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Der verschwundene Schalk

Ein Pfarrer sammelt »bedrohte Wörter« der Lutherbibel.

Sie sind der Welt fast abhanden gekommen: der Schalksknecht, die Brosamen und die Wollust. Aus Martin Luthers wortmächtiger Bibelübersetzung verschwinden immer mehr Begriffe. Ein Bayreuther Pfarrer will sie jetzt vor dem Vergessen retten.

Der Reformator selbst fand wohl die treffendsten Worte: »Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über.« Längst ist diese Passage aus dem Lukas-Evangelium zu einer Redensart geworden – und ungezählte andere Stellen aus der Lutherbibel sind Bestandteil dessen, was gern als Volksmund bezeichnet wird. Luthers »vollem Herzen« verdankt die deutsche Sprache zweifellos ein Stück ihres Reichtums – ein echter »Wortschatz«, der freilich mit jeder Bibelrevision scheibchenweise verkleinert wird.

So sieht das der Bayreuther Pfarrer Gerhard Bauer, der sich schon seit mehreren Jahren damit beschäftigt, »vom Aussterben bedrohte« Wörter aus der Lutherbibel zu sammeln und zu dokumentieren. Zum »Jahr der Bibel« 2003 hatte er eine Aktion unter dem Motto »Inwendige Schriftlesung« gestartet; als Ziel setzten sich die Teilnehmer, eine bestimmte Bibelstelle auswendig zu lernen.

Beim unmittelbaren Vergleich verschiedener Textausgaben fielen ihm nicht nur allerlei sprachliche Modernisierungen auf – beispielsweise die Wandlung des Begriffs »mitnichten« zu »keineswegs«. Von der »Biblia Germanica« von 1545, an der Luther selbst noch letzte Korrekturen angebracht hatte und die jahrhundertelang fast unverändert blieb, über die revidierten Ausgaben von 1912 und 1964 bis zur derzeitigen »Standardausgabe« von 1984 sind manche Begriffe neu übersetzt worden – aus dem »Schalk« wurde ein »böser Knecht« (Mt. 25,26), aus dem »Gichtbrüchigen« ein »Gelähmter« (Mk. 2,3) und aus »gottselig« ein schlichtes »fromm« (Tit. 2,12). Das »gottselige Geheimnis«, von dem bis 1964 im 1. Brief des Paulus an Timotheus zu lesen war, fiel in der Ausgabe von 1984 ganz dem Rotstift zum Opfer. Und poetisch anmutende Anreden wie »O Weib, dein Glaube ist groß« klingen in der Neufassung weitaus spröder: »Frau, dein Glaube ist groß« (Mt. 15,28).

Nach Bauers Einschätzung ist von der bilderreichen und klangvollen Sprache Luthers in neuen Bibelausgaben schon viel verloren gegangen. Auch kleine »Glättungen« in Stil oder Grammatik – etwa »bekannt werden« statt »kund werden« – veränderten doch stark den Rhythmus und die Sprachmelodie des Luthertextes.

Gerhard Bauer versteht sich nicht als Fundamentalkritiker der neuen Bibelübersetzungen, deren Existenzberechtigung für moderne Zeitgenossen er durchaus anerkennt. Ihm geht es nach eigenen Worten »nicht um Sprachnostalgie, sondern um die Anschaulichkeit, die Kraft und den theologischen Gehalt der Sprache, gegen Verflachung und Nivellierung«. Symbolgehalt hat für ihn ein Ereignis beim Brand der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar im September 2004, als der Direktor unter Lebensgefahr zwei Lutherbibeln aus den Flammen rettete.

Eine erste Liste der »bedrohten Wörter« der Lutherbibel dokumentiert der Pfarrer seit wenigen Wochen im Internet. Angeregt durch das »Lexikon bedrohter Wörter« hat er eine Seite mit der Adresse www.lutherdeutsch.de eingerichtet, auf der er ausdrücklich zum Mitmachen und zur Diskussion einlädt.

Schließlich, so Bauer, »steht hinter allem die Frage nach dem Geist – dem Zeitgeist oder dem Heiligen Geist«.

Wolfgang Lammel im Münchner Sonntagsblatt, 31. Jan. 2006

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