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Globalish Linguisten in Singapur

…hat sich eine sprachliche
Klasseneinteilung der Menschheit herausgebildet: die Muttersprachler des Englischen gegenüber dem benachteiligten Rest. Viele attraktive Stellen sind nur englischen Muttersprachlern zugänglich (z.B. in der EU, obwohl es den Richtlinien zuwiderläuft), und die „Sprachindustrie“ –
Sprachunterricht, Übersetzung, Sprachkorrektur – bietet ihnen
erkleckliche Einnahmequellen (für Großbritannien ist sie der wichtigste
Wirtschaftszweig nach dem Nordseeöl), und sie führen international das große Wort. Gegen diese Sprachungleichheit …
Englischkenntnisse sind in Zeiten der Globalisierung für viele
unverzichtbar. Ein zufriedenstellendes Niveau zu erreichen ist jedoch
oft schwierig. Nur zu Beginn ist Englisch eine leichte Sprache; die Feinheiten sind ungemein schwierig. Nicht einmal Englischprofessoren erreichen immer die für anspruchsvolle Zwecke erforderliche Korrektheit, sondern bleiben auf Dauer als Nicht-Muttersprachler gezeichnet.

Nicht-muttersprachliches Englisch gilt als defizitär, mag es noch so
fließend und differenziert daher kommen. Dabei übertrifft die Zahl der
Nicht-Muttersprachler (zwischen 1,2 und 1,5 Milliarden) die der
MuttersprachlerINSERT INTO `skd_posts` VALUES(350 Millionen) um ein Mehrfaches und wächst rasant
weiter. Aber die Minderheit der Muttersprachler, vor allem Briten,
Nordamerikaner und Australier, bestimmt alleine, was als sprachlich
korrekt gilt.

Sie hat davon unermessliche Vorteile. So hat sich eine sprachliche
Klasseneinteilung der Menschheit herausgebildet: die Muttersprachler des Englischen gegenüber dem benachteiligten Rest. Viele attraktive Stellen sind nur englischen Muttersprachlern zugänglich (z.B. in der EU, obwohl es den Richtlinien zuwiderläuft), und die „Sprachindustrie“ –
Sprachunterricht, Übersetzung, Sprachkorrektur – bietet ihnen
erkleckliche Einnahmequellen (für Großbritannien ist sie der wichtigste
Wirtschaftszweig nach dem Nordseeöl), und sie führen international das große Wort.

Gegen diese Sprachungleichheit schürte der letzte Weltkongress für
Angewandte Linguistik, der Ende Dezember in Singapur stattfand, die
Revolution, deren Flämmchen schon seit längerem züngeln. Der Nestor der Disziplin, Michael A.K. Halliday (Emeritus der Universität Sydney),
erklärte in seiner Eröffnungsrede, es störe ihn, auch als
Muttersprachler, dass Englisch heute sogar für Linguisten alleinige
Arbeitssprache internationaler Kongresse sei und zudem ihr bevorzugter Forschungsgegenstand. Das Bekenntnis zur Mehrsprachigkeit verkomme damit zur Phrase.

Indes erschien die Restitution der Mehrsprachigkeit den meisten
Teilnehmern wenig aussichtsreich. Um dennoch die Nachteile der Nicht-
Muttersprachler abzubauen, brachten Japaner, Koreaner, Österreicher und Deutsche die radikalere Idee ins Spiel, den Muttersprachlern die Kontrolle über die heutige Weltsprache zu entreißen. Ob dies je gelingen kann, blieb allerdings ungewiss.

Ausgangspunkt dabei war die Beobachtung, dass Englisch als Lingua franca unter Nicht-Muttersprachlern täglich funktioniert – und zwar ohne
Einhaltung muttersprachlicher Normen. Die Nicht-Muttersprachler kommen also in der Sprachpraxis ohne Hilfe der Muttersprachler aus. Warum müssen sie sich dann in Fragen sprachlicher Richtigkeit von ihnen bevormunden lassen?

Die Erfurter Anglisten Karlfried Knapp und Christiane Meierkord
berichteten in Singapur über Forschungen zum Gelingen englischsprachiger Kommunikation bei Abweichung von den muttersprachlichen Normen. Und die Wiener Anglistikprofessorin Barbara Seidelhofer erstellt derzeit ein umfangreiches Korpus nicht-muttersprachlichen Englischs. Auf seiner Grundlage soll das Lingua-franca-Englisch mit Abweichungen vom Muttersprach-Englisch in einem Wörterbuch und einer Grammatik kodifiziert werden. Dies wäre eine Basis für systematischen Unterricht. Erste Befunde lassen allerdings die
Schwierigkeit des Unterfangens erahnen.

Henry Widdowson, Emeritus der Universität London, erhofft sich weitere Anregungen von Charles Ogdens BASIC, eines vereinfachten Englischs zum Zwecke leichterer weltweiter Verbreitung. Ob sich für eine solche Lingua franca aber jemals ein der Muttersprache gleiches Prestige erreichen lassen kann? Die fernöstlichen Teilnehmer lieferten die zusätzliche Perspektive spezifisch japanischen und koreanischen, also von der jeweiligen Ausgangssprache geprägten Englischs. Dabei darf die jeweilige Prägung allerdings nur soweit gehen, dass sie die internationale Kommunikation nicht wesentlich beeinträchtigt.

Im Rahmen einer solchen Umformung könnte die Lingua franca zugleich der nationalen Identität Ausdruck geben, was ihre Akzeptanz fördern dürfe. Sie würde zur „plurizentrischen“ Sprache, in Erweiterung der
Differenzierung in britisches und amerikanisches Englisch. Um die
Entthronung der Muttersprachler zu verdeutlichen, wurde die Umbenennung der Weltsprache gefordert: „Globalisch“ statt „Englisch“. Eine Utopie? Gegen Zweifel wandte man ein, dass vieles von dem, was heute Wirklichkeit ist, einmal fantastisch klang.

Ulrich Ammon, Frankfurter Rundschau vom 30.Dez. 2002 (gekürzt SKD)

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