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„Oma, habt ihr keine eigenen Lieder?“

Zum Nachdenken hier und dort eine willkürliche Auswahl gekürzter Beiträge aus Deutschlands Presse zum Tag der deutschen Sprache am 11. September 2010.

Rudi Carrell: „Als ich nach Deutschland kam, sprach ich nur Englisch – aber weil die deutsche Sprache inzwischen so viele englische Wörter hat, spreche ich jetzt fließend Deutsch!“

Die Enkelin aus Australien hörte während eines Besuches in Deutschland nur englischsprachige Lieder und fragte deshalb: „Oma, habt ihr keine eigenen Lieder?“

Wer redet denn noch vom „Gabelfrühstück“, wenn er sich zum Brunch verabredet, gibt Fersengeld oder trägt Leibchen?

Der Linguist Trabant, der sich selbstironisch als „Bundes-Sprach-Kassandra“ bezeichnet, sieht das Leben aus dem Deutschen weichen, und zwar vom Kopf und von den Füßen her. Vom Kopf her, weil eine zunehmend anglophone Elite sich selbst der Muttersprache entfremde und ganze Wissens- und Denkbezirke – die Wirtschaft, die Natur- und Sozial wissenschaften, zunehmend auch die Geisteswissenschaften

– dem Englischen überlasse. Das Sterben von unten hängt mit der Einwanderung zusammen. Migranten, sagt Trabant, fragten sich, warum ihre Kinder eine Sprache lernen sollen, welche die erfolgreichen Einheimischen eher als eine Behinderung denn als einen kostbaren Besitzempfinden: „Wir treiben also auch in sprachlicher Hinsicht einer

gesellschaftlich höchst problematischen Situation zu, in der eine anglophone Aristokratie abdriftet aus der Nation und eine Unterschicht mit verschiedenen Sprachen gar nicht erst in die Nation eintritt“. So sprach Kassandra, die ja

bekanntlich meistens recht hatte und dafür nicht geliebt wurde. Die Welt, 30.Aug.2010 (gekürzt skd)

Sonst fällt unsere Gesellschaft immer weiter auseinander: In die schmale Schicht, die sich an literarischen Vorbildern von den Gebrüdern Grimm bis zu Günter Grass orientiert und jene ausufernden Kreise, deren Sprachmächtigkeit sich in“Nullchecker“ und „Boah ej“ erschöpft.

Versuchen Sie sich doch mal wieder mit klassischen Zungenbrechern! Das trainiert nicht nur die Zunge, sondern auch das Sprachzentrum – und bestimmt auch die Lachmuskeln…

Die zehn schwierigsten Zungenbrecher Zungen-Zwirbel

http://www.radiohamburg.de/Hamburg/Nachrichten/2010/September/Zum-Tag-der-deutschen-Sprache-Harte-Zungenbrecher

Die Beherrschung von Sprache beginnt im Elternhaus. Viele Fünfjährige sind nicht in der Lage, ganze Sätze zu sprechen. Das ist ein ernstes Alarmzeichen. Therapeuten warnen vor Spracharmut. Hier ist der ständige Dialog zwischen Eltern und Kindern gefordert. Spätere Folgen sind ansonsten Schwierigkeiten in der Rechtschreibung und Grammatik.

Nur mehr ein Prozent der naturwissenschaftlichen Veröffentlichungen sind deutsch.

Die Folgen dieser kaum umkehrbaren Entwicklung sind bekannt: Muttersprachlich englischen Wissenschaftlern fehlen zunehmend Fremdsprachenkenntnisse. Wozu

auch? Die ganze Welt versteht sie ja – und sie verstehen die ganze Wissenschaft. Zugleich reduziert und verformt das sehr spezielle Wissenschaftsenglisch das herkömmliche. Noch tiefgreifender sind die Auswirkungen auf andere Sprachen wie das Deutsche.

So schleicht sich die englische Sprache immer mehr in unseren Alltag. Verliert Deutschland dadurch allmählich seine eigene Identität?

Am „Tag der deutschen Sprache“ eine Botschaft herüberbringen: „Tu etwas für unsere

Sprache!“ (ist übrigens das Motto des SKD)

Flugblatt heißt nicht Flyer.

Do you speak Deutsch?

„Die deutsche Sprache ist ein Kulturgut. Sie hat über die Jahrhunderte zahlreiche literarische Kleinode und großartige Werke hervorgebracht, die nicht umsonst Eingang in die

Weltliteratur gefunden haben. Dieses Gut gilt es zu bewahren und zu pflegen, da auch oder gerade in unserer globalisierten Welt die eigene kulturelle Identität immer wichtiger wird.“

Die Wissenschaft muss auch auf Deutsch wissen, was sie tut .

Das Deutsche und viele andere Sprachen werden verdrängt – mit und ohne Anglizismen. In manchen Universitätsbereichen wird nur noch Englisch gesprochen; das Gleiche gilt für die Industrie; die Bedeutung des Deutschen im Ausland nimmt ab. Das gilt für das Französische und andere Sprachen auch, und das halte ich für bedrohlich. (Prof. Hoberg)

Studie zur Verwendung von englischen Wörtern in deutscher Werbung : Ein Großteil der Werbesprüche wird von den Konsumenten gar nicht verstanden.

Manchmal zeugen Anglizismen einfach nur von unserer Einfallslosigkeit, deutsche Begriffe zu finden. Gerade bei neuen Produkten ist das der Fall.

Natürlich ist es unerlässlich, Fremdsprachen zu erlernen, um in einer offenen Weltgemeinschaft leben und ohne Hindernisse kommunizieren zu können. Dem darf

jedoch die eigene Muttersprache nicht zum Opfer fallen. Es bedarf vielmehr einer gesunden Balance zwischen der eigenen und fremden Sprachen.

„Inspiration kommt über die Muttersprache“, glaubt Professor G. Stickel (IDS)

„Pflegt Eure Dialekte!“

Ohne gemeinsame Sprache gibt es keine wirksame Integration.

Wer die Sprache seiner Kunden spreche, werde auf Dauer erfolgreicher sein, Reklame mit vorwiegend englischen Texten sei nicht als „Zeichen von Internationalität und Attraktivität“ anzusehen. (Prof. Seewald-Heeg, NFG)

Allerdings, das Deutsche selbst bedarf weiterer Pflege. Warum eigentlich ist heute jeder und alles irgendwie „aufgestellt“? Warum ist etwas schon deshalb gut, weil es „nachhaltig“ ist? Warum wissen auf einmal so viele sofort, dass Thesen „krude“ sind, obwohl sie das Wort selbst nicht erklären können? Ich werde jedenfalls nicht „traditionelle Tonkunst osteuropäischer Nomadenvölker“ sagen, sondern auf gut Deutsch weiterhin von meiner geliebten „Zigeunermusik“ reden.

Quellenangabe beim skd

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