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Erhielt Knaben…

(skd) Wir verabreichen an dieser Stelle erneut eine «Sprachpille» von Otto von Greyerz – sie wirkt am besten, wenn Sie sich Zeit zum Überlegen nehmen.Ich hatte einen Vetter, der, als er zum erstenmal Vater wurde, an seine Mutter telegraphierte: «Erhielt Knaben. Gottfried.»
Seine Mutter, meine Tante also, die dem Ereignis mit Besorgnis entgegengesehen hatte, wollte sich zuerst freuen. Der erste Enkel. Man denke! Aber dann wurde sie plötzlich ernst, fast bleich… «Erhielt Knaben», las sie nachdenklich. «Knaben, -ben», betonte sie. «Wie viele um Gotteswillen?»
Da ich gerade dabei war, erklärte ich ihr, «Knaben» sei die richtige Akkusativ-Singularisform von «Knabe» und folglich – «Geh mir, bitte, weg mit deiner Grammatik!» sagte sie. «Es sind gewiss Zwillinge. Er darf es nur nicht sagen. Ich kenne den Gottfried.»
«Es können auch Drillinge sein», bemerkte ich milde, aber gerecht.
«Ach was», sagte die Tante unwillig, «schlechte Witze sind hier nicht am Platz. Das arme, arme Henriettli! Im ersten Kindbett gleich zwei!»
«Oder gleich drei», fügte ich leidtragend bei.
«Und noch dazu in diesem furchtbaren Klima. Sie sitzen ja direkt auf dem Aequator!»
Die Tante konnte sich nicht beruhigen. «Ich muss aus dieser Ungewissheit hinaus», sagte sie. Aber wie? Ich schlug unmassgebend vor, ein Telegramm abzusenden: «Wie viele? Antwort bezahlt. Glückwunsch. Mama.»
«Das kostet zuviel», meinte sie. «Und mit dem Glückwunsch ist’s so eine Sache. Denke doch, wenn’s drei wären… Sie könnten die Brut kaum er-nähren.» Also schlug ich vor, einfach: «Wie viele? Mama.» Halt, dachte ich, mit dem Fragezeichen, Satzzeichen überhaupt, ist man bei Telegrammen nie sicher, besonders in Brasilien. Also denn kurz und billig: «Wie viele? mit oder ohne Fragezeichen, das Wort ist unmissverständlich, und dass du ihn fragst, Tante, ist auch klar.»
Und so geschah’s. Und die Anwort traf prompt ein: «Einen. Fernando.» Nun konnte die Tante ruhig schlafen, mit ihrem Enkel Fernando.
Für mich aber begann jetzt der philosophische Teil des Falles. Wie, fragte ich mich, hätte eigentlich der Gottfried telegraphieren sollen? Wie überhaupt – denn die Sache hatte eine allgemein menschliche Seite – wie telegraphiert ein Vater kurz und möglichst billig die Geburt eines Kindes? «Knaben» – das darf nicht sein, das war missverständlich, gesundheitsgefährlich geradezu. «Kind bekommen» geht auch nicht. Erstens weiss man das Geschlecht nicht, auch klingt es so herzlos. Und überhaupt, ein Mann bekommt kein Kind, nur die Frau bekommt eins. «Fernando geboren»? Aber dieser Fernando ist doch gänzlich unbekannt, es könnte irgendeiner sein. Man stellt einen Menschen doch erst vor, ehe man von ihm spricht oder telegraphiert. Wie macht man das nur? Jedenfalls, sagte ich mir, schreibt und sagt man nicht «erhielt». Mein Vetter war kein grosser Stilist, dafür Kaufmann, und als solcher «erhielt» er jeden Tag gewisse Sendungen, Bestellungen, Kondensbüchsen, Rauchfleisch usw., und so lief ihm das «erhielt» auch bei seinem Erstgeborenen in die Feder.
Wie ist das eigentlich mit «erhalten» und «bekommen»? Es gibt eine Menge Dinge, die man nicht erhält, sondern bekommt, z.B. eben ein Kind – es müsste einem schon durch eine Armen- oder Vormundschaftsbehörde zugeschickt werden, wenn man’s «erhalten» sollte, und dieses «Erhalten» hätte erst noch einen doppelten Sinn: in Empfang nehmen oder aufziehen. Aber schlechtes Wetter bekommt man, Regen und
Schnee auch und nasse Füsse; die Bäume bekommen ihre Blätter, der Säugling seine ersten Härchen (aha! aber der Kahlkopf erhält seine Haare vom Perückenmacher zurück, z.B. durch die Post), man bekommt einen Schnupfen, einen Ausschlag, Kopfweh, Durchfall, Tränen in die Augen, einen Kuss – lauter natürliche Sachen, wie eben auch ein Kind.
Zum «Erhalten» oder, noch mehr zum «Empfangen», braucht es jemand ausser uns, der uns die Sache schickt oder übermittelt, bis wir sie in Händen halten, festhalten, in die Hände «fangen» (fahen).
Prügel z.B. bekommt ein Gassenjunge auf dem natürlichen Wege, er weiss viel-leicht gar nicht von wem. Dagegen «empfängt» oder empfing man früher Prügel in zeremonieller Form vom Direktor, vor versammelter Schulkommission. Man bekommt Lust zu etwas, Angst, einen Ärger, einen Eindruck, weisse Haare, Schaufelzähne, abstehende Ohren, X-Beine – das alles kommt von selbst, es bekommt einem nicht immer, aber man bekommt es, weil es eben kommt. Auch Verstand muss man bekommen haben, sonst erhält man ihn nie.
Das Empfangen ist ausdrucksvoller, aber auch feierlicher als das Erhalten. Der Beamte bekommt Urlaub – das kommt, wenn die Reihe an ihm ist, von selbst –, er erhält die nachgesuchte Entlassung (in Form eines Schreibens), aber er empfängt, im Bureau des Chefs – es soll wenigstens vorkommen – eine Anerkennungsurkunde oder eine Gratifikation. So bekommt der Schwer-kranke Arznei über Arznei; dann, wenn es nichts hilft, empfängt er vom Priester die letzte Ölung und die Absolution. Kurz, das Empfangen ist das Bekommen im höheren Stil. Der kleine Junge bekommt ein Loch in den Kopf oder einen Schorf am Knie; aber der Held im Zweikampf empfängt eine Wunde, womöglich in die Brust, auf die Stirn, vielleicht ins Bein, aber ja nicht in den Bauch; das ist stilwidrig.
Otto von Greyerz, Sprachpillen,
Bern 1938

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