„Sys willekomen“

Archivar Thomas Bouillon mit einem Inkunabelband

Archivar Thomas Bouillon mit einem Inkunabelband

Das älteste Weihnachtslied

„Sys willekomen heirre kerst, want du onser alre heirre bis.“

So sollen bereits im Mittelalter zur Weihnachtszeit Christen ihr Willkommenslied für Christus gesungen haben.
Es sei das älteste überlieferte deutschsprachige Weihnachtslied, sagt Archivar Thomas Bouillon von der Universitätsbibliothek Erfurt. Erhalten geblieben ist das kostbare, aber völlig unscheinbare Blatt in der Handschriftensammlung des mittelalterlichen Gelehrten Amplonius Rating de Berka (um 1364 bis 1435). Nur wenige Zeilen Noten und Notenlinien umfasst das dreistimmige Kirchenlied in einer niederfränkischen Sprache, dessen Wurzeln auf das 11. Jahrhundert zurückgehen.

Die überlieferte Fassung von „Sei uns willkommen, Herre Christ“ entstand zwischen 1394 und 1398 in Aachen. Der Verfasser war höchstwahrscheinlich der Kaplan der St.-Katharinenkapelle, Johann Barba. Wie sie in den Band Nummer 38 „Logica“ der „Bibliotheca Amploniana“ gelangte, sei nicht geklärt, sagt der Wissenschaftler. Der Text ist ein „Lückenfüller.“ Er steht auf einem Pergamentblatt, eingepfercht zwischen Liedern ohne Noten und medizinischen Rezepten. Experten gehen davon aus, dass es später in den Band eingefügt wurde, in dem die lateinischen Texte eines Oxforder Gelehrten dominieren.

Einst fester Bestandteil der Liturgie
Der Althistoriker und Präsident der Universität Erfurt, Kai Brodersen, hat sich ausführlich mit der Handschrift beschäftigt. „Sys willekomen heirre kerst“ war fester Bestandteil der Liturgie des Weihnachtsgottesdienstes. Es werde noch heute in katholischen und evangelischen Gemeinden gesungen, dort jedoch in einer modernen Melodie. Zu finden sei es in Gesangbüchern beider Konfessionen.
Das Lied endet mit dem Wort „Kirieleys“ (Kyrieleis), was wohl von der gesamten Kirchengemeinde gesungen wurde. Interessant außerdem: Auf der nächsten Seite des Bandes 38 findet sich ein Lied in lateinischer Sprache: „Gloria“. Beide Lieder hätten liturgisch zusammengehört und seien hintereinander gesungen worden, erklärt Archivar Thomas Bouillon, der auch Religionsgeschichte studiert hat.

Kostbare mittelalterliche Sammlung
1412 hatte der Gelehrte, Arzt, Theologe und Universitätsrektor Amplonius Rating de Berka der Erfurter Universität 633 Handschriften gespendet. 2002 übergab die Stadt Erfurt den kostbaren Fundus der wiedergegründeten Universität als Dauerleihgabe. Die „Amploniana“ gilt als die größte erhaltene Sammlung eines spätmittelalterlichen Gelehrten.

Neben wissenschaftlichen Abhandlungen über Philosophie, Theologie, Biologie und Medizin enthält dieser „Kosmos des Wissens“ auch vergleichsweise Banales: Bauernregeln, Rezepte zum Haarefärben, einen Generationen- und Verwandtschaftsbaum – und neben einem Liebesgedicht auch das älteste erhaltene Weihnachtslied in deutscher Sprache. Etwa um 1900 wurde es wiederentdeckt.

APA/dpa/religion.ORF.at
Publiziert am
18.Dez.2012

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