Wie aus Muhme Tante wurde

Selbst beim Bahnfahren sagen wir heute lieber „Ticket“ statt
„Fahrkarte“. Zeitgeistiger Anglizismus? Ja, aber er hat einen Vorläufer: Im 17. und 18. Jahrhundert war Französisch mindestens so modisch wie heute das US-Englisch. Und es wurde so sehr Bestandteil unserer Sprache, dass wir es gar nicht mehr merken.

Dr. Ludwig Zehetner, pensionierter Gymnasiallehrer für Deutsch und Englisch und aktiver Honorarprofessor für bairische Dialektologie an der Universität
Regensburg, zeigte anlässlich einer französischen Woche am Augustinus-Gymnasium, wie viel Französisch im Deutschen und speziell auch im Bairischen steckt.

Das Billet hat zwar dem Ticket weichen müssen, der Mob hat die Bagage niedergekämpft, wir verabreden uns zum Date statt zum Rendezvous. Dafür sitzen wir beharrlich im Büro und nicht im Office. Ebenso hält sich mit Erfolg die Zivilcourage, genau wie das Bonbon oder Bomperl. Und niemand würde in Bayern einen Georg „Dschoordsch“ statt „Schorsch“ nennen.

Es war nicht nur die Mode, welche das Französische so populär machte. Auch nicht Napoleon, wie oft geglaubt. „Längst vor der Zeit Napoleons“ haben sich französische und deutsche Kreuzritter zusammengetan, erklärte der 71jährige Referent aus Regensburg. Früh wurden so militärische Fachausdrücke (Garnison, Bastion) vom Militär (nur die deutsche Schreibweise von „militaire“)
übernommen.

Auch der umgekehrte Weg ging: Das deutsche „Bollwerk“ wurde als „Boulevard“ frankisiert und kam als Umschreibung für „Tratsch“ retour: Unter den Festungsmauern flanierte man offenbar, sich angeregt unterhaltend, über den Boulevard der Städte.

Später wurde französisch beim Adel en vogue und dort schließlich sozusagen die Amtssprache. Erst die französische Revolution aber „löste beim Volk Begeisterung aus“, so Dr. Ludwig Zehetner. Jetzt hielten französische Entlehnungen auch beim Volk Einzug und ersetzten dort Wörter der Alltagssprache. Vater und Mutter wurden durch Mama und Papa ergänzt, aus Oheim und Muhme wurden Onkel (oncle) und Tante (tante), aus Vetter und Base Cousin und Cousine.

Die Bayern hatten den direkten Zugang zu den französischen Wörtern, denn das linksrheinische Bayern, also die Pfalz, war lange das Nachbarland zu Frankreich. Nicht immer traf man bei der Einbayerung auch die richtige Aussprache, denn die Wörter las man zuerst in der Zeitung. So wurde aus der Branche die „Braasch“, aus der Chance die „schaas“. Welches Malheur: Da hat jemand auf
dem Trottoir sein Portemonnaie verloren! Hat er eine Chance, es retour zu bekommen? […]

Harald Mohr / Oberpfälzer Wochenzeitung vom 10. Februar 2011 (gekürzt skd)

Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar