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Brauchen wir englische Wörter (Teil 2 und Schluss)


Ein Plädoyer für den Gebrauch der deutschen Sprache, von Gerd Schrammen, Göttingen.Der erste Teil galt zwei Vorurteilen, mit denen die Notwendigkeit und der Nutzen der Anglizismen begründet werden und dem Versuch des Verfassers, diese
Behauptungen zu widerlegen.

„Englische Wörter sind ein Zeichen von Leben“
„Englische Wörter sind kurz und prägnant“

Lesen Sie nun die Fortsetzung.

„Englische Wörter füllen Bezeichnungslücken“

Sprachwissenschaftler verharmlosen gern die gegenwärtig stattfindende Anglisierung der Muttersprache und erklären, die englischen Wörter füllten sogenannte Bezeichnungslücken. Ausdrücke wie shop, bike, event usw. bezeichneten Dinge, für die es im Deutschen kein geeignetes Wort gebe. Die Salzburger Festspiele z. B. seien eine „Veranstaltung“, der Europäische Schlagerwettbewerb dagegen ein event mit highlights. Das stimmt nur auf den ersten, sehr flüchtigen Blick. An die „alten“ deutschen Ausdrücke hätten sich sehr wohl die neuen Inhalte einer gewandelten Wirklichkeit anhängen können. Die Engländer machen uns das vor (s. u.).

Wo englische Wörter benutzt werden, sind in vielen Fällen schon deutsche vorhanden. „Besatzung“, „Nachrichten“ und „Zeitlupe“ brauchen nicht durch crew, news oder slow motion ersetzt zu werden. „E-Post“ oder „Geländerad“ hätten anstelle von e-mail oder mountain bike gewählt werden können, als diese Dinge aufkamen. Statt quiz, design oder image hätten bei mehr Treue zur eigenen Sprache – von Anfang an deutsche Wörter gebraucht werden können. Sie waren da, und die neuen Bedeutungen wenn es sie tatsächlich gibt – wären in sie eingegangen. Für talk show z. B. hätten wir „Gesprächsrunde“, der Coinstar Money agent „Motorradfreak“ wäre ein „Motorradnarr“. Diese deutschen Ausdrücke empfinden wir allerdings als fremd, weil die englischen uns vertraut geworden sind.

Sprachliche Selbstgenügsamkeit der Angelsachsen

Die englischen Wörter stehen jeweils für nicht genutzte Möglichkeiten der deutschen Sprache. Für einen anderen Umgang mit der eigenen Sprache geben die Angelsachsen uns ein Beispiel. Ihnen genügt ihr Englisch, um die Dinge dieser Welt zu benennen. Um sich zu verständigen, benutzen sie jahrhundertealte, ehrwürdige und bewährte Wörter wie shirt, news, girl, kid, talk, fun, show, top usw. In Deutschland mag ein lover aufregender sein als ein „Liebhaber“ oder „Freund“. Den lover gibt es allerdings schon in einem Gedicht von Shakespeare, das 400 Jahre alt ist. Das heißt, Engländerinnen und Amerikanerinnen kommen mit einem uralten Wort der eigenen Sprache aus, um ihre Liebhaber oder Freunde des 21. Jahrhunderts zu bezeichnen. Der chat übers Internet zwischen einem Schotten und einem Neuseeländer ist etwas anderes als der Schwatz in einer englischen Kneipe im 18. Jahrhundert. Trotzdem wird das alte Wort für geeignet befunden, um eine neue Sache von heute zu bezeichnen. Hinter solcher sprachlichen Selbstgenügsamkeit und Selbstversorgung steht viel Liebe zur Muttersprache.

Diese Liebe zur Muttersprache und die Bereitschaft, sie zu pflegen und zu schützen, ist in Deutschland nur schwach ausgebildet. Jürgen Trabant hat in einem Beitrag der Frankfurter Rundschau dargelegt, daß wir vom einfachen Bürger bis zum prominenten Politiker eigentlich keine Deutschen sein wollen und uns deshalb auch von unserer Sprache verabschieden. Nur wenige mögen in der deutschen Sprache einen „Nazi-Dialekt“ sehen, durch den immer noch ein „Jawoll, Herr Obersturmbannführer!“ schnarrt. Aber von ihrer Großartigkeit, ihrer derben Anschaulichkeit, Vielfalt, Genauigkeit und Schönheit wissen auch nicht viele. Diejenigen, die sie zum albernen deutsch-englischen Kauderwelsch umgestalten, haben offenbar noch nie davon gehört. Das Denglisch, das sie hervorbringen, hat übrigens nichts mit „Sprachverfall“ zu tun, sondern ist rohe Beschädigung der Muttersprache.

“ Forschung und Lehre“ – Oktober 2003.

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