Erfahrungsnoten und mündliche Prüfungen.

Verzicht zugunsten der Knaben

Begründet wird die Streichung der Französisch-Prüfungen mit dem Hinweis, die sprachlichen Fähigkeiten der Schüler liessen sich mit dem Prüfungsfach Deutsch hinreichend beurteilen. Die Noten für Französisch und Deutsch lägen jeweils nah beieinander. Der Verzicht hat laut dem Projektpapier den grossen Vorteil, dass die Prüfung (bisher Mathe, Deutsch und Französisch) künftig weniger sprachlastig ist, wodurch die Chancen der Knaben steigen. Eine Analyse der Ergebnisse der Aufnahmeprüfungen 2009 habe nämlich gezeigt, dass Knaben die höheren Chancen auf einen Platz im Gymi haben, wenn auf Französisch-Prüfungen verzichtet wird. Leidtragende wären die Mädchen: 59 Prozent der Mädchen haben 2009 die schriftliche Aufnahmeprüfung (mit Französisch) bestanden; ohne dieses Prüfungsfach wären es nur 55 Prozent gewesen.

Unabhängig von solchen Überlegungen reagieren Westschweizer Politiker enttäuscht auf die Pläne aus Zürich. Dominique de Buman, CVP-Nationalrat aus Freiburg und Präsident der Interessengemeinschaft Helvetia Latina, die sich für die lateinischen Sprachen in der Schweiz starkmacht, sprach auf Anfrage von einem «falschen Entscheid» und einer «gefährlichen Entwicklung». Langsam würden so Brücken über die Sprachgrenzen hinweg abgebrochen. Claude Ruey, auch er Kämpfer fürs Frankofone, warnt davor, das wertvolle Gut der Vielsprachigkeit in der Schweiz mit Entscheiden allein nach Nützlichkeit zu gefährden. Die Vielsprachigkeit biete dem Land Vorteile. Also müsse man auch Nachteile in Kauf nehmen und die Sprachen anderer Landesteile lernen und pflegen. Für Ruey hat das jüngste Zeichen aus Zürich Gewicht: Auch die Bewegung hin zum Englischen als erster Fremdsprache habe einst in Zürich begonnen.

Keine Schicksalsfrage

Zürcher Bildungsfachleute haben das Papier kürzlich im kleinen Kreis erstmals diskutiert. Laut Lilo Lätzsch, der Präsidentin des Zürcher Lehrerverbands, hat der geplante Verzicht aufs Französisch als Prüfungsfach dort zu hitzigen Diskussionen geführt. Sie selbst rät zur Besonnenheit: Die Bemühungen um mehr Chancengleichheit seien zu begrüssen. Das Glück der mehrsprachigen Schweiz hänge aber kaum von Zürichs Gymiprüfungen ab.

NZZ, 18. April 2010

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