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Die Stärke kommt aus der Vielfalt

Seit Ende 2002 arbeitet die im Thurgau auf-gewachsene 36jährige Sprachwissenschafterin Eva M. Roos als Geschäftsführerin der Stiftung «Forum für die Zweisprachigkeit» in Biel. Die neue «Madame Bilingue» möchte das Miteinander von Deutsch und Französisch stärken, ist gegen Englisch als erste Fremdsprache und findet, dass Deutschschweizer Kinder auch gut Hoch-deutsch lernen sollten.SKD: Eva Roos, Sie stammen aus dem Kanton Thurgau und wohnen in Neuenburg. Seit drei Monaten amtieren Sie in Biel als Madame Bilingue. Werden Sie akzeptiert?
Eva Roos: Bisher sind mir keine negativen Kommentare zu Ohren gekommen. Ich wohne seit Jahren in Neuenburg und kenne deshalb sowohl die welsche wie auch die Mentalität der Deutschschweizer. In meiner neuen Arbeit gereicht mir dies zum Vorteil.
SKD: Was haben Sie bisher als Leiterin des Forums für die Zweisprachigkeit getan?
Eva Roos: Im Dezember 2002 hat das Forum du Bilinguisme zusammen mit der Swiss Academy for Development eine Veranstaltung über die Integration von anderssprachigen Kindern in zweisprachigen Städten durchgeführt. Daran waren die Städte Freiburg, Siders, Samaden und Biel beteiligt. Weiter sind wir dabei, das Projekt «Tandem» zu verstärken. «Tandem» richtet sich an Mit-arbeitende der Bieler Verwaltung, des Spitals sowie an die Bieler Bevölkerung ganz allgemein und hat zum Ziel, Deutschschweizer und Französisch Sprechende einander näher zu bringen: Ein «Tandem» funktioniert dabei als Einheit von zwei Personen, die beide ab-wechselnd Lehrende oder Lernende sind.
SKD: Wie wird die Zweisprachigkeit in der Stadt Biel gelebt?
Eva Roos: Im öffentlichen Raum ist das Französische zu wenig präsent. Knapp 40 Prozent der Bieler Bevölkerung sind als frankophon registriert. Die meisten Werbeplakate an den Wänden der Stadt sind aber auf Deutsch verfasst; auch die Kinowerbung ist nur zu einem kleinen Teil zweisprachig. Offenbar ist bei den lokalen und regionalen Vertretern z.B. von Grossverteilern wie Migros und Coop der Wille (noch) nicht vorhanden, zweisprachig zu denken und zu handeln.
SKD: Was kann Madame Bilingue hier erreichen?
Eva Roos: Das Forum weist beispielsweise bei Eröffnung von lokalen Läden die Betreiber darauf hin, dass Biel eine zweisprachige Stadt ist und deshalb auch die Geschäfte zweisprachig betrieben werden sollten. Die Reaktionen reichen von Zustimmung und aktivem Mitmachen bis zu freundlich vorgebrachtem Desinteresse.
SKD: Und wie funktioniert das Zusammen-leben von Deutschschweizern und Romands im privaten Bereich?
Eva Roos: Es gibt in der Stadt Organisationen und Parteien, die werden entweder deutsch oder französisch geführt. Dieses Nebeneinander ist meiner Meinung nach wichtig, um die Identitäten der Sprachgemeinschaften zu stärken. Daneben haben aber die meisten Bieler auch viele Kontakte zu Personen der anderen Sprachgruppe. Es geht weniger um ein Entweder-oder als viel mehr um ein Sowohl-als-auch. Die Zweisprachigen haben dabei eine Brückenfunktion und bringen die beiden Sprachgruppen einander näher…
SKD: …und tun so im Privaten, was das Forum im öffentlichen Bereich erreichen möchte?
Eva Roos: Das Forum für die Zweisprachigkeit will das Miteinander von Romands und Deutschschweizern unterstützen. Auch hier ist das Ziel also nicht ein Entweder-oder, sondern die Stärkung der einen Identität durch die Auseinandersetzung mit der jeweils anderen.
SKD: A propos Auseinandersetzung: Was ist eigentlich von der Expo.02 geblieben?
Eva Roos: Das abzuschätzen ist schwierig. Die vielen kleinen Begegnungen in den berühmten Warteschlangen sind sicher in den Köpfen der Expo-Besucher haften geblieben. Und all die jungen Menschen, die an der Expo mit Anderssprachigen gearbeitet haben, dürften unvergessliche Erinnerungen mit sich herumtragen. Anlässe wie die Kantonaltage haben zwar anregende Kontakte möglich gemacht, doch diese wirkten wohl bloss für den Moment. Mir scheint, es wäre während der Expo mehr möglich gewesen und ich glaube, dass die Leitung der Landesausstellung in der Sprachenfrage zu wenig sensibilisiert war. Auf regionaler Ebene gibt es jedoch ein Nach-Expo-Projekt der Gruppe «Helv6ti-Cit6», das die vier Expo-Städte mit-einander vernetzen wird.
SKD: Die Sprachenfrage betrifft nicht nur das Französische und das Deutsche. In Ihrem Heimatkanton Thurgau hat sich eine Mehrheit der Eltern dafür ausgesprochen, dass ihre Kinder Englisch als erste Fremdsprache lernen. Was halten Sie davon?
Eva Roos: Ich bin der festen Meinung, dass eine Landessprache als erste Fremdsprache gelernt werden sollte. Doch auch hier finde ich, dass es nicht um ein Entweder-oder gehen kann: Französisch kann nicht durchs Englische ersetzt werden; die eine Sprache sollte die andere ergänzen. Unsere Kinder müssen beides können. Wird aber zuerst Englisch unterrichtet, so setzt dies politisch ein falsches Signal und es wird zudem innerhalb der Deutschschweiz ein neuer Graben aufgerissen. Ein Umzug von Bern nach Zürich oder umgekehrt wird künftig für eine Familie mit schulpflichtigen Kindern noch schwieriger sein! Ob das der Wirtschaft wirklich nützt…?
SKD: Die Schulkinder müssen Französisch und Englisch lernen. Dabei geht leicht vergessen, dass sie auch Deutsch beherrschen sollten…
Eva Roos: …und zwar Hochdeutsch. Dieses ist in den vergangenen Jahren durch die starke Mundartwelle zu sehr verdrängt worden. Es ist aber ganz wichtig, dass die Kinder in der Deutschschweiz sich auch in der Hochsprache verständigen können. Nicht zuletzt ermöglicht das auch ein besseres Verständnis zwischen Welsch- und Deutschschweizern. Wir können nämlich nicht von den Romands verlangen, dass sie mit uns Deutsch reden, wenn wir gleichzeitig nicht bereit sind, mit ihnen Hochdeutsch statt Dialekt zu sprechen.
Interview: Gerhard Enggist

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