Schwer fassbare Jugendsprache

Die Jugendlichen jeder Generation haben untereinander schon immer geredet, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Sie experimentieren mit der Sprache – genauso wie mit allem anderen. Die kreativen Wortschöpfungen, die dabei entstehen, haben meist eine kurze Lebensdauer, denn sie leben von der Spontaneität und der Abgrenzung gegenüber den Erwachsenen. Sollte man meinen. Als Momentaufnahme ihrer Sprache haben Schüler des Bildungszentrums Interlaken 20 Ausdrücke an die Redaktion des Pons Wörterbuch der Jugendsprache geschickt. Wer hier mit Anglizismen gespickte Neuschöpfungen erwartet, liegt völlig falsch. Die Jugendlichen im Mikrokosmos Jungfrau scheinen vielmehr alte Dialektwörter wieder entdeckt oder gar nie vergessen zu haben. Vielleicht benutzen sie die anachronistischen Ausdrücke, um sich in der schnelllebigen, globalisierten Welt wenigstens in der Sprache ein Stück Heimat zu bewahren. Vielleicht verstehe ich von der Jugendsprache aber auch einfach «ke Meter». Sie unterscheidet sich zwischen Mädchen und Knaben, Stadt und Land, von Kanton zu Kanton und über die Landesgrenzen hinaus. Deshalb macht es aus meiner Sicht auch wenig Sinn, die Jugendsprache in einem Wörterbuch sammeln zu wollen, wenn das Ziel darin besteht, sie verstehen oder gar selbst benutzen zu wollen. Ein Sozialarbeiter macht sich mit einstudierten Sätzen aus dem Slang-Wörterbuch genauso lächerlich wie ein Journalist, der einen tieferen Sinn in eine Sprache hinein interpretiert, der er seit bald zehn Jahren entwachsen ist.

Beiträge des BZI zum Jugendwörterbuch
Jugendliche benutzen immer wieder neue Wörter, um sich in ihrem Sprachgebrauch von den Erwachsenen abzugrenzen. Zur Übersetzung sind inzwischen verschiedene Jugendwörterbücher erhältlich.
Dass ein «Schnapspintli» ein Ausdruck für einen Trinker ist, liegt noch sehr auf der Hand. Was «Feriesösseler» bedeutet, ist schon schwieriger herzuleiten. Wem das nicht völlig «drahtbürschte» ist, findet die Antworten darauf im Pons Wörterbuch der Jugendsprache 2011. Schulen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich haben dafür unzählige Modewörter eingereicht, aus denen die Pons-Redaktion rund 1500 ausgewählt hat. Hans Fritschi, Lehrer am Bildungszentrum Interlaken, hat mit seinen Schülern eine Liste von 20 Ausdrücken eingeschickt, von denen sechs in das neue Wörterbuch für 2011 aufgenommen wurden.

Krass ist uncool
Auffällig ist, bei wie vielen Wörtern sich die Schweizer Jugendlichen von der Sprache ihrer Grosseltern inspirieren liessen. «Guene» für betteln, «gchäppelet» für betrunken oder «Röckli» für Feigling klingen so veraltet, dass sie schon wieder angesagt sind. Im Gegensatz dazu haben die BZI-Schüler die Ausdrücke «krass» als Verstärkung und «Spasti» für eine verkrampfte Person als Unwörter eingereicht, die in die Liste der 20 «uncoolsten» Wörter 2010 aufgenommen wurden. «Das kann ich gut verstehen», sagt Lehrer Hans Fritschi. «Der Ausdruck ‚krass‘ ist ja mittlerweile auch bei Erwachsenen weit verbreitet.»

Schwer fassbar
Zum Jugendwort des Jahres hat die deutsche Verlagsgruppe Langenscheidt den Ausdruck «Niveaulimbo» gewählt. Der Ausdruck bezeichnet ein immer tiefer sinkendes Niveau, zum Beispiel von Fernsehsendungen oder ausufernden Teenager-Partys. Hierzulande wird das Wort aber gemäss einer Umfrage der Gratis-Zeitung «20 Minuten» kaum verwendet. 92 Prozent der Teilnehmer geben an, das Wort noch nie gehört zu haben. Ebenfalls taucht der Begriff im Wörterbuch von Langenscheidts Konkurrenten Pons nicht auf. Das Schweizer Jugendwort des Jahres ist das Adjektiv «hobbylos», das so ziemlich in jedem Zusammenhang benutzt werden kann. Welche Ausdrücke nun wirklich «cool» sind und welche schon wieder «out», ist eben lokal sehr unterschiedlich und wechselt so schnell, dass Wörterbücher kaum in der Lage sind, eine aktuelle Momentaufnahme abzubilden.

Vorschläge der BZI-Schüler
Die fett markierten Ausdrücke sind ins Pons Wörterbuch der Jugendsprache 2011 aufgenommen worden.

flexen – sich ausruhen
guene – mit Hundeblick betteln
ke Plan ha – keine Ahnung haben
Drahtbürschte sy – vollkommen egal sein
umepfudere – umherirren
umehöntere – schnell umherirren
ke Meter verstah – gar nichts verstehen
öpper volltexte – jemanden mit Werbung überhäufen
e Feriesösseler – passive Person
Höllebölle – grosse Brüste
es Mählbürschtli – Person, die nicht ganz 100 ist
es Röckli – ein Feigling
es Schnapspintli – ein Trinker/eine Trinkerin
die vierte Säule – Rabattpunkte von Grossverteilern
gchäppelet – angetrunken

Unwörter:
homo – homosexuell
krass – sehr gut, spitze
mongo – behindert
Spasti – verkrampfte Person
würk – wirklich

Florian Wehrli, Redaktor, Jungfrauzeitung.ch
1./2. Dezember 2010, (gekürzte Bearbeitung skd)

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