• Allgemein
  • 0

Sprachenförderung Fragen an Politiker und Politikerinnen

Schlechtes Zeugnis für Schweizer Schüler – was jetzt?
(aq) Der Bericht der Erhebung PISA 2000, erschienen im Jahr 2002, hat den 15jährigen Schweizer Schülern und Schülerinnen ein schlechtes Zeugnis ausgestellt: Ein hoher Anteil von ihnen verfügt über eine äusserst geringe Lesekompetenz. Mehr als 20 Prozent der Schüler haben höchstens das erste Kompetenzniveau erreicht. Unterhalb dieses ersten Niveaus bereitet es den Schülern Probleme, eine einzelne Information in einem ganz einfachen Text zu lokalisieren, das Hauptthema des Textes zu erkennen oder eine einfache Verknüpfung zu Aspekten aus dem Alltagswissen herzustellen, so der Bericht. Dieser Anteil beläuft sich in der Schweiz auf sieben Prozent unter den 15jährigen Testpersonen.
Diese Erkenntnisse haben ein leises Schauern bei der Lehrerschaft ausgelöst und sind auch bei den Politikern nicht ungehört verklungen. Mit weiteren Studien wurde die Lesekompetenz untersucht und geprüft. Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) hat als ersten Schritt im Juni dieses Jahres einen Aktionsplan bekanntgegeben, der ein Bündel von Massnahmen beinhaltet, welche die Lesekompetenz der Schweizer Jugendlichen langfristig verbessern sollen. Diese geplanten Massnahmen zeigen klar: Sprachförderung ist Sache der Schulen und somit der Kantone. Dem Bund sind, was die Grund- und Mittelschulen anbelangt, die Hände gebunden. Ist das richtig und sinnvoll so? Und gibt es vielleicht andere Möglichkeiten auf Bundesebene zur Förderung der deutschen Sprache in der Schweiz? Eine nicht repräsentative Umfrage unter Parlamentariern und Parlamentarierinnen, die (mit einer Ausnahme) in der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) sitzen, zeigt, wer was im Sinn hat, welche Projekte bereits existieren und wo dringend Handlungsbedarf besteht.
Die Stellungnahmen der Befragten führt der Präsident der WBK an, die Reihenfolge und die Parteinennung der übrigen verstehen sich ohne Wertung durch den SKD. Die Befragung er-folgte durch die Journalistin Anna Quinche (Anmerkung der Redaktion SKD).
Hans Widmer, SP, Nationalrat, Kanton Luzern
«Wir können nicht alles zugleich haben»
SKD: Welche Massnahmen müssen ergriffen werden, um der abnehmenden Lesekompetenz entgegenzuwirken?
Hans Widmer: Bekanntlich wurden ja von einzelnen Bildungswissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen sowie von der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) schon viele taugliche Vorschläge gemacht, denen ich kaum etwas Neues beizufügen habe. Allerdings habe ich den Eindruck, dass man im Zusammenhang mit dem Problemfeld «Lesekompetenz» vermehrt auch noch grundsätzlichere Fragen stellen müsste: die Suche nach tieferen Gründen wäre ins Visier zu nehmen.
SKD: Inwiefern?
Wenn der Stellenwert gewisser Kulturtechniken, wie zum Beispiel des Auswendiglernens von Gedichten in der Gesellschaft sinkt, dann ergibt es sich sozusagen von selbst, dass auch die Schule sich nicht mehr so sehr – wie dies früher einmal der Fall war – um das Training einer solchen Fertigkeit kümmert. Mit anderen Worten: Wir müssen uns einfach überlegen, welche Dinge wir – in der Gesellschaft und somit auch in der Schule – priorisieren oder posterisieren wollen. Vorlesen können, Zusammenfassungen machen – und dafür auch Zeit zur Verfügung stellen, das sind Dinge, die im Vergleich zu früher abgewertet wurden, ihnen sollte wieder mehr Priorität gegeben werden.
SKD: Wie manifestiert sich das in der Gesellschaft?
Eigentlich müsste man im Zusammenhang mit PISA vermehrt das recht komplexe Verhältnis zwischen Schule und Gesellschaft überhaupt untersuchen. So gibt es zum Bei-spiel nicht nur «lesehemmende» gesellschaftliche Einflüsse.
Beispielsweise wird darauf hingewiesen, dass es für die Jugendlichen in Finnland für die Entwicklung der Lesefähigkeit durchaus ein Vorteil sein kann, wenn sie im Fernsehen schon sehr früh mit englischsprachigen Filmen konfrontiert werden, die sie aber nur deswegen im Detail verstehen können, wenn sie sich die Mühe machen, die finnischen Untertitel zu lesen und auch zu begreifen. Auch die Sprachkultur der Medien dürfte einen nicht geringen Einfluss auf die Entwicklung der Lesefähigkeit ausüben: Nehmen wir zwei extreme Beispiele aus der Medienlandschaft der Deutschschweiz: da ist einmal das Boulevardblatt «Blick», das der Leserschaft sehr leicht verständliche Texte präsentiert. Diese arbeiten mit Sätzen, die selten mehr als zwölf Wörter umfassen.
Im Gegenzug enthalten viele Texte der NZZ sehr lange Sätze, die zum Teil in ziemlich komplizierten Nebensatzstrukturen daherkommen.
Wenn wir uns vor Augen halten, dass vor allem – allerdings nicht nur – Menschen aus eher bildungsfernen Schichten den «Blick» lesen, und wenn wir ferner bedenken, dass sich die Leserschaft der NZZ mehrheitlich aus Leuten rekrutiert, die in der Regel auch über eine überobligatorische Schulbildung verfügen, dann kann es nicht mehr erstaunen, dass der Boulevardstil mit seinen eher bescheidenen Ansprüchen an die Lesekompetenz einer zahlenmässig grossen Leserschaft – wenn nicht direkt und ausdrücklich, so doch indirekt – Massstäbe setzt.
Kommt noch dazu, dass heute sehr viele Texte von Bildern und/oder Symbolen sowie Ikonen begleitet werden. Sehr oft hat der Bildteil sogar die Hauptfunktion, der Text ist in der Folge lediglich noch Bildlegende. Bei den Adressaten kann so der Eindruck entstehen, man könne eigentlich mit minimalen Lesefähigkeiten schon recht viel verstehen. Auf all diese Einflüsse – man kann sich sicher noch weitere vorstellen – sollte man vermehrt achten, wenn man die Veränderungen in der Lesekompetenz wirklich verstehen will. Genau diese Einflüsse sind es denn auch, die man unbedingt noch genauer erforschen müsste.
SKD: Sie sagen also, dass zuerst diese grundlegenden Phänomene studiert werden müssen, bevor überhaupt Massnahmen er-griffen werden können?
Ich meine, man muss das eine tun und das andere nicht lassen. Auf der einen Seite besteht konkreter Handlungsbedarf, und da kann nicht einfach zugewartet werden, bis alle Grundlagen erforscht sind. Auf der anderen Seite aber muss die Grundlagenforschung sofort angepackt werden, weil nur so die Chance besteht, die konkreten Massnahmen – falls nötig – den neuen, aus der Grundlagenforschung sich ergebenden Einsichten anzupassen.
Von der Grundlagenforschung, die natürlich auch ihrerseits von der konkreten Praxis beeinflusst werden wird, erwarte ich einen «reflektierten» Umgang mit den «Massnahmen der Alltagspraxis».
Diese Art von Forschung wird – je grundsätzlicher sie ansetzt – unsere Gesellschaft bezüglich des Wertes einer hohen Lesekompetenz allenfalls vor folgende Grundsatzfragen stellen: Ist unsere Bildungsdemokratie noch bereit, allen Bewohnern eine hohe Lesekompetenz zu vermitteln, wenn doch in der «durchikonisierten» und vom Boulevard beherrschten Gesellschaft der differenzierten Wortkultur immer weniger Beachtung geschenkt wird? Soll die Wortkultur nicht den sogenannten Bildungseliten allein zugemutet werden? Wie gefährlich wäre eine solche Aufteilung für ein wirkliches Funktionieren einer Bildungsdemokratie, die diesen Namen auch verdient? Welche finanziellen Mittel sind wir bereit aufzuwenden, um eine solche Zweiteilung zu vermeiden?
Sie sehen, wenn man das PISA-Problem grundsätzlich angeht, kommt man auf Wert-fragen, die sich eine Gesellschaft bewusst stellen muss.
Nach diesen grundsätzlichen Überlegungen komme ich zurück auf das Konkrete: Wenn man von PISA spricht, denkt man fast immer nur an die Leistungen der Schüler. Es muss aber festgehalten werden, dass auch bei der Lehrerschaft die Erhaltung einer hohen Sprach- und Lesekompetenz im heutigen Schulumfeld keine Selbstverständlichkeit ist. Lesen und Schreiben stehen in der Schule einfach nicht mehr so sehr im Mittelpunkt wie dies früher vielleicht einmal der Fall war. (Auch da müsste vermehrt Forschung – und zwar bildungshistorische – betrieben werden. Damit man beispielsweise nicht in die Falle romantisierender Vergangenheitsverklärung tappt, müssten selbstverständlich Langzeitvergleiche vorliegen.) Was nicht ständig geübt wird – diese Binsenwahrheit gilt auch für die Unterrichtenden – das bildet sich naturgemäss zurück. Weil der Schule viele andere, neue Aufgaben etwa im Bereich der Erziehung und Konfliktlösung aufgebürdet werden, unter anderem deshalb kommt eine nachhaltige Vermittlung der Kulturtechnik Lesen und Schreiben zu kurz. Die Vermittlung von Lesen und Schreiben erfordert ins-besondere bei grossen Schulklassen ein beachtliches Mass an Konzentration und Disziplin der ganzen Klasse, und diesen Kompetenzen wurde von der Reformpädagogik nicht allzu grosses Gewicht zugemessen.
Wir können nicht alles zugleich und wenn möglich noch in kürzerer Zeit haben, aber Sie werden vielleicht sehen, dass die Jugendlichen dieses Landes möglicherweise in der PISA-Studie zur Mathematik besser abschneiden als bei der vergangenen Überprüfung der Lesekompetenzen.
SKD: Was also muss getan werden zur Förderung der deutschen Sprache?
Erstens soll die Lage nicht negativer dargestellt werden als sie tatsächlich ist, zweitens sind die von der EDK vorgeschlagenen Massnahmen sobald als möglich umzusetzen, aber gleichzeitig muss drittens die zentrale Frage gestellt werden, welchen Stellen-wert das Lesen in unserer Gesellschaft in Tat und Wahrheit hat und welchen es – aus welchen Gründen – haben sollte. Wenn dann auf dieser grundsätzlichen Ebene über Massnahmen diskutiert wird, dann wird mit Sicherheit auch die Medien- und die Sprachenpolitik gefragt sein.
Das Problem der abnehmenden Lesekompetenz ist also kaum mit nur kurzfristigen Massnahmen in den Griff zu bekommen, da es mit diversen Megatrends unserer Zivilisation in einem direkten oder indirekten Zusammenhang steht. Somit ist es nicht einfach ein Problem der verschiedenen Akteure der Schule, sondern ein solches des ganzen kulturellen und zivilisatorischen Umfeldes in unserem Lande, in dem beispielsweise die Dialektsprache eine massgebende Rolle spielt. Da kann es durchaus vorkommen, dass an Lehrerkonferenzen über den Schwund der Schülerkompetenzen im Beherrschen der Standardsprache in der Umgangssprache diskutiert wird, nachdem man zunächst ein entsprechendes Impulsreferat in Hochdeutsch angehört hat. Das sind Usanzen, über die nachgedacht werden sollte, nicht unbedingt, um sie zu verändern, jedoch mit dem Ziel, deren Einfluss auf die PISA-Problematik bewusst zu machen.
SKD: Was kann auf Bundesebene konkret gemacht werden?
Ich kann Ihnen zunächst besser sagen, was nicht gemacht werden kann: Heiligen Kühen darf man ja bekanntlich nicht ans Lebendige und die Hoheit der Kantone im Schulwesen ist in unserem föderalistischen System in der Tat eine heilige Kuh. Es muss also äusserst behutsam vorgegangen werden.
Was der Bund machen kann und soll, ist eine Untersuchung, eine Bewertung, mit jenen Kantonen, die in der PISA-Studie am besten und am schlechtesten abgeschnitten haben. Diese Untersuchung soll für alle verständlich sein und die Leute auf die Unterschiede aufmerksam machen – ähnlich wie es bei den Steuern gemacht wird. Vereinfacht gesagt: Wenn es für sie wichtig ist, wenig Steuern zu zahlen, ziehen die Leute ja auch in den Kanton Zug. Der Bund kann – das liegt durchaus in seiner Kompetenz – den Kantonen einen Spiegel vorhalten.
Der Bund könnte zusätzlich eine Untersuchung zum Stellenwert der Lesekompetenz beim ganz normalen Bürger durchführen, da-mit man sieht, wie sich die Lage dort präsentiert, inklusive bei den Behördemitgliedern in den Gemeinden, in den Kantonen und auch beim Bund. Vielleicht würde eine solche Überprüfung gewisse Defizite ans Tageslicht bringen. Ein solches mögliches Resultat brauchte uns jedoch noch nicht in einen totalen Pessimismus zu versetzen, denn wir dürfen sicher mit einer gewissen Genugtuung feststellen, dass die Menschen heute andere Fähigkeiten recht gut ausgebildet haben, zum Beispiel die Kompetenz, den Zusammenhang zwischen sehr einfachen Texten und Bildern gleichsam intuitiv zu erkennen – eine Fähigkeit, wie sie wahrscheinlich durch das Lesen von Comics schon in sehr jungen Jahren gefördert wird. Es dürfte auch klar sein, dass die SMS- und E-Mail-Textkreationen einen differenzierten Schreibstil mit komplexen Satzstrukturen wohl kaum fördern. Bekanntlich sind diese Kommunikationsformen heute sehr verbreitet und in der Folge dürfte ihr Einfluss riesig sein.
SKD: Was werden Sie persönlich tun, um auf das Problem aufmerksam zu machen?
Ich unterstütze alles, was die EDK vorschlägt, wichtig ist aber, dass der Bund den Schweizern den Spiegel vorhält. Der Bund darf nicht zuwarten, bis jemand anders eine gründliche Untersuchung macht, er darf nicht alles der EDK oder der OECD überlas-sen. Eine differenzierte grosse Bundesuntersuchung etwa unter den Titeln «PISA und die 26 Kantone» sowie «PISA vor dem Hintergrund des Wandels im Bereiche der Medien und der Kommunikationstechniken» wäre alles andere als ein Luxus, fehlt aber im Moment. Darauf werde ich aufmerksam machen.
Heiner Studer, EVP, Nationalrat, Kanton Aargau
«Erste Fremdsprache muss eine Landessprache sein»
SKD: Warum muss die deutsche Sprache in der Schweiz gefördert werden?
Heiner Studer: Die deutsche Sprache tritt in der Schweiz wegen der Dialekte in den Hintergrund. Ich kann mich aber erinnern, dass noch vor ein paar Jahren die Angst um den Dialekt vorgeherrscht hat. Damals wurde dann der Dialekt ganz bewusst gepflegt – auf Kosten des Hochdeutschen, das in den Hintergrund gerückt ist. Jetzt muss man aufpassen, dass es nicht wieder umschlägt und in einer Art Wechselspiel endet. Mir ist beides wichtig, sowohl der Dialekt als auch die Schriftsprache. Zentral erscheint mir, dass in der Schule wirklich von Anfang an Hochdeutsch gesprochen wird, das ist keine Hexerei.
SKD: Da die Schulen Sache der Kantone sind, hat der Bund in diesem Bereich nichts zu sagen. Welche Möglichkeiten gibt es auf Bundesebene, um die deutsche Sprache zu
fördern?

Für alle im Land muss gelten, dass die erste Fremdsprache, die in der Schule gelernt wird, eine Landessprache ist. Das erleichtert auch das gegenseitige Verständnis zwischen der Bevölkerung der verschiedenen Landesteile. So müssen die Deutschschweizer dann Hochdeutsch sprechen, damit die Romands sie wirklich auch verstehen. Ich habe eine parlamentarische Initiative unterstützt, die fordert, dass die erste Fremdsprache eine Landessprache sein muss. Sie hat in der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur und danach auch im Rat jeweils eine knappe Mehrheit erreicht.
Die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) hat daraufhin Widerstand gemacht, weil sie findet, dies zu bestimmen sei Sache der Kantone. Ich bin jedoch der Meinung, dass diese Frage eidgenössisch geregelt werden muss. Sie ist sehr wichtig.
Ansonsten ist es schwierig etwas auf Bundesebene zu machen. Gewisse Dinge können unterstützt und gefördert werden. Ich finde es zum Beispiel wichtig, dass die elektronischen Informationsmedien weiterhin durchgehend in der Schriftsprache stattfinden, darauf muss beharrt werden.
SKD: Haben Sie keine konkreten Vorschläge, was genau gemacht werden muss oder auch, was noch fehlt?
Das Problem ist, dass viele Schweizer und Schweizerinnen sich nicht korrekt auf Deutsch ausdrücken können. Ich vermisse ein Kursangebot, womit Erwachsenen das Erlernen und Vertiefen der deutschen Sprache ermöglicht würde. Viele Leute scheuen sich davor, Deutsch zu sprechen oder zu schreiben, weil sie sich unsicher fühlen. Sie können ihre Gedanken nicht formulieren. Mir fehlt im Moment ein Schwergewicht, das die Erwachsenen fähig macht, sich schriftlich auszudrücken.
SKD: Welche Rolle soll der Bund hier spielen?
Der Bund kann die Erwachsenenbildung fördern und unterstützen.
SKD: Planen Sie einen konkreten Vorstoss in Richtung Sprachförderung?
Vorstösse sind meiner Meinung momentan nicht nötig. Wichtig ist die Anwendung der deutschen Sprache in den verschiedensten Bereichen. Auf das Problem der schwinden-den Lesekompetenz muss aufmerksam gemacht werden. Das fängt im Kleinen an. So sollte zum Beispiel die gesamtschweizerische Diskussion über das Problem der deutschen Sprache in der Schweiz auf Hochdeutsch und nicht im Dialekt geführt werden.
SKD: Wie beurteilen Sie die Resultate der PISA-Studie, die den Schweizer Jugendlichen eine sehr geringe Lesekompetenz nachsagen? Warum ist die Lesekompetenz so schlecht und wer kann etwas dagegen tun?
Es steht nicht fest, ob die Jugendlichen früher eine bessere Lesekompetenz hatten – eine vergleichbare ältere Studie fehlt. Sicher wird heute weniger bewusst gelesen als früher. Und das liegt nicht daran, dass zu wenige Druckerzeugnisse existieren, im Gegenteil, die Vielfalt ist enorm. Ein kleiner Teil der Bevölkerung liest sehr viel, der Rest liest wenig oder gar nicht. Die Leute können zum Lesen zwar motiviert, aber nicht verpflichtet wer-den. Für mich ist ganz klar, dass nur die Schule die Schriftsprache fördern kann, ob-wohl ich sonst dagegen bin, dass alles auf die Schule abgeschoben wird. Das Lesen hinge-gen kann auch im Elternhaus gefördert werden, indem zum Beispiel das ältere Geschwister, das schon lesen kann, dem jüngeren etwas in der Standardsprache vorliest.
Fritz Schiesser, FDP, Ständerat, Kanton Glarus
«Die Hochschulbildung muss verbessert werden»
SKD: Wie steht es um die deutsche Sprache in der Schweiz?
Fritz Schiesser: Die Entwicklung der Lesekompetenz der Jugendlichen in der Schweiz ist alarmierend – es ist eine Entwicklung in Richtung Analphabetentum. Die Leute können nicht mehr gut lesen, oder schlimmer, sie verstehen nicht mehr was sie lesen. Das ist beunruhigend. Oftmals kriege ich Anfragen von Studenten oder Studentinnen, und da scheint es mir, dass das sprachliche Niveau zu wünschen lässt. Das Sprachniveau scheint mir schlechter als früher.
SKD: Ist daran die Schule schuld?
Das hat nicht nur mit der Schule zu tun, sondern zu einem grossen Teil mit den elektronischen Medien. Wenn man nicht mehr genug liest – und wenn ich sage «lesen», meine ich Bücher lesen – entstehen grosse Defizite. Ob die Schule alleine die bestehenden Mängel korrigieren kann, ist zweifelhaft.
SKD: Wo also sollen die Gegenmassnahmen angesetzt werden?
Man muss trotzdem bei der Schule und der Schulbildung ansetzen, das ist sehr wichtig. Aber parallel dazu muss mehr gelesen wer-den, und zwar nicht nur Zeitungsartikel, sondern wie bereits erwähnt Bücher.
SKD: Die Kinder früher einschulen ist eine Massnahme, welche die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren vorgeschlagen hat. Ist ein solcher Vorschlag sinnvoll?
Dies ist eine Massnahme, die es sicherlich ernsthaft zu prüfen gilt. Die Kinder entwickeln sich heute schnell, die Schule könnte also durchaus früher beginnen. Wichtig ist, dass die Kinder trotzdem noch Kind sein können. Wenn dies nicht der Fall ist, kann sich das negativ auf die Persönlichkeitsbildung auswirken.
SKD: Welche Massnahmen sollen konkret er-griffen werden?
Das Schulwesen ist Sache der Kantone, da ist eidgenössisch nichts zu machen. Es ist an den Kantonen, die entsprechenden Massnahmen zu ergreifen. Wo der Bund eingreifen kann, ist bei den Hochschulen. Die Hochschulbildung muss verbessert und besser koordiniert werden. Es muss ein eidgenössisch einheitliches und hochstehendes Niveau angestrebt werden. Natürlich muss dies in Zusammenarbeit mit den Kantonen geschehen, damit auch die Universitäten eingebunden werden.
SKD: Welches sind die wichtigsten Massnahmen, die kurzfristig ergriffen werden sollen?
Kurzfristig muss vermehrt an das Elternhaus appelliert werden: Die Kinder sollen mehr lesen. Der Wert des Bücherlesens muss vermehrt auch von Fachleuten unterstrichen werden. Das Problem momentan ist eine gewisse Resignation was die Lesekultur betrifft – wegen der elektronischen Medien, die im Alltag überhandnehmen.
SKD: Was kann langfristig getan werden?
Die Massnahmen müssen geprüft werden. Mit Kontrollen muss festgestellt werden, ob sie greifen. Falls nötig, müssen Korrekturen angebracht werden.
Maya Graf, Grüne, Nationalrätin, Kanton Basel-Land
«Die Bildung soll Bundesaufgabe werden»
SKD: Die PISA-Studie besagt, dass die Schweizer Jugendlichen ein Sprachdefizit im Bezug auf die deutsche Sprache haben. Diesem Defizit kann hauptsächlich in den Grundschulen entgegengewirkt werden – das Problem wird so-mit ausschliesslich zur Sache der Kantone. Ist es in Ordnung, dass der Bund hier nichts zu sagen hat?
Maya Graf: Mein Kanton, der Kanton Basel-Land, hat eine Standesinitiative eingereicht, die in der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) bereits behandelt wurde. Diese fordert eine Koordination der kantonalen Bildungssysteme. Der Bund soll verbindlich Eckwerte festlegen und damit ein einheitliches Bildungssystem schaffen. Diese Standesinitiative unterstütze ich sehr. Es ist höchste Zeit, dass der Bund hier mehr Verantwortung übernimmt.
SKD: Was bedeutet ein einheitliches Bildungssystem bezogen auf die Sprachförderung?
Es betrifft vor allem drei Punkte: Erstens er-leichtert ein einheitliches Schulsystem in allen Kantonen die zunehmende Mobilität der Menschen. Die Grenzen zwischen den Kantonen verwischen immer mehr – wenn eine Familie in einen anderen Kanton zieht, ist es wichtig, dass der Wechsel der Schule für die Kinder unproblematisch über die Bühne geht. Das wird mit einem einheitlichen System gewährleistet.
Zweitens muss eine Vereinheitlichung des Schulsystems eine frühere Einschulung beinhalten. Die frühere Einschulung soll jedoch keine «Verschulung» des Kindergartens dar-stellen, sondern in Form einer Übergangs-stufe organisiert sein, wo der Übergang in die eigentliche Schule fliessend passieren kann. Parallel dazu muss als dritter Punkt die Schulung der eigenen Sprache bei den Ausländerkindern gefördert werden. Wenn sie ihre Muttersprache gut beherrschen, ist der Grundstein für das Erlernen einer Fremdsprache bereits gelegt. Zudem haben sie später zwei Sprachen, die sie perfekt beherrschen, was wiederum ein persönlicher Vorteil für den Einstieg ins Berufsleben, aber auch ein Gewinn für die Gesellschaft ist.
Wichtig sind auch vermehrt Angebote, wie sie im Tessin existieren: Krippenplätze und Tagesschulen. So ist der frühe Kontakt mit der deutschen Sprache gewährleistet.
SKD: Sie fordern also, dass der Bund für die Bildung verantwortlich sein soll?
Ja, die Bildung sollte Bundesaufgabe wer-den. Bildung ist unser wichtigstes Kapital, ohne Bildung funktioniert unsere Gesellschaft nicht, sie ist wichtig für unsere Demokratie, unsere Wirtschaft, und sie ist auch ein Menschenrecht. Daher stehe ich auch für die Bundeskompetenz in der Erwachsenenbildung ein. Der Bildungsartikel ist seit Jahren in Bern in Diskussion, geschehen ist noch nichts und die Zeit drängt. Leider ist noch immer nicht klar, wann genau der Bund Kompetenzen erhalten wird.
Grundsätzlich ist es daher einfach wichtig, dass das Thema der Sprachförderung überhaupt angegangen wird – egal ob auf Bundesebene oder auf Ebene der Kantone!
SKD: Welche Möglichkeiten gibt es denn, die Sprachkompetenz ausserhalb des schulischen Bereichs zu fördern?
Die Grünen und auch ich stehen für ein «lebenslanges Lernen» ein, ein Bildungssystem, das allen offensteht und die Chancengleichheit fördert. Der Bund sollte dafür sorgen, dass lebenslange Weiterbildung für alle möglich wird und nicht nur für die finanziell Gutsituierten. Sicher könnte und müsste hier auch die Wirtschaft mehr Verantwortung übernehmen.
Remo Galli, CVP, Nationalrat, Kanton Bern
«Kultur ist das Bindeglied zur Sprache»
SKD: Wie kann dem Sprachendefizit der Schweizer Kinder entgegengewirkt werden?
Für mich ist ganz klar: Deutsch muss die Sprache der Lehrer sein. Diese müssen mit den Kindern im Unterricht von A bis Z Hochdeutsch sprechen.
SKD: Wie kann das in der Praxis umgesetzt und kontrolliert werden?
Ganz einfach: Indem man eine entsprechende Bedingung im Arbeitsvertrag verankert.
SKD: Das ist als Massnahme bereits ausreichend?
Zudem müssen die Kinder viel früher beginnen: mit Lesen, Gedichten auswendig lernen und Theater spielen. In Grossbritannien spielen die Schüler und Schülerinnen während ihrer Schulzeit sehr viel Theater – das funktioniert. Die Schweizer Kinder brauchen viel mehr Praxis: Mehr vorlesen, Gedichte rezitieren, Vorträge auswendig lernen. Vor allem laut lesen ist wichtig, das wird einfach zu selten gemacht.
Früher war die Sprachförderung in der Schule besser: Ich habe während meiner Grundschulzeit mindestens 50 Gedichte gelernt. Wir haben Theater gespielt in der Klasse und wir haben sehr viele unvorbereitete Diktate geschrieben. Heute können sich die Kinder auf jeden kleinen Test vorbereiten.
SKD: Stichwort Theater: Was hat das mit Sprachförderung zu tun?
Die Sprache und die Kultur sind miteinander verbunden. Die Kultur ist das Bindeglied zur Sprache. Wenn man die Schüler für die Kultur zu begeistern vermag, wenden diese sich freiwillig der Sprache zu. Plötzlich interessiert es jemanden, ein bestimmtes Stück oder eine bestimmte Geschichte zu lesen – weil die Kultur ein Interesse geweckt hat.
SKD: Nun ist es aber so, dass das Schulwesen in den Kompetenzenbereich der Kantone fällt…
Das ist das Problem: Die Sprachförderung ist Sache der Erziehungsdirektorenkonferenz(EDK). Ich rege mich auf, dass die Sprachförderung so viel kostet. Mehr Deutsch sprechen, mehr üben in der Schule – das kann von heute auf morgen umgesetzt werden, dazu braucht es kein Geld! Der Lehrer kann ein-fach ein Buch aus der Schublade nehmen und daraus vorlesen, er kann Gedichte aufgeben oder mit den Schülern ein Theaterstück einüben.
SKD: Welche Möglichkeiten hat der Bund?
Der Bund kann via Sprachen- und Bildungsartikel Einfluss nehmen. Wichtig ist für mich hier, dass die Kinder früher eingeschult wer-den. Sie sollten bereits mit sechs Jahren in die Schule kommen, so wie es im übrigen Europa längst geregelt ist. Diese Bestimmung sollte gesetzlich verankert werden.
SKD: Warum ist die frühe Einschulung so wichtig?
Je früher jemand mit der Sprache in Kontakt kommt, desto besser. Je später man eine Sprache lernen muss, desto grösser ist der «Knorz».
Dadurch wäre auch gewährleistet, dass die Ausländerkinder früh Deutsch lernen – so können die Unterschiede zwischen den Kindern klein gehalten werden. Kinder lernen eine Sprache nämlich sehr schnell.
Brigitta Gadient, SVP, Nationalrätin, Kanton Graubünden
«Für ein neues Sprachenförderungsgesetz fehlt die Verfassungsgrundlage»
SKD: Welche Möglichkeiten hat der Bund, um in der Schweiz die deutsche Sprache zu fördern? Kann er ein neues Gesetz erlas-sen, das die Verwendung der deutschen Sprache eidgenössisch regelt?
Brigitta Gadient: Ausser der Berufs und der Hochschulbildung fallen die Schulen in die kantonale Zuständigkeit. Um ein neues Gesetz für die Sprachenförderung einzuführen, fehlt die Verfassungsgrundlage. Die Diskussion um die Vereinheitlichung der Vorgaben bezüglich der Sprachenförderung in den verschiedenen Kantonen ist schon jahrelang im Gang, eine Einigung konnte aber bislang nicht erzielt werden.
SKD: Welches sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Punkte in dieser Sprachendiskussion?
Für mich steht fest, dass Sprachkompetenzen sehr wichtig sind – Sprachunterricht in anderen Sprachen ist zentral für den Einstieg ins Berufsleben. Die Möglichkeit, Fremdsprachen zu lernen, muss überall vorhanden sein. Die Berufsbildung sollte in allen Bereichen ein gleichwertiger Weg sein wie das Gymnasium – ist es im Hinblick auf die Sprachenförderung aber nicht, weil Fremdsprachen nicht bei allen Berufsbildungen obligatorisch sind. Ich bin mit einem entsprechenden Vor-stoss gescheitert, der obligatorische Fremdsprachen in allen Berufsbildungen gefordert hat.
SKD: Das bezieht sich aber nicht direkt auf die Förderung der deutschen Sprache in der Schweiz…
Gute Kenntnisse der «Muttersprache» Deutsch sind natürlich zentral: Hier sind die Kindergärten und die Grundschulen und somit die Kantone gefordert. Spätere Massnahmen auf Bundesebene sind einfach weniger effizient, denn je früher eine Sprache gelernt wird, umso besser. Die biologischen Voraussetzungen im Gehirn verschlechtern sich mit der Zeit, das ist erwiesen. Aber grundsätzlich würde ich sagen, dass die Kinder heute besser Deutsch sprechen als früher, und zwar wegen den elektronischen Medien: Sie haben dadurch viel mehr Kontakt mit der deutschen Sprache.
SKD: Heisst das, dass die Sprachförderung in der Schule besser geworden ist?
Nein, das würde ich nicht sagen. Die Ausbildung ist im Vergleich zu früher viel schmaler geworden, das sieht man gut am Beispiel der Schwerpunktfächer im Gymnasium. Eine Verarmung der Allgemeinbildung hat statt-gefunden, aber die Sprachbildung ist deshalb nicht schlechter.
SKD: Sind dem Bund die Hände gebunden, was die Sprachenförderung in der Schule angeht?
Ja. Damit die Sprachenförderung gesetzlich geregelt werden kann, ist eine Verfassungsänderung nötig. Ein Bildungsartikel ist seit Jahren in Diskussion, der dem Bund ein Minimum an Kompetenzen bezüglich der Sprachenförderung zuschreibt, aber bisher konnte keine Einigung erzielt werden. Die Mehrheit ist dafür, dass die Kantone ihre Souveränität behalten.
SKD: Welche Möglichkeiten hat der Bund bezüglich der Sprachenförderung ausserhalb der Schule?
Hier hat der Bund sehr wohl Kompetenzen. An erster Stelle kommt für mich ganz klar der Austausch – mit anderen Sprachen, Ländern und Kulturen. Zweitens muss den Kindern wieder die Freude am Lesen vermittelt werden – und auch den Eltern. Wegen des Fernsehens wird weniger gelesen als früher. Ganz allgemein finde ich, dass die Ergebnisse der PISA-Studie differenziert beurteilt werden müssen. Es gibt keine vergleichbare Studie aus früheren Jahren. Und Deutsch ist grammatikalisch nun mal eine besonders schwierige Sprache. Das mag die Schweizer Kinder andern Ländern gegenüber benachteiligen.
Brigitte Bolli Jost, FDP, Grossrätin Kanton Bern, kandidiert für den Ständerat
«Es sind kleine Schritte, die schliesslich zum Ziel führen»
SKD: Was muss getan werden, um der schwachen Lesekompetenz der Schweizer Jugendlichen entgegenzuwirken?
Brigitte Bolli Jost: Wesentlich ist von mir aus gesehen, dass sich die Grundschule vermehrt wieder auf die Kernkompetenzen Lesen und Schreiben besinnt und diesen mehr Gewicht gibt im Unterricht.
SKD: Wie soll das umgesetzt werden?
Eine Massnahme ist, dass die Lehrerschaft im Unterricht vermehrt Hochdeutsch sprechen muss – diese Vorschrift existiert grundsätzlich bereits, wird jedoch von den Lehrern nicht überall eingehalten. Somit liegt ein Führungsproblem vor.
SKD: Wie kann dieses Führungsproblem gelöst werden?
Es braucht stärkere Schulleitungen, die die Lehrer besser führen. Hilfreich wären sicher auch Qualitätssicherungssysteme.
SKD: Andere Massnahmen braucht es Ihrer Meinung nach gar nicht?
Ich denke, dass es vor allem solch kleine Schritte sind, die schliesslich zum Ziel führen. Es braucht keine riesigen Umstellungen.
SKD: Die von Ihnen erwähnten Massnahmen betreffen die Kantone und die Gemeinden. Was kann auf Bundesebene zur Sprachförderung beigetragen werden?
Der Bund kann eine Harmonisierung verlangen. Das heisst, es sollten einheitlichere Lehrpläne in den Kantonen geschaffen werden, so dass zum Beispiel genau definiert ist, welche Ziele die Kinder in der dritten oder in der fünften Klasse erreicht haben müssen. Der Bund kann mehr Druck aufsetzen, indem er ganz klare Forderungen stellt. Diese Forderungen betreffen sowohl einheitliche Ziele als auch einen einheitlichen Inhalt, der vermittelt werden soll. Solche Harmonisierungsmassnahmen würden übrigens auch die Mobilität fördern.
SKD: Wie soll diese Harmonisierung erreicht werden?
Die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) ist dafür zuständig und muss die entsprechenden Massnahmen ergreifen. Eventuell sollten ihr mehr Kompetenzen erteilt werden, damit sich die Kantone nicht einfach über Entschlüsse und Massnahmen hinwegsetzen können, sondern gezwungen sind, diese umzusetzen.
SKD: Reichen die von der EDK angekündigten Massnahmen aus, um das bestehende Sprachendefizit zu beheben?
Ohne die einzelnen Massnahmen im Detail zu kennen, glaube ich, dass das Problem damit sicher angepackt, aber noch nicht gelöst ist.
SKD: Stichwort Ausländerintegration: Wie wichtig ist die Integration von Ausländerkin-der für die Sprachenförderung in den Schweizer Schulen?
Sehr wichtig! Die Chancen der Ausländerkinder verbessern sich massiv, wenn sie früh Deutsch lernen. Es kommt ihnen natürlich auch entgegen, wenn auch wir Schweizer Hochdeutsch mit ihnen sprechen, das haben Studien gezeigt. Das wiederum ist eine Chance für Schweizer Kinder, Hochdeutsch zu sprechen.
SKD: Gibt es auf Bundesebene die Möglichkeit, über «flankierende Massnahmen» Einfluss auf die Sprachenbildung zu nehmen – indem zum Beispiel Tagesschulen und Krippenplätze geschaffen werden, wo die Kinder schon früh mit der deutschen Sprache in Kontakt kommen?
Tagesschulen und Krippenplätze sind als «flankierende Massnahmen» sehr wichtig. Wir haben aber ein föderalistisches System und bei uns gilt das Subsidiaritätsprinzip, beides ist wichtig und richtig für die Schweiz. Daher hat der Bund meiner Ansicht nach nichts mit solchen Massnahmen zu tun. Tagesschulen und Krippen gehören ganz klar zu den Aufgaben der untersten Stufe, der Gemeinden.
Ich denke, wenn die Gemeinden selber dafür zuständig sind, wird auch das Geld effizienter eingesetzt, als wenn die Kantone oder gar der Bund von oben Massnahmen anordnen. Durch das föderalistische System ist eine gewisse Flexibilität gegeben, auf die Unterschiede in den Regionen kann eingegangen werden. Denn ein Kanton Appenzell hat sicher nicht die gleichen Probleme wie die Region Zürich.
SKD: Werden Sie als Ständerätin einen konkreten Vorstoss zum Thema Sprachenförderung machen?
Das weiss ich noch nicht.
Peter Bieri, CVP, Ständerat, Kanton Zug
«Die Ausländerintegration bildet Schwerpunkt»
SKD: Was kann getan werden, um die Verankerung der deutschen Sprache in der Schweiz besser zu gewährleisten?
Peter Bieri: Um es vorneweg zu nehmen: In den Bereich des Bundes fällt die Berufsbildung und die Hochschulbildung – alle anderen Schulen, somit natürlich auch die Grundschulen, sind Sache der Kantone. Daher fallen für den Bund viele Massnahmen im Schulbereich weg. Trotzdem gibt es für den Bund Möglichkeiten mitzuwirken.
SKD: Welche Möglichkeiten sind das?
Es gibt von mir aus gesehen vier Bereiche: die Ausländerintegration, familienunterstützende Massnahmen, die Berufsbildung und einen sprachlichen Qualitätsdruck von oben.
Der Bereich Ausländerintegration ist ein Schwerpunkt: Der Familiennachzug für Immigranten muss besser geregelt werden. Im Rahmen des neuen Berufsbildungsgesetzes hat man bereits in das Gesetz aufgenommen, dass Kinder von Immigranten im Schulalter nachgezogen werden können. So ist die sprachliche Integration besser gewährleistet. Indirekte, die Familien unterstützende Mass-nahmen liegen im Kompetenzenbereich des Bundes, und das sollte ausgenutzt werden. Im Rahmen der Berufsbildung kann der Bund in den «Übergangsjahren» zwischen Schule und Beruf wirksam werden. Diese Massnahmen sind allerdings nicht relevant im Hinblick auf die Ergebnisse der PISA-Studie, da sie für junge Erwachsene gedacht sind, die bereits neun Schuljahre hinter sich haben.
Zu guter Letzt komme ich zum bereits er-wähnten Qualitätsdruck von oben. Damit meine ich, dass die Hochschulen ganz klare sprachliche Anforderungen an die Mittelschulabgänger formulieren müssen. So können sie gewissermassen einen «Druck von oben» ausüben. Gleichzeitig müssen die Hochschulen guten Nachwuchs ausbilden, damit dieser an den Schulen entsprechendes Wissen weitergeben kann.
SKD: Wie kann die Ausbildung von gutem Nachwuchs an den Hochschulen konkret gefördert werden?
Der Bund muss in erster Linie die Geisteswissenschaften fördern, da besteht in der Schweiz ein Defizit. Die Geisteswissenschaften werden vernachlässigt, weil ihr Nutzen nicht auf der Hand liegt. Bei den technischen Wissenschaften ist die Situation in der Schweiz viel besser: Dort weisen wir einen hohen Standard auf.
Hier ist also eine indirekte Wirkung durch den Bund möglich.
SKD: Nochmals zurück zur Schule: Wäre es sinnvoll, die Handhabung der deutschen Sprache in den Schulen gesetzlich zu verankern? Zum Beispiel im Sprachengesetz, das im Herbst 2000 in der Vernehmlassung war?
Das Sprachengesetz kommt langsam voran. Kulturelle Sensibilitäten machen das Ganze schwierig. Meiner Ansicht nach ist eine gesetzliche Vorgabe nicht nötig, da die Regelung innerhalb der Schulen effektiv keine Bundesangelegenheit ist.

Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar