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MIREIO

Ein provenzalisches Versepos von Frederic Mistral, ins Berndeutsche übersetzt von Hans Rudolf Hubler(ar) Unsere Einladung zur Vernissage von Hans Rudolf Hublers berndeutscher «Mireio» stiess auf ein erfreuliches Echo. Am Abend des 29. März war das Cafe litteraire der Buchhandlung Stauffacher in Bern bis auf den letzten Platz besetzt. Prof. Dr. Rudolf Engler, emeritierter Romanist an der Universität Bern, skizzierte eindrücklich die Hauptlinien in der Geschichte der südfranzösischen Sprachen, der «langues d’Oc», besonders des Provenzalischen, und zog Vergleiche zu andern Regionalsprachen wie dem Rätoromanischen. Hans Rudolf Hubler zeichnete mit knappen, kräftigen Strichen die Mireio-Geschichte nach und las Ausschnitte aus seiner Übersetzung vor. Doch «Vorlesen» ist ein zu schwaches Wort: Hubler gestaltete die Texte mit innerem Feuer, er war wie der Dichter, der seine Geschichte neu erfand, sie für die Zuhörerschaft sichtbar und erlebbar machte. Herr und Frau Zingre-Hubler schufen mit provenzalischer Musik einen stimmungsvollen Hintergrund. Das Publikum war fühlbar gepackt und dankte dem Übersetzer und dem Musikantenpaar mit herzlichem Applaus.

Ein Vorstandsmitglied stellte zu Beginn des Abends die Bubenberg-Gesellschaft vor, ihre Ziele und ihre Arbeit. Vor und nach der Vernissage kauften viele Besucher das Buch. Wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, das noch nicht getan haben sollten, empfehlen wir Ihnen wärmstens: Holen Sie es nach! Bis Ende Juni gilt der Subskriptionspreis von Fr. 20.– (eine «Einladung zur Subskription» finden Sie auf der Umschlag-Rückseite von Nr. 1/99 der MITTEILUNGEN). Es ist ein packendes Buch. Was der Berndeutschkenner Dr. Werner Marti in der nachfolgenden Rezension darüber schreibt, trifft ins Schwarze.

Jeder Besucher der Provence wird von ihrem Zauber gefangenommen und nicht mehr los-gelassen. So erging es auch Hans Rudolf Hubler, dem ehemaligen Leiter der Abteilung Folklore am Studio Bern des Schweizer Radios. Wer erinnert sich nicht an seine gehaltvollen, gewissenhaft recherchierten Sendungen – wie etwa diejenige über «Ramseyers wei go grase»?! Von seinem früheren Vorgesetzten Karl Rinderknecht angeregt, befasste er sich auch mit der Provence und überschritt dabei die Grenzen seiner angeborenen Heimat. In
Frederic Mistrals Epos MIREIO (französisch Mireille) fand er die dichterische Gestaltung der provenzalischen Welt, die ihn fortan während Jahren beschäftigte.

Frederic Mistral wurde 1830 in einem der grossen provenzalischen Höfe, im «Mas de Juge», geboren und wuchs in der ländlich-bäuerlichen Welt auf. Hier prägten sich ihm die Bilder unauslöschlich ein, die später zu seinem grossartigen Epos nicht nur den Hintergrund lieferten, sondern selbst Teil des Geschehens wurden. Er studierte dann die Rechte und befreundete sich mit seinem Lehrer Jouse Roumanille, der ihn für die Sprache und das Volkstum der Provence zu begeisternwusste. Nach dem Abschluss seiner Studien vertiefte er sich in die Welt der Provence und ihrer Sprache und schuf aus den Sagen und Liedern ein grossartiges Epos. Er charakterisiert das Proven~al mit den Worten des alten Korbers Ambroise:

«Chly altmodisch sy d Melodie zwar scho; Das macht nüt. Mir singe hüt halt nöiere Züüg

Uf Französisch. Da fingt men äbe

Vil fyneri Wort; aber wär cha derby öppis gspüren u ghöre?»

Was auf das Provencal gemünzt ist, charakterisiert aber auch den Gegensatz von Bern-deutsch (als einer schweizerdeutschen Mundart) und Schriftdeutsch. – Mistral wehrt sich im Übrigen gegen die Absonderung der Provence von der auch ihm verehrten Grande Nation. Für sein reiches dichterisches Werk erhält er 1904 den Nobelpreis. Mireio ist also ein Stück Weltliteratur.

Obschon sich Hans Rudolf Hubler in das Proven~al vertiefte, hielt er sich doch an den von Mistral selbst übertragenen französischen Text und dichtete die Saga im eigenen heimischen Idiom nach, schuf also eine Art Rückübersetzung. Durch das Zurückgreifen auf die von Mistral gewählte siebenzeilige Strophen-form, allerdings ohne Reime, da diese den In-halt leicht verfälschen würden, gelingt es Hubler, den Charakter des epischen Gesangs zu erhalten.

Dazu eignet sich unser Berndeutsch durch den ruhigen Fluss seines Rhythmus, der oft an dieVerszeilen der homerischen Epen erinnert, in besonderem Masse. Ihre Schönheit entfalten die Verse allerdings erst, wenn sie laut gelesen werden. Hublers Berndeutsch ist je-doch keineswegs altertümlich, auch wenn er voll aus seinem reichen Sprachschatz schöpft; er scheut sich nicht, die aus dem Standard-deutschen stammenden, im täglichen Gebrauch eingebürgerten Lehnwörter mit einzubeziehen (zum ne Dankgebätt gfaltet, düschter, ärnschthaft). Die Schreibweise der Übertragung, die sich teilweise an die Tradition anlehnt, liest sich leicht und selbstverständlich.

Durch die zwölf Gesänge entwickelt sich eine Liebesgeschichte von einem zarten An-fang an über einen tragisch endenden Kampf
bis zu einem mystischen Ende: Der arme Korber Ambroise und sein junger Sohn Vincen ziehen von Hof zu Hof und kommen auch auf die Mas von Ramon. Seine eben zur Jungfrau erblühte Tochter Mireio verliebt sich in Vincen. Ramon hat jedoch für Mireio andere Pläne – reiche, angesehene Männer. Doch auch der Stiertreiber Ourrias wirbt um sie, wird aber von ihr abgewiesen. In seiner Enttäuschung stellt er Vincen, und es kommt zum Kampf. Vincen überwältigt seinen Rivalen, der ihn aber nachträglich hinterlistig schwer verwundet. Ourrias versinkt bei der Flucht in der Rhone, während Vincen aufgefunden und zum Hof von Ramon gebracht wird. Mireio bringt ihren Liebsten zu einer Hexe, die ihn mit Zaubersprüchen heilt. Vincen überredet seinen Vater, bei Ramon um Mireio zu werben, Ambroise wird aber von Ramon übel beschimpft. Mireio flieht aus dem väterlichen Haus, um bei den drei Heiligen Marien von Saintes Maries Hilfe zu erflehen. In der Camargue erleidet sie einen Sonnenstich. Ihre Eltern suchen sie und finden sie schliesslich in Saintes Maries, wo sie in den Armen von Vincen stirbt. Ihre Seele entschwebt mit den drei heiligen Marien.

Hans Rudolf Hublers Werk reiht sich würdig den andern grossen Übertragungen ins Bern-deutsche an: den Bibelübersetzungen von Ruth und Hans Bietenhard, der Odyssee von Albert Meyer, der Illias und der Aeneis von Walter Gfeller und der Ramuz-Romane von Hans Ulrich Schwaar. Der Bubenberg-Gesellschaft sei herzlich gedankt, dass sie den Verlag von Mireio übernommen und dadurch eine weite Verbreitung ermöglicht hat.


Werner Marti

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