Die überforderten Kinder

Chinesisch für Babys, Managerkurse für Kleinkinder, Yoga in der Krippe – zwischen Geigenstunde, Frühenglisch und Schulaufgaben: Aus Sorge um die Zukunftschancen ihrer Kinder setzen immer mehr Eltern den Nachwuchs einem ungeheuren Leistungsdruck aus. Wettrüsten und Leistungsschau unter Eltern. Es ist der Traum vom sozialen Aufstieg, der viele Eltern dazu bewegt, ihre Kinder noch spät am Nachmittag ein Zusatzprogramm absolvieren zu lassen. Neben den immensen Anforderungen, welche die Schule stellt, kommen die Eltern mit ihren Erwartungshaltungen. Jedes vierte Kind bis acht Jahre wird mittlerweile zur Frühförderung geschickt. Nach dem vollen Schultag gehen sie zum Hockey, zum Tennis, zum Segeln, zur Musikschule. Manchmal haben Kinder an einem Nachmittag zwei bis drei Programmpunkte zu absolvieren. Der gesamte Komplex zwischen Geburt und Abitur ist zu einer Mischung aus Wettrüsten und Leistungsschau geworden.

Kinder halten dem dauernden Druck nicht stand

Der Leistungsdruck beginnt spätestens in der Grundschule. Die Anforderungen an Grundschüler sind vor allem in Deutschland extrem hoch, denn nach der vierten Klasse weiß jeder, wohin er gehört. Nach oben oder nach unten, aufs Gymnasium oder in die Hauptschule. Vor allem in diesem Alter leiden Kinder an pathologischer Angst vor der Schule, das zeigen Studien. Ein unnötiger Stress, meinen viele Pädagogen, die gemeinsames Lernen bis zur siebten Klasse fordern. Am Gymnasium kommt die Verkürzung der Schulzeit von neun auf acht Jahre (G8) hinzu, landläufig „Turbo-Abi“ genannt. Schon Fünftklässler haben deshalb Nachmittagsunterricht.

Dem dauernden Druck halten nicht alle Kinder stand. Zunehmend bedürfen schon Grundschüler therapeutischer Behandlung. Erst sind es Bauchschmerzen, später folgt die Leistungsblockade bis hin zur Depression. Eine Studie der Uni Lüneburg für die Krankenkasse DAK (aus 1/2010) zeigte, dass bis zu zehn Prozent der 12 bis 17jährigen unter Depressionen litten.

Fast jeder dritte Schüler zeigt Stress-Symptome

Der Ernst des Lebens beginnt für früh eingeschulte „Kann-Kinder“ schon mit fünf Jahren. 30 Prozent der Schüler zeigen mehrmals pro Woche Stress-Symptome. 38 Prozent der Mädchen haben mehrmals pro Woche psychosomatische Beschwerden, wie anhaltende Kopfschmerzen. Die Universität Lüneburg hatte  für die Studie fast 4500 Schüler an 15 Schulen in vier Bundesländern befragt. Besonders oft treten gesundheitliche Probleme bei einem schlechten Klassenklima auf. Je älter die Kinder sind, desto kränker fühlen sie sich. Zu erkennen sei auch ein Zusammenhang mit der Schulform, sagte die Pädagogin Silke Rupprecht von der Leuphana Universität. Gymnasiasten hätten viel seltener unter Kopf- oder Rückenschmerzen zu leiden als andere Schüler.

Das Paradoxe ist, davon berichten viele Psychologen und Pädagogen, je mehr ein Kind zum Lernen gedrängt wird, desto unselbständiger wird es. Das Kind gibt die Verantwortung an die Mutter oder den Nachhilfelehrer ab, was ja auch bequemer ist. Dadurch entsteht aber das Gefühl, nichts mehr allein zu können und diese Versagensängste können das Kind völlig blockieren.

 3sat am 4. Sept.2011 www.3sat.de/…


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